Rangnicks Rebellen machen Spaß Mbappé blutet stark, sorgt für Ärger und muss in Klinik

Frankreich ist ein großer Favorit auf den Titel bei dieser Fußball-Europameisterschaft. Und die Mannschaft muss direkt voll auffahren, denn Auftaktgegner Österreich ist extrem unbequem. Besonders schmerzhaft endet der Abend für Kylian Mbappé.

Kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit erlaubte sich Frankreichs Fußball-Superstar eine taktische Dreistigkeit und zog damit die Wut der österreichischen Bank und der Fans auf den Tribünen auf sich. Obwohl Kylian Mbappé nach einer Behandlung noch nicht wieder die Erlaubnis hatte, aufs Feld zurückzukehren, tat er genau das. Er ging ein paar Schritte, dann legte er sich hin. Er blutete nach einem Zusammenprall mit Kevin Dansos Schulter heftig aus der Nase. Das Trikot färbte sich rot. Gelb war die Folge.

Das Spiel war unterbrochen und Frankreich konnte tun, was es bereits zuvor hatte tun wollen, aber noch nicht durfte: auswechseln. Für den schwer angeschlagenen Stürmer kam der hünenhafte Olivier Giroud. Die "Équipe Tricolore" taumelte dem Zielstrich entgegen, mit allen Tricks und einem knappen 1:0, erzielt auch noch von Österreichs Pechvogel Maximilian Wöber, auf den Schultern. Die Alpen-Fußballer taten alles, rannten verzweifelt an - und verloren 0:1.

Die Fußball-Welt war an diesem Dienstagabend also doch nicht aus den Fugen geraten. Was wäre das nur für eine Sensation gewesen, wenn die Mannschaft von Ralf Rangnick dem großen Titelfavoriten in der Düsseldorfer Arena am ersten EM-Spieltag etwas Zählbares abgetrotzt hätte? Im Land der Berge, im Land am Strome wären sie völlig narrisch geworden. Noch ein bisschen mehr als ohnehin schon. Denn seit der deutsche Taktikprofessor im Amt des Bundestrainers ist, sich schweren Herzens gegen die Avancen des FC Bayern und für die Liebe der Alpenrepublik entschieden hat, ist die Ski-Nation plötzlich auch ein Land der kollektiven Fußball-Begeisterung.

Österreich - Frankreich 0:1 (0:1)

Tor: 0:1: Wöber (38., Eigentor)

Österreich: Pentz - Posch, Danso, Wöber (59. Trauner), Mwene (88. Prass) - Seiwald, Grillitsch (59. Wimmer) - Laimer (90.+Schmid), Baumgartner, Sabitzer - Gregoritsch (58. Arnautovic); Trainer: Rangnick

Frankreich: Maignan - Kounde, Upamecano, Saliba, Theo Hernandez - Kante - Griezmann (90. Fofana), Rabiot (71. Camavinga) - Dembele (71. Kolo Muani), Mbappe (90. Giroud), Thuram. - Trainer: Deschamps

Schiedsrichter: Jesus Gil Manzano (Spanien)

Im Stadion, in dem vor wenigen Wochen Gastgeber Fortuna Düsseldorf einen Relegations-Alptraum gegen den VfL Bochum erlebt hatte, baute sich auch an diesem Abend eine rot-weiße Wand auf. Ihr gegenüber stand eine blau-weiß-rote. Es war stimmungsvoll. Einzig beim Singen der Hymne hatten die Franzosen die Nase klar vorn. Aber wer kann gegen die "Marseillaise" schon bestehen? In allerbester Laune war die Fans beider Mannschaft im frühsommerlichen Düsseldorf zum Stadion flaniert, am Rheinufer. Viele verkleidet, wie passend in der Karnevalsmetropole.

Das waren schöne, freundliche und bunte Bilder. Um die ringen die Franzosen derzeit politisch. Das Spiel stand massiv unter dem Einfluss des Rechtsrucks bei den Europawahlen zuletzt in der Heimat von Mbappé und Co. und die Stars nutzten ihre große Popularität, um die Menschen daheim aufzurütteln, das Land bei den anstehenden Parlaments-Neuwahlen nicht in die Hände der Rechtsextremen fallen zu lassen. "Es ist ein entscheidender Moment in der Geschichte unseres Landes", hatte Mbappé betont, er warnte vor "allen Ideen, die spalten".

Pentz verhinderte das frühe Unglück

In der Arena blieb die Sorge außen vor. Europameisterschaft, die nächste Titelmission. Der Superstar war bereit, lockerte sich im Spielertunnel mit den Einlaufkindern auf. Das waren wieder schöne, freundliche Bilder. Ein Gigant zum Anfassen. Das, was den Jungs und Mädchen vor Anpfiff gelang, schafften die Österreicher dagegen allerdings erstmal nicht. Nach acht Minuten sprintete er allen davon und scheiterte nur an Patrick Pentz. Rasend schnell und direkt war das gespielt. So rasend schnell und so direkt, dass die Österreicher völlig die Orientierung verloren. Nichts daran war bis vor ein paar Monaten überraschend gewesen. Die Weltnation Frankreich gegen die Nicht-Weltnation Österreich. Die Kraftverhältnisse waren klar, eine Sensation ausgeschlossen.

Aber dann kam Rangnick im Sommer 2022 in die Alpenrepublik und tobt sich seither an der vielleicht goldensten Generation des Landes aus. Mit Erfolg. 23 Spiele wurden unter seiner Regie bestritten, nur 6 gingen verloren. Zweimal jetzt gegen Frankreich. Und so tauchen die Österreicher auf der Liste der Geheimfavoriten immer mal wieder auf. Und sie untermauerten diesen Status, der allerdings auch eine immense Fallhöhe mit sich bringt und bereits am Freitagabend (18 Uhr gegen Polen) mit einem bösen Stolperer enden könnte, in Düsseldorf.

Sie hatten Frankreich nahe ans absolute Top-Level getrieben. Jene Mannschaft, die ihre Qualität dem Anlass entsprechend so fein dosieren kann. In Testspielen etwa gibt es nicht selten Bocklos-Anfälle, das aufstrebende DFB-Team hatte davon in den vergangenen neun Monaten zweimal profitiert. Und in Turnieren brennt die "Équipe Tricolore" von ihrem gelassenen Trainer-General Didier Deschamps selten ein Feuerwerk ab, sondern reüssiert mit einem häufig sehr unansehnlichen, beamtenartigen Pragmatismus.

Von einem Feuerwerk waren sie abermals weit entfernt, aber mit einem gemütlichen Start ins Turnier wurde es auch nichts. Die Österreicher kämpften sich schnell frei, hielten mit Mut, Überzeugung, Leidenschaft dagegen. Und mit Elementen der alten Rangnick'schen Pressingschule. Aus einer passiven Haltung gab es urplötzliche Überfalle, das mochten die Franzosen nicht. Aber sie sind halt klasse Fußballer und finden immer Lösungen.

Vor allem über N'Golo Kanté. Der hatte der großen Bühne im vergangenen Sommer abgeschworen, sich für das große Geld entschieden und war, wie viele andere auch, der saudischen Sportswashing-Offensive erlegen. Der Ex-Weltklasse-Sechser verschwand im Wüstensand, im sportlichen Nirwana. Und nicht wenige dachten, er würde als großer Fußballer nicht mehr wiedergesehen. Doch Deschamps holte ihn zum Turnier zurück und kann sich auf den Altmeister immer noch voll verlassen. Der rannte jedes Loch zu, ein nicht zu stoppender Derwisch. Überall war er und nirgendwo. Immer im Sprint und mit überragendem Timing. Das rang selbst Rangnick Respekt ab.

"Eine krasse Fehlentscheidung"

"Es geht ihm gar nicht gut."

"Es geht ihm gar nicht gut."

(Foto: AP)

Bis zur letzten regulären Minute und neun Minuten darüber hinaus mussten die Franzosen hellwach bleiben, um sich neben der blutigen Nase des 180 Millionen Euro wertvollen Mbappé und dem Kopfkratzer von Antoine Griezmann nicht auch noch eine arg schmerzhafte Ergebniswatschn einzufangen. Der Superstar musste noch am Abend ins Krankenhaus gefahren werden. "Es geht ihm gar nicht gut. Er ist jetzt bei den Ärzten. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber es ist kompliziert", sagte Deschamps, noch ohne die Diagnose zu kennen. Später hieß es aus Frankreich, dass sich der 25-Jährige, der nach der EM zu Real Madrid wechselt, die Nase gebrochen hat. Um eine Operation soll er immerhin herumkommen.

Im Glauben an die Sensation rannten die Österreicher derweil weiter an. Eine Welle nach der anderen baute sich über die robusten, aber nicht unfairen Verteidiger um Danso auf, rollte auf Frankreich zu, aber prallte an deren Abwehr um Bayern-Star Dayot Upamecano ab. Der, so sagte Rangnick, sei heilfroh gewesen, als das Spiel zu Ende war. Auch Bankdrücker Ibrahima Konaté haben ihm das bestätigt, verriet Rangnick um kurz vor Mitternacht. Die beiden Abwehrhünen entstammen dem Red-Bull-Imperium, deren Mastermind der deutsche Coach ja lange war. "Wir haben in 100 Minuten kein Tor von Frankreich zugelassen", lobte der stolze Rangnick seine Mannschaft. Er könne niemandem in seiner Elf "irgendeinen Vorwurf machen, was Engagement, was Laufbereitschaft angeht. Wir haben bis zum Schluss alles auf dem Platz gelassen."

In ihrem wilden Anrennen, getragen von der emotionalen Bank, trafen die Österreicher aber nicht immer die richtigen Entscheidungen, wie Rangnick später monierte. Gerade im letzten Drittel fehlte die Genauigkeit. Und so blieb es bei einer Riesenchance. Marcel Sabitzer legte für Christoph Baumgartner ab, der scheiterte am glänzend reagierenden Mike Maignan. Aber immerhin Ecke, dachte man. Weil ja klar war, dass der Torwart den Einschlag verhindert hatte (36.).

Aber der spanische Top-Schiedsrichter Jesus Gil Manzano hatte das anders gesehen. Auf Abstoß zu entscheiden, dürfte er weltexklusiv gehabt haben. "Eine krasse Fehlentscheidung vom Schiedsrichter", ärgerte sich Rangnick. Nicht die einzige. So beklagte der Coach vor allem die Unwucht bei den Gelben Karten (5:2). Einige Franzosen hatten bei ihren Aktionen durchaus den Bonus, große Stars im internationalen Fußball zu sein. Und so schlug das Pech der Ecken-Fehlentscheidung doppelt zu. Zwei Minuten später führte Frankreich. Mbappé hatte gegen den bereits verwarnten Phillipp Mwene das Tempo angezogen und in die Mitte geflankt. Dort konnte Max Wöber seinen Kopf nicht mehr wegdrehen und so flog der Ball in die lange Ecke.

"Wir sind ja keine Traumtänzer"

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Ein solch bitteres - pardon - Kacktor machte an diesem Abend eben den Unterschied. Wenngleich die Kraftverhältnisse zwischenzeitlich stark auf die Seite der Franzosen gekippt waren, wie Rangnick anerkannte. Die klar besseren Chancen schob er dem Gegner zu. Immer wenn sie schnell spielten, über die lustvollen und trickreichen Marcus Thuram und Ousmane Dembélé, wurde klar, warum sie ein Top-Titelfavorit sind. Aber weil die "Les Blues" ihre Chancen eben nicht nutzten, weil Mbappé einen Ball alleine im Duell mit Keeper Pentz auf unerklärlich deutliche Weise vorbeischlenzte, blieben die Österreicher im Spiel und in der Nähe der Sensation. Der Stürmer konnte seinen Blackout vor dem Tor selbst nicht fassen und lachte verzweifelt. Das wäre die Entscheidung gewesen.

So blieb es ein mitreißender Kampf. Die Franzosen konterten, die Fußball-Rebellen von Rangnick versuchten alles. Es wogte hin und her. Kein anderes Spiel bei diesem Turnier war bislang so spannend und kurzweilig. Aber weder die Stürmer Michael Gregoritsch noch das eingewechselte und lautstark gefeierte "enfant terrible" Marko Arnautović konnten sich im Strafraum durchsetzen. "Unterm Strich hat Frankreich so viel Qualität, dass man am Ende auch sagen muss, ganz unverdient war der Sieg nicht", gestand Rangnick ein. "Wir waren nah dran und hätten bis zum Schluss den Ausgleich schießen können. Wir wussten, dass wir das Spiel gegen Frankreich verlieren können. Wir sind ja keine Traumtänzer." Aber dafür eben mittlerweile eine viel beachtete Fußball-Nation, der große Dinge zugetraut werden. Vielleicht (noch) nicht die ganz großen.

Quelle: ntv.de

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