Neuer Teilnehmer-Rekord So forsch gehen die Deutschen in die Darts-WM
15.12.2023, 12:50 Uhr
Gabriel Clemens kratzt nach seinem Halbfinal-Einzug bei der WM vor einem Jahr an den Top 20 der Weltrangliste.
(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Christian Schu)
Ein Jahr nach dem sensationellen Halbfinal-Einzug von Gabriel Clemens ist der Hype um die Darts-WM immens. Erstmals starten gleich fünf Deutsche in das wichtigste Turnier des Jahres. Dabei sein ist alles? Nicht das Motto von Clemens & Co.
Gabriel Clemens muss die zahlreichen Anfragen inzwischen in einer Pressekonferenz bündeln, Martin Schindler will so hoch hinaus wie nie und Ricardo Pietreczko spricht direkt vom Weltmeister-Titel: Angeführt vom letztjährigen Halbfinalisten, dem Fast-Weltmeister-Besieger und dem forschen Debütanten gehen die Deutschen so aussichtsreich wie nie zuvor in die Darts-Weltmeisterschaft in London.
Ricardo Pietreczko, Spitzname "Pikachu", ruft ohne jede Bescheidenheit sogar das größtmögliche aller Ziele für den Alexandra Palace aus: "Ich fahre zum Turnier, um es zu gewinnen. Das haben 90 Prozent der Spieler im Kopf. Man würde lügen, wenn man sagt: Ich fahre hin, um in der dritten Runde auszuscheiden. Man will immer gewinnen." So ambitioniert haben sich deutschen Profis bis zu diesem Jahr eher nicht über Ziele und Erwartungen geäußert.
Pietreczko ist zum ersten Mal überhaupt für die WM qualifiziert. Der 29-jährige Nürnberger gewann in diesem Jahr als erst zweiter Deutscher überhaupt in der Darts-Geschichte ein Turnier auf der European Tour. Bei seinem Triumphzug in Hildesheim im Oktober setzte sich "Pikachu" unter anderem gegen den dreifachen Weltmeister Michael van Gerwen und den Champion von 2020 und 2022, Peter Wright, durch. "Da habe ich jedem gezeigt, dass ich auch die Großen der Welt schlagen kann. Natürlich geht man dann auch mit einem anderen Gefühl in die nächsten Spiele", offenbart Pietreczko im Darts-Podcast "Checkout".
Pietreczko könnte früh auf Topfavoriten treffen
Womöglich muss Pietreczko im Londoner "Ally Pally" den derzeit Größten von allen schlagen, wenn er seinen WM-Traum am Leben erhalten will: Luke Humphries könnte in der dritten WM-Runde warten. Nach drei Major-Titeln in den vergangenen drei Monaten geht der Engländer als Topfavorit ins Turnier. Bei der WM kam Humphries aber bislang noch nicht über das Viertelfinale hinaus.
Damit ist ihm Gabriel Clemens einen Schritt voraus. Der Halbfinal-Einzug des Saarländers markierte eine neue Zeitrechnung im deutschen Profi-Darts. Die WM 2024, die am heutigen Freitagabend (20 Uhr/Sport1 und Dazn) unter anderem mit dem Auftaktspiel von Titelverteidiger Michael Smith beginnt, markiert direkt den nächsten Meilenstein: Erstmals sind fünf Deutsche für das wichtigste Turnier des Jahres qualifiziert: Gabriel Clemens, Martin Schindler, Ricardo Pietreczko, Florian Hempel und Dragutin Horvat.
Zudem sind rund ein Viertel der gut 90.000 Tickets an Deutsche verkauft worden. Vor allem nach Weihnachten ist der Andrang der Fans riesig. "Es ist natürlich eine tolle Entwicklung, die wir in Deutschland erleben. Es werden nicht nur mehr Spieler. Die sportlichen Erfolge werden auch mehr", sagt Hempel, der früher Handball-Torwart in der 3. Liga war und nun zum dritten Mal im "Ally Pally" Pfeile wirft. Mit Blick auf die hohen Erwartungen der erfolgshungrigen Darts-Fans fügt Schindler an: "Ich glaube, man kann das insgesamt sehen, dass die Deutschen immer näher kommen. Näher kommen ist das, was den Deutschen aber nicht reicht. Die Deutschen möchten gerne Turniersiege sehen."
Pokal hochhalten? "Natürlich mein Traum"
Schindler, der in der Weltrangliste nur knapp hinter Clemens auf Rang 26 notiert ist, will so hoch hinaus wie bei der WM. Bis letztes Jahr war das Turnier in London kein gutes Pflaster für den 27 Jahre jungen Deutschen. Dann kam der erste Sieg und in der dritten Runde verlor Schindler nur knapp nach 3:1-Führung gegen den späteren Weltmeister Michael Smith. Wieder die Runde der letzten 32 zu erreichen, sei das Minimalziel, sagt Schindler im "Checkout"-Podcast: "Danach würde es gegen Danny Noppert gehen. Das wird die schwere Hürde sein im Verlauf des Turniers, aber meiner Meinung nach ist es ein 50:50-Spiel. Natürlich ist es mein Traum, am Ende des Turniers den Pokal hochzuhalten, aber ich gehe es Schritt für Schritt an."
Zwar zählt immer noch kein Deutscher zu den Top 20 der Weltrangliste, doch die Erfolge werden tatsächlich mehr. Das WM-Halbfinale von Clemens am 2. Januar dieses Jahres war der vorläufige Höhepunkt, der Pietreczko-Triump in Hildesheim eine Sensation. Gute Ergebnisse der Deutschen kommen inzwischen regelmäßiger: Schindler stand bei zwei hoch dotierten Turnieren im Viertelfinale, Clemens erreichte zusammen mit Schindler bei der Team-WM im Juni zudem das Halbfinale und spielte sich bei der WM-Generalprobe, den Players Championship Finals Ende November, ebenfalls bis in die Vorschlussrunde.
Auch bei der internationalen Konkurrenz wird genauer hingeschaut, seit Clemens bei der WM Primus Gerwyn Price vorgeführt, ihn zur Ohrenschützer-Verzweiflungstat brachte und sich damit ins Rampenlicht der Weltspitze gespielt hat. "Gabriel ist atemberaubend, Martin ist atemberaubend. Und Pikachu erscheint gerade erst auf der Bildfläche", lobte Ex-Weltmeister Rob Cross. Darts-Boss Werner von Moltke urteilt: "Das Niveau der deutschen Spieler wird permanent besser."
"Chef hat mir freigegeben"
Das wollen auch Florian Hempel und Dragutin Horvat unter Beweis stellen. Die beiden gehen anders als das deutsche Toptrio als Außenseiter ins mit 2,9 Millionen Euro dotierte Turnier, rechnen sich aber auch Achtungserfolge aus. Für Hempel geht es dabei um nicht weniger als den Verbleib auf der Profitour. Mindestens eins, eher zwei Spiele muss der 33-Jährige gewinnen. Gegen den irischen Debütanten Dylan Slevin ist Hempel leicht favorisiert, gegen den Weltranglisten-15. Dimitri Van den Bergh braucht es eine Topleistung zum Weiterkommen. Vor zwei Jahren hat Hempel bei der WM gegen den Belgier aber schon einmal eine Überraschung geschafft. "Da war doch was. Aber, was vor zwei Jahren passiert ist, hat dieses Mal überhaupt keine Relevanz war", kommentiert Hempel im Podcast "Checkout".
Der Kasseler Horvat ist der einzige Spieler des deutschen Quintetts, der nicht als Profi unterwegs ist, sondern als Lagerist einem ganz normalen Beruf nachgeht. "Mein Arbeitgeber hat mir den ganzen Dezember freigegeben", freut sich Horvat und blickt erwartungsfroh auf seine erste WM-Teilnahme nach sieben Jahren Abstinenz. "Ich war so nervös, dass ich überhaupt keine Erinnerungen mehr habe. Das war zu viel auf einmal. Diesmal werde ich viel mehr aufsaugen können."
Quelle: ntv.de, sks/dpa