Fußball

"Zum Ehrenpräsidenten ernennen" Benzema, Reals Klubheiliger mit dem Makel

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Karim Benzema ist ein Phänomen: Gegen Real Madrid liefert der Angreifer eine Gala. Der Franzose wirft das Edelensemble von Paris Saint-Germain tief in die Depression und stellt selbst diverse Bestmarken auf. Die Kollegen staunen.

Es ist der Nikolaustag 2004, als ein Teenager erstmals auf der ganz großen Bühne ganz großen Eindruck hinterlässt: Ein erst 17-jähriger Stürmer trifft für den französischen Spitzenklub Olympique Lyon erstmals in der Champions League, bei seinem ersten Einsatz. Karim Benzema heißt der Junge, der nach 33 Minuten die Führung gegen Norwegens Meister Rosenborg Tronmdheim erzielt. Das Spiel endet 2:1, Trondheim scheidet aus, Lyon erreicht immerhin das Viertelfinale des Wettbewerbs. Benzema kommt nicht mehr zum Einsatz.

Das Spiel vom 6. Dezember 2005 wäre auch längst vergessen in den längst unübersichtlichen Archiven der Champions League versunken, wenn es nicht der Beginn einer großen Geschichte wäre, die 2022 zwei ganz große Klubs zusammenbrachte und dann doch schicksalshaft auseinanderführte. Getrennt von Karim Benzema, einem einst 17-Jährigen, der irgendwann in grauer Vorzeit mal gegen Rosenborg Trondheim traf.

"Das ist unmenschlich"

Nachhaltig in Erinnerung brachte Benzema, inzwischen 34 Jahre alt, sein Tordebüt in der Champions League mit einer Gala, die wohl niemand mehr vergessen wird, der ihr Zeuge wurde. 3:1 besiegte Real Madrid im Achtelfinale das Edelensemble von Paris St. Germain. Lionel Messi, Neymar, Kylian Mbappé - allesamt und gemeinsam in den Schatten gestellt von Karim Benzema. 1:0 durfte das mit katarischen Milliarden verzweifelt zum Möchtegern-Champions-League-Sieger gepamperte PSG nach dem 1:0 aus dem Hinspiel auch diesmal noch in Führung gehen, dann schlug mal wieder die Stunde Benzemas.

Der Franzose traf in der 61. Minute zum ersten Mal, in der 76. und 78. Minute dreht er das Achtelfinale dann komplett zugunsten Reals. Erst verwandelte der 34-Jährige nach einem Patzer von PSG-Torhüter Gianluigi Donnarumma, dann vollendete er nach herrlicher Vorarbeit von Luka Modric - und nur zwei Minuten darauf machte er seinen Hattrick mit einem weiteren Rechtsschuss perfekt. Das Bernabeu stand Kopf, die Kollegen staunten: "Er hat heute wieder gezeigt, wie wichtig er für uns ist. Was er für Qualitäten mit sich bringt, ist wirklich unfassbar. Wir sind sehr glücklich, dass er in unseren Reihen ist", sagte Verteidiger David Alaba. Und der ehemalige Profi des FC Bayern freute sich auch über die Atmosphäre, die Benzema mit seiner Gala erst geschaffen hatte: "Das ist unmenschlich, man hat heute gut sehen können, wie das pusht. Mit solchen Fans im Rücken ist so was möglich."

Sein Klub ehrte den Angreifer durch einen Tweet in dessen Muttersprache: "ICI C'EST MADRID" schrieben sie, "Das ist Madrid!". Es war gleichzeitig ein weiterer Schlag gegen PSG, dessen Slogan "Ici c'est Paris" ist. Messi hatte ihn bei seiner umjubelten Ankunft im vergangenen Jahr auf seinem Shirt stehen.

Benzema, der gegen ein am Ende bisweilen panisch wirkendes PSG schon seinen dritten Hattrick in der Königsklasse erzielt und sich dafür einen perfekten Zeitpunkt ausgesucht hatte, schob die Glückwünsche von sich weg und verteilte das Lob an die eigenen Anhänger: "Wir brauchen die Fans und das ist für sie. Es war ein sehr schweres Spiel, aber wir haben bis zum Ende alles gegeben und verdienen es, zu gewinnen. Wir haben das Hinspiel verloren und sie gingen hier mit 1:0 in Führung, aber unsere Fans haben uns gepusht, sodass wir bis zum Ende alles gegeben haben", so Benzema.

"Magisch, historisch"

Der Franzose schob sich mit seinen Treffern 307 bis 309 im Real-Trikot am Klubheiligen Alfredo di Stéfano vorbei, der mit dem "weißen Ballett" den ewigen Ruhm Real Madrids in den 1950er- und 60er-Jahren mit fünf Titeln im Europapokal der Landesmeister maßgeblich begründete. Mit 34 Jahren und 80 Tagen ist Benzema auch der älteste Spieler, dem in der Champions League jemals ein Hattrick gelang. Und dann ist da noch die Sache mit dem Nikolaustag und Trondheim und warum die spanische Fachzeitung "AS" zu Recht huldigte, mit "Benzema ist historisch", und "Marca" von "magisch" sprach.

Der Treffer gegen Rosenborg, spät im Jahre 2005, ermöglichte an diesem magischen Abend von Madrid mehr als 16 Jahre später eine unglaubliche Statistik: Benzema ist der erste Spieler, der in 18 aufeinanderfolgenden Kalenderjahren mindestens einen Treffer in der Champions League erzielt hat. Cristiano Ronaldo? Stieg erst 2006 ins Rennen um diese Bestmarke ein, 2022 traf der Portugiese noch nicht. Lewandowski? Der derzeit gefährlichste Torjäger der Welt spielte erst 2011 überhaupt erstmals in der Champions League. Messi? Traf zwar auch 2005 erstmals und seitdem durchgängig, wird 2022 nun aber frühestens im Herbst nachziehen können. Dank Benzema.

Der ist, wie es "Marca" in einer Huldigung schreibt, "für Real Madrid wertvoller, als der aktuelle Cristiano Ronaldo es wäre. Er wird nicht so viele Tore schießen wie die Nummer 7, aber er ist mehr Madridista als der Portugiese es je war. Er hat nie um eine Gehaltserhöhung gebeten, nie um eine Vertragsverlängerung, und er hat mehr Kritik einstecken müssen als jeder andere. Jetzt sollte man ihn zum Ehrenpräsidenten ernennen oder was auch immer für einen Titel er haben möchte."

Die Schlagzeilen, die Benzema dieser Tage produziert, sind schöner als die, für die er auch schon sorgte: Im November vergangenen Jahres wurde er für seine Beteiligung an der Erpressung seines ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena schuldig gesprochen - und zu einer Haftstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Zudem musste er eine Geldstrafe in Höhe von 75.000 Euro bezahlen.

Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Benzema 2015 in die versuchte Erpressung Valbuenas verwickelt gewesen war. Damals wurde Valbuena bei einem Anruf mit der Veröffentlichung eines intimen Videos gedroht, auf dem dieser zu sehen sei. Benzema hat dabei nach Überzeugung des Gerichts als Komplize agiert. Benzema war zuvor wegen des Falles von Nationaltrainer Didier Deschamps aus der Nationalmannschaft verbannt worden und verpasste so, wie sein Land 2018 Weltmeister wurde. Später wurde er begnadigt und kehrte zur Europameisterschaft 2021 ins Aufgebot der Équipe Tricolore zurück. In Madrid aber hatten sie die ganze Zeit unverbrüchlich an der Seite ihres Torjägers gestanden.

"Das schlimmste Gefühl ist, dass wir besser waren"

In der Saison 2005/06, als der 17-jährige Karim Benzema erstmals in der Champions League traf und Olympique Marseille zum zweiten Mal in Serie französischer Meister wurde, lief Paris Saint-Germain auf Platz 9 der Ligue 1 ein. Meilenweit abgeschlagen von der nationalen Spitze. Die nationale Spitze immerhin haben sie längst inne, auch wenn es in der letzten Saison diesen Ausrutscher mit der verpassten Meisterschaft gab.

Seitdem vor zehn Jahren der katarische Adel beim einstigen Pariser Mittelklasseklub eingestiegen war und viele, viele Öl-Milliarden zurück nach Europa - und direkt in den Kader von PSG gepumpt hatte, gibt es nur ein Ziel: den Gewinn der Champions League. Daran scheitert man erneut, obwohl sich die Franzosen unter katarischer Leitung mit Lionel Messi, Kylian Mbappé und Neymar das aufregendste Offensivkraftwerk der Welt halten. Alleine: Es nutzte mal wieder nichts. Weil Karim Benzema die Energiekrise des Bernabeu mit einer Gala für die Geschichtsbücher löste.

Und, davon sind sie bei PSG überzeugt, auch, weil Danny Makkelie maßgeblich Mist gebaut habe. Berichten spanischer Medien zufolge sollen der katarische Vereinspräsident Nasser Al-Khelaifi und der brasilianische Sportdirektor Leonardo nach der 1:3-Niederlage versucht haben, in die verschlossene Schiedsrichterkabine zu gelangen - um eben jenem Makkelie zumindest ihre Meinung zu einem vermeintlichen Foul vor dem 1:1 mitzuteilen.

Das 1:1, da sind sie sich hüben wie drüben einig, war der Schlüsselmoment dieses aufregenden Achtelfinal-Duells: "Es ist positiv, dass wir uns nach dem 0:1 nicht haben verrückt machen lassen. Die zweite Halbzeit war auf jeden Fall magisch. Wir wussten, dass wir hier in Madrid mit den Fans im Rücken alles herausholen können", analysierte Alaba. "Das erste Tor hat das Spiel komplett verändert", urteilte der nun nicht zu beneidende PSG-Trainer Mauricio Pochettino. "Eine Stunde lang waren wir besser als Real Madrid. Die Atmosphäre im Stadion hat sich verändert. Danach haben wir einige Fehler gemacht, das kann man nicht abstreiten. Das schlimmste Gefühl ist, dass wir die bessere Mannschaft waren, aber wir haben das Spiel innerhalb von zehn Minuten verloren."

Kylian Mbappé, Benzemas Kollege in der französischen Nationalmannschaft, hatte wie schon im Hinspiel für PSG getroffen. Gegen seinen wohl neuen Verein. Mbappé zieht es seit Monaten mit aller Macht zu Real Madrid. Im Winter stand der Wechsel offenbar schon kurz bevor, nun dauert es wohl noch ein paar Monate mehr, bis Mbappé seine Koffer in Paris packt und ablösefrei nach Madrid wechselt. Manche fragen ketzerisch: Wer braucht Mbappé, wenn er schon Benzema hat?

Quelle: ntv.de

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