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Knast und HIV statt Super Bowl "Hauptstadt des Mordes" räumt Obdachlose und Schrecken weg

Obdachlose in New Orleans mussten bereits im Oktober ihre Camps in der Innenstadt abbauen, aus Gründen der Vorbereitung auf den Super Bowl.

Obdachlose in New Orleans mussten bereits im Oktober ihre Camps in der Innenstadt abbauen, aus Gründen der Vorbereitung auf den Super Bowl.

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Abseits des Super-Bowl-Glitzers wird es rau, gewalttätig und unbarmherzig: New Orleans gilt schon lange als eine der gefährlichsten Städte der USA. Das NFL-Endspiel erleben viele nicht, weil das knallharte Louisiana die weltweit höchste Inhaftierungsrate hat.

In der Tankstelle, die gleichzeitig ein Mini-Markt und ein Handy-Reparaturshop ist, kaufen die Kunden mit Food Stamps ein. Am häufigsten aber geht Alkohol über die mit Plexiglas verschanzte Ladentheke. Dafür werden zerknüllte Dollarnoten aus den Hosentaschen gekramt, denn Bier, Schnaps oder Zigaretten dürfen in den USA nicht mit Essensmarken erstanden werden. Vor der Tür steht ein Mann mit einem Bein und wenigen Zähnen, stützt sich aufs Geländer und brüllt jedem, der vorbeiläuft, laut die Bitte nach Geld ins Gesicht. An die Hauswand gelehnt sitzt ein anderer und bereitet seine Drogen vor.

Nur etwa 30 Gehminuten vom Caesars Superdome - wo am Sonntag die größte Sportshow der Welt, das NFL-Spektakel zwischen den Kansas City Chiefs und den Philadelphia Eagles stattfindet - bleibt vom Super-Bowl-Glitzer nichts übrig. Hier stehen das Gefängnis und das massive neoklassizistische Strafgerichtsgebäude. Direkt nebeneinander. Wer kann, fährt schnell vorbei. Das New Orleans in dieser Ecke ist rau, gewalttätig und unbarmherzig. Jazzklubs, Austern-Restaurants und Football-Fans sucht man vergeblich.

Die Tulane Avenue nördlich des Businessviertels war einst eine lebendige Straße in "The Big Easy", gesäumt von Hotels und Geschäften. Doch schon seit Jahren sind Teile der Straße und die kleinen Seitenstraßen von Verfall, Prostitution und Drogen geprägt und gehören zu den gefährlichsten Gegenden von New Orleans. Vor einem Monat gab es ein paar Straßen entfernt nachts eine Schießerei, zwei Verletzte mit Schusswunden werden ins Krankenhaus eingeliefert.

Höchste Mordrate der USA

In Sachen Kriminalität gilt die Metropole mit etwa 380.000 Einwohnern in den USA als die "Hauptstadt des Mordes". New Orleans hat seit 1993 mehr als ein Dutzend Mal die höchste Mordrate aller Großstädte der USA, mit 424 Morden im Jahr 1994 findet der Höhepunkt des Blutvergießens statt. Die Mordrate liegt in jenem Jahr bei 86 Morden pro 100.000 Einwohner, die höchste jemals von einer amerikanischen Großstadt gemeldete Rate. Zum Vergleich: 2022 lag die Mordrate in Berlin bei 1,6 pro 100.000 Einwohner.

2022 werden in New Orleans 265 Morde verzeichnet und die Personalstärke der Polizei ist auf einem historischen Tiefstand. Seitdem wird aber ein positiver Trend verzeichnet, wie überall in den USA, und 2024 werden gar 48 Prozent weniger Morde als zwei Jahre davor begangen. Als im September des vergangenen Jahres 18 Tage niemand umgebracht wird, ist das eine große Nachricht.

Ein Gefängnistransport wartet auf Insassen in der Nähe der Tulane Avenue in New Orleans.

Ein Gefängnistransport wartet auf Insassen in der Nähe der Tulane Avenue in New Orleans.

(Foto: David Bedürftig)

Doch rund um das Gefängnis nördlich des Super-Bowl-Stadions ist von Verbesserungen nicht viel zu spüren. Der Caesars Superdome gerät im Vorfeld des großen Endspiels in die Nachrichten, weil die Stadt, angeordnet vom republikanischen Gouverneur von Louisiana, Jeff Landry, die vielen Camps der Obdachlosen rund um das Stadion entfernt. Und tatsächlich gibt es nun direkt am Superdome bewaffnete Nationalgarden, mehr oder weniger wichtige Menschen mit Erkennungsausweisen um den Hals und betrunkene Fans. Zeltstädte bei den wenig entfernten Autobahnbrücken, die wie riesige Tentakel quer durch die Innenstadt ragen, sind verschwunden.

30 Minuten gen Norden, wo es keine Touristen hinzieht, interessiert die Anordnung niemanden. "Scheiße", sei die Räumung gewesen, sagt eine Gruppe, die auf den Stufen eines verlassenen Gebäudes raucht. Aber so wirklich will niemand mit der Presse sprechen. Manche bringen, mutmaßlich aufgrund von jahrelangem Drogenmissbrauch, kein klares Wort heraus. Der Super Bowl ist hier nicht mal ein ferner Traum.

Masseninhaftierungen und weltweiter Rekord

Auf der Straße neben der Tankstelle mit den Essensmarken rauscht ein Gefängnistransport vorbei. Auch die Insassen haben nichts vom Super Bowl. 1474 sind es im vergangenen Juli, was gegen die Stadtordnung verstößt. Die festgelegte Obergrenze, um die Inhaftierten sicher managen zu können, liegt bei 1250.

Nach dem Hurrikan Katrina werden die Gefängnissysteme im republikanischen Louisiana zunehmend privatisiert. Wie gewinnorientierte Gefängnisindustrie und Masseninhaftierungen Hand in Hand gehen, lässt sich dort gut veranschaulichen. Denn das Motto scheint zu sein: Der Schrecken der Straßen gehören weggeräumt. Hinter Gitter gesteckt. Tür zu und verriegeln. Aus den Augen, aus dem Sinn für den Rest der Stadt. Auch für die Presse und die vielen Super-Bowl-Besucher.

Die gemeinnützige, überparteiliche "Prison Policy Initiative" aus den Staaten schreibt auf ihrer Website: "Die hohen Inhaftierungsraten in den USA sind keine rationale Reaktion auf hohe Kriminalitätsraten. Stattdessen sind sie die Folge rassistischer Maßnahmen […] sowie politisch zweckmäßiger Reaktionen auf die Ängste und Wahrnehmungen der Öffentlichkeit in Bezug auf Kriminalität und Gewalt."

Und bei Inhaftierungsraten macht Louisiana, höchste Gefängnisrate aller 50 US-Bundesstaaten, und New Orleans, höchste Gefängnisrate in ganz Louisiana, niemand etwas vor. Mit einer aktuellen Rate von 1067 pro 100.000 Einwohner sperrt Louisiana einen höheren Prozentsatz seiner Bevölkerung ein als alle anderen Länder der Welt, bis auf El Salvador. Das sind genau 1000 Menschen mehr als in Deutschland pro 100.000 inhaftiert sind.

Abtreibungen verboten, HIV verbreitet

Die privatisierte Inhaftierungsindustrie kommt mit solch pervertierter Grandiosität daher, wie es ein paar Kilometer vom Gefängnis der Super Bowl mit Protz und Glitzer tut. Beinahe jeder Zweite in den Gefängnissen von Louisiana ist (noch) nicht wegen eines Verbrechens verurteilt worden, also bisher rechtlich unschuldig.

Die Untersuchungshaft trifft besonders bereits marginalisierte Personengruppen stark, wie Schwarze, Geringverdiener, physisch und psychisch Erkrankte und Menschen ohne Obdach. Das Büro der demokratischen Bürgermeisterin LaToya Cantrell hat auf mehrere Anfragen von ntv.de zur Lage in den Gefängnissen, der Obdachlosen und der Kriminalität nicht reagiert.

Auch zwei keine zehn Jahre alte Krankenhäuser haben die Lage rund um das Gefängnis und das Gerichtsgebäude kaum verbessert. Das alte Charity Hospital, das während des Hurrikans Katrina im Jahr 2005 schwer beschädigt und anschließend nicht mehr eröffnet wurde, steht wenige Gehminuten entfernt leer und verrottet. Damals sorgte die Evakuierung der Patienten aus dem überfluteten Krankenhaus - sie mussten durch das Hochwasser in den Fluren transportiert und dann mit einem Hubschrauber auf dem Dach abgeholt werden - landesweit für Schlagzeilen. Heute hängt ein altes Vorhängeschloss vor dem Eingangstor - und eine Mitarbeiterin einer Sicherheitsfirma sitzt nebenan in einem heruntergekommenen Toyota und starrt auf ihr Handy.

Das alte Charity Hospital verwest in New Orleans.

Das alte Charity Hospital verwest in New Orleans.

(Foto: David Bedürftig)

Die Gegend zeigt auch gesundheitliche Dinge auf, die so gar nicht in die schillernde Welt des Super Bowls passen. In den neuen Krankenhäusern etwa können, seitdem 2022 Roe v. Wade für ungültig erklärte wurde, keine Abtreibungen mehr durchgeführt werden. Diese sind in Louisiana nun vollständig verboten.

Scharfer Kontrast in der Super-Bowl-Stadt

Um die Ecke von Tulane Avenue und Broad Street ist lange die NO/AIDS Taskforce beheimatet, eine der ältesten HIV-Hilfsorganisationen im Süden der Golfküste, die 1983 als Reaktion auf die verheerenden Auswirkungen der AIDS-Epidemie in der Region New Orleans gegründet wurde. Kein Zufall: Die Wahrscheinlichkeit, sich mit HIV zu infizieren, ist für Häftlinge um einiges höher. Und Armut ist nach wie vor eine treibende Kraft für HIV-Infektionen, insbesondere in den Südstaaten, wo die Armutsquote am höchsten ist und viele ohne Krankenversicherung leben.

Laut der Regierungsseite hiv.gov sind in den USA etwa 1,2 Millionen Menschen mit HIV infiziert. Etwa 13 Prozent von ihnen wissen es nicht und müssen getestet werden. 49 Prozent der Neuinfektionen finden in den Südstaaten statt. Laut des Online-Tools AIDSVu von der privaten Emory Universität in Atlanta liegt Louisiana deutlich über dem Durchschnitt der Südstaaten. Laut Statista hatte der Bundesstaat 2021 die dritthöchste Rate in den gesamten USA. Nicht umsonst läuft in New Orleans im Regional-TV Aufklärungswerbung.

Der Weg zurück zum Stadion. Zum Caesars Superdome, der in den Abendstunden hell erleuchtet funkelt. Viele weniger begünstigte Menschen in New Orleans können am Super Bowl und an den Feierlichkeiten drumherum nicht teilnehmen. Wie der zerzauste junge Mann unter einer Autobahnbrücke. Er hält ein Schild hoch, auf dem geschrieben steht, dass er sein Fahrrad vermietet. Es steht hinter ihm, ist knallgrün angemalt und besitzt nur einen halben Lenker.

Quelle: ntv.de

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