
Ohne Bier kommt man nur schwer durch den politischen Aschermittwoch.
(Foto: dpa)
Der politische Aschermittwoch ist wie ein Cheatday für den Kopf. Normalerweise macht es Spaß, wenn das Gehirn nur Zaungast ist - aber nicht in diesem Jahr.
Weiß jeder: Wir Mediendödel hier in der Hauptstadt essen den ganzen Tag Seitan und Bananenbrot. Wissen wenige: Manchmal schleichen sich die Mediendödel mit hohem Kragen und Sonnenbrille ins Augustiner, ins Maria & Josef oder zum Hax’nwirt, schlagen dort enthemmt die Zähne in die Schweinskrusten, verschlingen Obazda, gurgeln mit Senf und fragen sich, tropfend, stöhnend, warum ist das bitte so geil?
Der politische Aschermittwoch ist für die Politik auch so ein Hax’nwirt-Ventil. Er sei sonst immer Staatsmann, aber heute habe er freie Fahrt, röhrte CSU-Chef Markus Söder und das Publikum röhrte auch. Viele Medien übertragen jedes Jahr die Highlights der Bierzeltreden, es kracht und ledert, wir gurgeln mit Pointen, warum ist das bitte so geil?
Aschermittwochsreden sind anders. Eine normale Rede funktioniert so: Sie beginnt beim Empfänger und fühlt sich ins Publikum ein, nimmt es an die Hand und führt es an einen neuen Ort, es kommt zur Transformation. Eine gute Bierzeltrede beginnt beim Empfänger, aber dann nimmt sie den Empfänger in den Arm, haut ihm krachend auf die Schulter und reicht ihm ein großes Bier. Man bleibt exakt dort, wo man angefangen hat.
Kann man es gut brüllen?
Zugegeben, Bierzeltreden bieten Entspannung im Kopf wie großzügiger Alkoholgenuss: Alle Abwägungen, Kompromisse, Taktierereien und Rücksichtnahmen mal beiseite, heute ist Cheatday fürs Hirn! Das Publikum dürstet nach dem Gegenteil von dem, was Friedrich Merz Anfang Februar in seiner Merzmail präsentierte: Differenziertheit. Man müsse auch mit den Grünen verhandeln können, schrieb er da. In Schockstarre hat der CDU-Chef seine Leute damit versetzt. Die Grünen!
Ausgewogenheit ist im Bierzelt nun einmal tabu, ebenso wie Sätze, die länger sind als ein Käsewürfel. Redenschreiber können das ausmessen oder einen anderen Trick benutzen: Alles, was man nicht mühelos in den Nebenraum brüllen kann, wird gestrichen. Merz brachte seinen Grünenkompromiss am Mittwochabend nach Apolda und kassierte dafür ein paar Buh-Rufe.
Was sagte dagegen Söder? "Grün ist out!" Bravo! Brüll-Test bestanden, der Saal kocht. Wen interessiert’s, dass diese Formulierung Söders Wendehalsigkeit quasi unterstreicht: Denn wenn etwas heute "out" ist, kann es schließlich morgen schon wieder "in" sein - Politik als "Fast Fashion", Södern ist auch nur ein Wort für Wegwerfmode.
Das Gehirn ist Zaungast
Im Bierzelt sind auch Ressentiments kein Tabu, sie bilden vielmehr den Resonanzkörper. Söder sagt, dass "Tachchen, Moinmoin, Hallöchen" Grußformeln der Ampel wären, "Servus und Grüß Gott" dagegen "unsere". Auf dem Mond soll eine bayerische Flagge wehen, "keine deutsche". Die Menge johlt, so etwas, ein Wahnsinn - Trachtenhut ab!
Noch einmal: Warum ist das so geil? Bei der Haxe liegt es, das wissen Wissenschaftler inzwischen angeblich, nicht am Kopf, nicht an der Zunge, sondern am Darm: Kommt unten Fett an, signalisiert das Gedärm, dass es mehr vom Glibber wünscht. Das Gehirn ist dabei allenfalls Zaungast - und das ist ja in der Tat unser Geisteszustand, wenn wir die Reden am Aschermittwoch hören.
Man könnte das Klartextfest auch als jährliche Aussprache durchgehen lassen. Als, um eine besonders dumme Formulierung aufzuwärmen, "Sich-ehrlich-machen". Doch Markus Söder hat inzwischen so wenig Glaubwürdigkeit, dass man ihn nicht einmal nach der Uhrzeit fragen kann. Was immer er da am Pult abliest, hält nicht länger als eine Bierkrone. Leberkäse habe Verfassungsrang, sagt Söder etwa - aber wird ein Journalist ein paar Wochen später in der Staatskanzlei nachfragen, wo denn, bitte, der Entwurf für die versprochene Verfassungsänderung bliebe? Nein: Um Wahrheit geht es nicht.
Trump zeigt, wie es geht
Aber um Orientierung: Man weiß im Bierzelt, wer gut ist und wer böse, wer "in" und wer "out". Die krachendste Aschermittwoch-Rede lieferte wohl Donald Trump: Der mögliche nächste US-Präsident verkündete, mit säumigen NATO-Mitgliedern möge Putin machen, "was auch immer zur Hölle er will". Siehe da: Orientierung! Plötzlich lernt Deutschland, die Bombe zu lieben - über Parteigrenzen hinweg: FDP-Chef Christian Lindner und SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barley sind offen für europäische Atombombendiskussionen, Barleys Konkurrentin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Bundeslieblingsminister Boris Pistorius (SPD), jeweils Experten, finden, das Ganze komme zur Unzeit. Am Klartext scheiden sich die Geister - aber man weiß, woher der Wind weht.
Egal, wozu der politische Aschermittwoch dient: Spaß machte er in diesem Jahr nicht. Die Reden wirkten schal, zu sehr um Grellheit bemüht. Verständlich: Ist nicht inzwischen jeden Tag ein bisschen Aschermittwoch? Klang nicht Merz schon nach Bierzelt, als er den Kanzler als "Klempner der Macht" bezeichnete - und Scholz wiederum Merz ein "Glaskinn" attestierte? Jeden Tag Hax’n ist nicht gut, nicht fürs Hirn und nicht für den ganzen Menschen drumherum, das gilt für den Restaurantbesuch wie für die Politik.
Und blitzte nicht in früheren Jahren hinter Derbheit und Verderbtsein stets ein Hauch Restironie hindurch, selbst beim Aschermittwoch? Sie scheint in diesem Jahr abhandengekommen zu sein. Die absolut unironischen Aggressionen der Bauern (und Mitläufer) im baden-württembergischen Biberach zwangen die Grünen zur Absage ihrer Veranstaltung, aus Sicherheitsgründen und unter lautem Gejohle der Bauern. Es war eine "Kapitulation vor dem Mob", schreibt die "Zeit" - mal wieder, muss man wohl sagen.
"Grüne Margot Honecker"
Was sagt denn die CSU dazu, dass pure Gewaltbereitschaft die Grünen cancelt? Hat sie nicht ihren Anteil? Immerhin hat Söder die Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorher unter Applaus als "grüne Margot Honecker" bezeichnet. Was auch deshalb perfide ist, weil Lemke selbst in der DDR an der friedlichen Revolution beteiligt war.
"Wer durch Lautstärke oder Gewaltanwendung die Abhaltung einer politischen Veranstaltung verhindern will, ist ein Radikaler, ein Extremist und in den Methoden ein Nazi!", heißt es bei den Christsozialen. Holla, uff, ein Nazivergleich!
Na gut, zugegeben, das ist etwas unfair, es handelt sich um ein ziemlich altes Zitat vom alten CSU-Chef. Das waren noch Zeiten! Franz Josef Strauß war nicht so plump und ungenau wie Söder. Er war ein eleganter Redner - aus zivilisierteren Tagen.
Quelle: ntv.de