"Will es nicht wahrhaben" Mats Hummels, (k)eine Heldengeschichte

Mats Hummels schreibt das erste Kapitel einer Geschichte, die anders endet als gewünscht.

Mats Hummels schreibt das erste Kapitel einer Geschichte, die anders endet als gewünscht.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mats Hummels kehrt unmittelbar vor der Fußball-Europameisterschaft zur Nationalmannschaft zurück, mit großen Ambitionen und einem großen Rucksack voller Hoffnungen. Als Ergebnis der Mission steht Enttäuschung. Ist es auch das Ende für Hummels als Nationalspieler?

Es hätte der Beginn einer ganz, ganz großen Geschichte werden können: Mats Hummels, der von Joachim Löw für eine finale gemeinsame Mission der einstigen deutschen Fußball-Helden begnadigte Aussortierte, fuhr in der 45. Minute von Löws 198. und letzten Spiel als Bundestrainer das Bein ganz lang aus - und klärte in allerhöchster Not, unmittelbar vor dem eigenen Tor. Es war wieder eines dieser Exemplare der aussterbenden Gattung "Heldengrätsche", wie sie niemand mehr so schön pflegt wie Mats Hummels. Sie verhinderte die sichere Führung Englands, es wäre schon da der Anfang vom Ende des Bundestrainers gewesen.

Was für eine schöne, was für eine mächtige Aktion. Als das EM-Achtelfinale der deutschen Mannschaft in Wembley abgepfiffen war, war sie freilich nutzlos. Weil Thomas Müller, der andere alte Held, nicht seinen Beitrag zur schönen Geschichte beitrug, sondern mit einem bitteren Fehlschuss das Schicksal Löws besiegelte.

Müller sollte dem nicht immer zielgerichteten, in letzter Konsequenz zu inkonsequenten deutschen Angriffsspiel neue Effizienz verpassen, das war der Auftrag an den Münchner Raumdeuter. Es ist beinahe tragisch, dass eben dieser Müller, der keinesfalls enttäuschte und diesem nie stabilen Team wichtige Impulse lieferte, am Ende zum Posterboy des deutschen Scheiterns wurde. Hummels dagegen lieferte ein gutes Bild, das mit der Grätsche, als alles noch gut war. Für diese Bilder sollte er sorgen, das war die Idee. Der Fels im anbrandenden Angriffswirbel, der auf die deutsche Hintermannschaft zukam. Ein Teil der Wahrheit: Bei beiden englischen Toren kam Hummels nicht in die entscheidenden Zweikämpfe, die Fehler freilich waren schon vorher auf der Außenbahn passiert.

"Turnier als Enttäuschung abhaken"

Hummels war von Löw nach rund zweieinhalb Jahren aus der Verbannung fürs Jetzt zurück in die Mannschaft geholt worden, nicht mehr. Er sollte helfen, dem Bundestrainer, der selbst keine Zukunft beim DFB hat, einen guten, im Idealfall erfolgreichen Abschied zu verschaffen. Pläne über diese jetzt arg früh zu Ende gegangene Europameisterschaft hinaus gibt es nicht. Klar ist: Mit 32 Jahren und unübersehbaren Geschwindigkeitsdefiziten ist der Routinier nicht der Mann der Zukunft, nicht das Symbol des Umbruchs, der mit dem Beginn der nun startenden Ära Hansi Flicks einhergehen wird.

Klar ist aber auch: Mats Hummels ist ein Verteidiger von einzigartigem Format, hat eine beeindruckende Bundesligasaison gespielt und sieht man es ganz pragmatisch: Dieser Mats Hummels, der nach dem WM-Desaster 2018 geopfert wurde, ist in der deutschen Innenverteidigung eigentlich unverzichtbar. Stark im Spielaufbau, präsent, Führungsfigur. Es wird schwer, einen besseren zu finden als den Dortmunder, jedenfalls mit diesem Zuschnitt. Kassiert Flick, und davon ist dringend auszugehen, Löws Idee von der Dreierkette, gilt das noch viel mehr. Matthias Ginter ist eine Bank, aber der Gladbacher hat Schwierigkeiten im Spielaufbau. Antonio Rüdiger ist ein bärenstarker Zweikämpfer, in der Vorwärtsbewegung aber auch bisweilen hilflos. Robin Koch spielte bei der Europameisterschaft nicht eine Minute, auf internationalem Parkett fehlt dem ehemaligen Freiburger die Erfahrung.

Hansi Flick hat sich öffentlich noch nicht zu seinen Personalüberlegungen geäußert. Ob er auf Hummels, den Heldengrätscher, würde bauen können, ist derweil noch nicht ausgemacht: "Das werde ich irgendwann in ein paar Wochen mal machen", sagte Hummels kurz nach dem Spiel. Er will seine Gedanken erstmal ordnen, nachdem er sich mit dem Thema während der EM nicht befasst habe. Ausgeschlossen sei nichts, hatte er vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Ungarn versichert, eine Fortsetzung der DFB-Karriere eingeschlossen: "Dafür muss allerdings vieles passen: meine Leistungen, meine Fitness, die Pläne des neuen Bundestrainers Hansi Flick. Was ich sagen kann: Ich bin unheimlich stolz, für Deutschland zu spielen." Und ja, "wir hatten einen super Spirit und ein super Teamgefühl. Es war vieles besser, als es seit Tagen und Wochen geschrieben wird", sagte der Dortmunder. Aber sicher: "Das Turnier muss ich jetzt alles in allem leider als Enttäuschung abhaken."

Schweinsteiger glaubt an das Ende

Ist Mats Hummels also vielleicht doch ein Mann für Katar 2022? Bastian Schweinsteiger, Weltmeister-Kollege und langjähriger Wegbegleiter, rechnet nicht damit. Nein, sagte Schweinsteiger, er denke eher, dass mit der Ära Löw auch das kurze DFB-Comeback von Thomas Müller und eben Mats Hummels wieder Geschichte sei. "Wenn sie Erfolg gehabt hätten, wäre dieser auch an den beiden festgemacht worden", sagte der 36-Jährige weiter. Da nun aber bereits im Achtelfinale Schluss ist, rechnet Schweinsteiger mit dem Ende der Nationalmannschaftskarrieren beider Spieler. Das Desaster, mit der die WM 2018 endete, wurde nicht repariert. Damals spülte es Hummels aus dem DFB-Team, erst im Mai, wenige Wochen vor der EM, kehrte er zurück.

Hummels ist diesmal kein Verlierer innerhalb dieser letztlich gescheiterten Mission von 26 Fußballprofis und ihrem Coach, für den jetzt Schluss ist als Bundestrainer. Der Dortmunder präsentierte sich individuell mindestens solide in einer strukturell häufig überforderten Dreierkette, diesem immer ungeliebten System der gegenseitigen Abhängigkeiten, mit dem die Mannschaft stets fremdelte. Hummels strahlte Ruhe aus, seine eigenen Ziele - sich "in bestmögliche Verfassung zu bringen" sowie sich "sportlich und als Typ voll einzubringen" und mit "das Kommando zu übernehmen" - erreichte er. Das Ganze passierte geräuschlos. Wie von ihm angekündigt wurde nicht die ganze Hierarchie im Team auf den Kopf gestellt. "Hierarchien", so urteilte Hummels, seien ohnehin "eher ein Thema von außen". Dem Schock durch das spielentscheidende Eigentor gegen Frankreich zum Trotz, auch unbeeindruckt von den schmerzenden Knien, die das Portugal-Spektakel mit sich brachte, stabilisierte Hummels, ohne freilich die Kämpfe der deutschen Hintermannschaft mit sich selbst befrieden zu können.

"Die EM ist für uns vorbei"

Am Ende lag die nie abgelegte defensive Wackeligkeit, die letztendlich zu sieben Gegentoren in vier Spielen führte, auch daran, dass die EM-Abwehr vor der EM nur zweimal zusammenspielen konnte. "Die Chance, ein Team zu werden und zusammenzuwachsen, hat Löw seinen Spielern genommen", sagte der ehemalige Nationalspieler Dietmar Hamann und betonte: "Jeder wusste doch schon lange, dass Müller und Hummels zur EM zurückkehren würden. Wenn der Bundestrainer sie dann spätestens im vergangenen Herbst zurückgeholt hätte, dann hätte er der Mannschaft wenigstens die Möglichkeit gegeben, sich zumindest in fünf, sechs Spielen und über mehrere Monate hinweg miteinander vertraut zu machen." Es kam anders und jetzt ist Schluss. Zumindest für Löw. Wie es für Hummels weitergeht, ist noch nicht geklärt.

Da ist erstmal Enttäuschung: "Die EM ist für uns vorbei und ich sitze hier im Bus und will es nicht wahrhaben. So richtig kriege ich auch meine Gedanken nicht gesammelt, habe aber das Bedürfnis zu schreiben, was in mir vorgeht", schrieb Hummels auf Instagram. "Die Enttäuschung ist riesengroß, bei uns allen." Aber die Weltmeisterschaft in Katar 2022 und die Heim-Europameisterschaft 2024 würden ihn "definitiv" reizen, hatte der Abwehrspieler vor dem Ungarn-Spiel der "Sport Bild" gesagt.

Quelle: ntv.de

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