Deutsch-englische Rivalität "Das fühlt sich wie eine Therapie-Sitzung an"

Wem die Menschen in diesen Häusern wohl die Daumen drücken?

Wem die Menschen in diesen Häusern wohl die Daumen drücken?

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Seit fast vier Jahren lebt unser Autor in England. Vor dem EM-Achtelfinale gegen Deutschland spricht er mit seinen Mitspielern aus der Hobby-Mannschaft über die Rivalität zwischen den beiden Ländern, das Lebensgefühl in Brexit-Britannien - und, logisch: über Elfmeter.

ntv.de: Was war eure Reaktion, als klar war, dass England im EM-Achtelfinale gegen Deutschland spielt?

James (31): Angst! Meine erste Reaktion war Angst. Und ein bisschen Frust, dass wir zehn Minuten davon entfernt waren, gegen Ungarn zu spielen.

Alex (33): Ich war ein bisschen verärgert, dass wir keinen einfacheren Gegner bekommen. Vor allem, weil Deutschland auf den letzten Drücker weitergekommen ist. Aber ich spiele lieber gegen Deutschland als gegen Frankreich oder Portugal. Einfach, weil es das große Spiel ist. In Wembley!

Pete (37): Für mich kommt es darauf an, welches Deutschland wir sehen. Das aus den Spielen gegen Frankreich und Ungarn? Oder das aus dem Spiel gegen Portugal?

Alex: Selbst wenn Deutschland in der Gruppenphase nicht überzeugt hat, würde es mich nicht überraschen, wenn sie in der K.-o.-Phase aufdrehen.

Der Charme des Amateurfußballs. Hendrik Buchheister (2. von links), Pete (3. von links) und James (5. von links) beim Mannschaftsfoto. Alex fehlte leider.

Der Charme des Amateurfußballs. Hendrik Buchheister (2. von links), Pete (3. von links) und James (5. von links) beim Mannschaftsfoto. Alex fehlte leider.

Euer Eindruck ist immer noch, dass Deutschland in großen Momenten zu großer Form aufläuft? Trotz der dürftigen Ergebnisse der vergangenen Jahre?

Alex: Auf jeden Fall. Bei uns ist es das Gegenteil: Wir vergeigen es immer. Schau dir die EM 1996 an. Oder die Goldene Generation in den 2000ern - Lampard, Gerrard, Beckham, Terry. Diese Mannschaft hätte definitiv ein Turnier gewinnen müssen.

James: Deutschland dagegen war in dieser Phase nicht gerade großartig….

Wir hatten Marco Rehmer, Carsten Ramelow und Paolo Rink. Deutschland ist 2002 nur dank Oliver Kahn Vizeweltmeister geworden.

James: Siehst du. Davon können wir nur träumen.

Woran liegt es, dass England trotz toller Spieler nichts gewinnt?

Alex: Zum Teil an den Medien in unserem Land. Vor der EM hieß es, dass Phil Foden der absolute Superstar wird. Wenn er im nächsten Spiel eine Chance vergibt, wird er verteufelt. Ich habe das Gefühl, dass die Presse in anderen Ländern mehr hinter ihrer Mannschaft steht. Und dann gab es in der Vergangenheit natürlich die Rivalität zwischen den Spielern von Chelsea, Manchester United, Liverpool und Arsenal. Sie sind lieber unter sich geblieben und haben in der Nationalmannschaft nicht harmoniert.

James: Man muss auch sagen, dass wir echt Pech hatten. 2006 bei der WM hätten wir gegen Portugal weiterkommen müssen. Im Halbfinale 2018 gab es keinen Unterschied zwischen Kroatien und uns. Falsche Zeit, falscher Ort, so ist das manchmal. Selbst mit einem absurd guten Kader.

Alex: Und dann natürlich das Lampard-Tor gegen euch 2010, das nicht gezählt hat…

Für Deutschland ist der größte Rivale nicht unbedingt England, sondern eher die Niederlande oder Italien. Wie ist das aus eurer Sicht? Ist Deutschland Englands ärgster Feind?

Pete: In den vergangenen zehn Jahren hat die Rivalität sicher nachgelassen. Als wir aufgewachsen sind, hatten wir Spiele gegeneinander bei der WM 1990, der EM 1996, der EM 2000 - und natürlich das 5:1 in München 2001. Seitdem haben wir zweimal im Elfmeterschießen gegen Portugal verloren, wir spielen ständig gegen Kroatien, im WM-Halbfinale 2018, in der Nations League, bei dieser EM. Ich kann verstehen, warum viele Leute Deutschland als Rivalen sehen, aber das gilt für mich nicht.

Alex: Ich verbinde mit Deutschland eher unseren Galgenhumor. Wir verlieren immer gegen euch, meistens im Elfmeterschießen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Deutschland je ein richtiger Rivale für mich war. Und diese ganze Sache mit dem Krieg - das ist für unsere Generation so weit weg, daran denke ich gar nicht. Aber, klar: Es gibt einige Zeitungen, die es zu einer großen Rivalität machen. Und das ist dann alles, was man sieht. "England-Fans freuen sich auf faires Spiel gegen Deutschland!" ist halt keine gute Schlagzeile.

James: Die Medien bilden eine Minderheit ab. Wenn man in England die Straße runtergeht, trifft man keine Deutschland-Hasser.

Den Gesang "Ten German Bombers" hört man trotzdem noch im Umfeld von England-Spielen, auch von jüngeren Fans. Warum?

James: Das sind einfach Leute, die irgendwas mitmachen, wovon sie überhaupt keine Ahnung haben. Sie singen auch "Rule Britannia". Dabei bin ich mir sicher, dass ein 17-Jähriger aus Wigan keine Ahnung hat, was es damit auf sich hat.

Deutschland gegen England bei einer EM - das gab es zuletzt 1996, beim englischen Heim-Turnier. England wurde damals als cooles Land gesehen. Die Spice Girls, Oasis, "Football's Coming Home". Wo steht England heute?

James: Wir sind definitiv nicht cool. Das war eine Zeit, als 20 Jahre Tory-Herrschaft zu Ende gingen. Alles schien im Aufbruch, das Millennium stand bevor. Jetzt fühlt es sich an, als hätten wir uns rückwärts entwickelt. Die Torys sind wieder an der Macht, wir haben keine Freunde in Europa…

Alex: Alles schien so optimistisch damals. Jetzt sieht es aus, als stünden wir am Anfang eines ziemlich schlechten Weges - mit Brexit und dem Umgang mit der Pandemie. Das Land ist mehr gespalten denn je.

Es heißt, der Fußball könnte das Land vereinen. Das ist doch Unsinn, oder?

Alex: Falls wir Europameister werden, würde es für zwei Wochen die Risse verdecken. Danach wäre alles wieder wie immer.

James: Fußball ist ziemlich einzigartig, weil er so viele Menschen zusammenbringt. Gleichzeitig gibt es so scharfe Klub-Rivalitäten wie zwischen Manchester United und Liverpool. Der Fußball kann auch spalten.

Alex: Man sieht das oft bei England-Spielen: Jeder ist für Raheem Sterling, solange er Tore schießt. Geht etwas schief, ist er wieder der Spieler von Manchester City.

James: Man kann das mit der Pandemie vergleichen. Für ein paar Wochen saßen wir alle im gleichen Boot, aber es hat nicht lange gedauert, bis es überall Streit gab. Wenn ich mich an ein Ereignis erinnere, wo wir wirklich zusammengekommen sind, sind das die Olympischen Spiele 2012 in London. Ansonsten sind wir ein in uns gekehrtes, gespaltenes Land.

Ihr wart alle schon in Deutschland. Was sind eure Erfahrungen?

Pete: Die Leute sind einfach freundlich und liebenswert. Ich denke, wir sind uns kulturell ziemlich ähnlich - wir mögen einen Drink, wir mögen gutes Essen. Und natürlich Fußball.

Alex: Ich habe mich in Deutschland immer willkommen gefühlt. Und was wir manchmal gar nicht wahrnehmen: Wo immer wir hinkommen, sprechen die Einheimischen mit uns Englisch. Ganz ehrlich: Unser Land ist schlecht darin, Fremdsprachen zu sprechen, mich eingeschlossen. Es wurde nie als wichtig angesehen, eine andere Sprache zu lernen. Wir können uns immer darauf verlassen, dass die anderen Englisch können. Das macht uns faul.

James: Das fühlt sich hier alles wie eine Therapie-Sitzung an…

Dann direkt weiter: Warum kann England keine Elfmeter schießen?

Pete: Wir haben doch bei der WM in Russland ein Elfmeterschießen gewonnen. Und gegen die Schweiz, in der Nations League.

James: England hat immer große, starke Spieler gehabt, die den Ball hart treten oder köpfen können. In den vergangenen Jahren hat man mehr Spieler gesehen, die ein bisschen wie Messi sind. Nicht so gut natürlich, aber eben technischer. Was ich sagen will: Wir haben mittlerweile Spieler, die nachweislich besser gegen den Ball treten können und deshalb bessere Elfmeter schießen. England und Deutschland sind bei Elfmetern auf dem gleichen Niveau, davon bin ich überzeugt. Aber wir werden es nie herausfinden, weil Deutschland eh in der regulären Spielzeit 3:0 gewinnt.

Warum so pessimistisch?

James: Deutschland ist die bessere Mannschaft.

Alex: Nicht im Moment.

Ihr versucht doch nur, die Erwartungen zu dämpfen, um nicht enttäuscht zu werden.

Alex: Ja, eine sehr britische Eigenschaft.

Pete: Ich bin als Tottenham-Fan gewohnt, das Schlimmste zu erwarten.

Alex: Ich denke wirklich, dass es selten einen besseren Zeitpunkt gab, um gegen Deutschland zu spielen.

Mit Alex, Pete und James sprach Hendrik Buchheister

Quelle: ntv.de

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