Toxische Märchen-Ehe beim BVB Edin Terzić reicht rechtzeitig die Scheidung ein
13.06.2024, 17:14 Uhr
Für Edin Terzić ist das Traineramt bei Borussia Dortmund ein Traumjob. Dennoch bittet er nur wenige Tage nach dem Wembley-Spektakel um die Auflösung des Vertrages. Diese Saison, in der es nie ruhig werden will, laugt ihn offenbar aus.
Im schlimmsten Moment seines Trainerlebens ist die "Süd" an seiner Seite. Weinend steht Edin Terzić am späten Nachmittag des 27. Mai 2023 vor der legendären Tribüne des Dortmunder Stadions, kann nicht begreifen, was für eine historische Chance an ihm und seiner Borussia vorbeigerauscht ist. Statt die ewige Dominanz des FC Bayern zu durchbrechen, erlebt der BVB gegen den FSV Mainz 05 am 34. Spieltag der vorvergangenen Saison eine gigantische Panikattacke und bricht unter dem Druck der zum Greifen nahen Meisterschaft zusammen. In Köln-Müngersdorf können die Münchner ihr Glück nicht fassen, toben, feiern. Im alten Westfalenstadion rücken sie im großen Drama ganz eng zusammen, geben sich gegenseitig Halt. So sieht halt "Echte Liebe" aus. Ein Jahr später hat es sich ausgeliebt. An diesem Donnerstag wurde die Scheidung eingereicht, auf Wunsch von Terzić.
Das Band zwischen "Süd" und Terzić, es ist in diesem Moment am späten Samstagnachmittag des 27. Mai 2023 eng, unzertrennbar. So fühlt es sich an. Doch in diesem Moment, der so große Gefühle in die Welt transportierte, zwischen Mitgefühl und Gänsehaut, ging etwas kaputt. Etwas, das offenbar nicht mehr zu kitten war. Von der verschenkten Titelchance konnte sich der Klub eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr erholen. In der Bundesliga stürzte der BVB in dieser Saison von der Spitze (Vize-Spitze, um genau zu sein) ins triste Feld der chancenlosen Verfolger. Platz fünf stand am Ende, das ist eine große Enttäuschung. Für Momente aufgewogen wurde sie nur durch die magischen Nächte in Europa. Bis ins Finale stürmten die Dortmunder. Und so richtig konnte niemand sagen, wie das gelungen war. Wie dieser Ritt über den fußballerischen Pump-Track zu erklären ist.
Eine Liga-Saison zum Vergessen
Auch der Mann nicht, der als erster in der Pflicht steht, das zu tun: Terzić eben. Zu kaum einer Zeit in dieser Saison war es ruhig um ihn geworden. Die Kritik wuchs von piano pianissimo zu forte fortissimo. Zur Winterpause hin wurde es richtig knirsch für ihn. Mehrere Medien schrieben ihn ganz nah an eine vorzeitige Trennung. Klub-Chef Hans Joachim Watzke, der lange die schützende Hand über den Trainer hielt, dementierte zwar vor wenigen Wochen noch, dass Terzić kurz vor einem Rauswurf stand, aber zumindest wurde Konsequenzen gezogen. Mit Nuri Şahin und Sven Bender kehrten zwei Ikonen des BVB zurück und schlüpften in die Rollen der durchaus mächtigen Co-Trainer. Şahin könnte nur sogar in die Chefrolle aufrücken. Terzić betonte, dass er sich über die Unterstützung freue, aber es gab Stimmen, die darin eine Absicherung sahen, für den brisanten Fall, dass sich der sportliche Absturz ungebremst fortsetzen würde. Nach dem letzten Spieltag des Jahres 2023 lag der BVB 15 (!) Punkte hinter Tabellenführer Bayer Leverkusen.
Die Dortmunder hatten sich in der Hinrunde verloren. Schon der Start ging völlig in die Binsen. Zittersieg gegen den 1. FC Köln, Punktverlust beim VfL Bochum, Blamage gegen den 1. FC Heidenheim. Die Hinrunde blieb eine Qual, auf starke Spiele folgten immer wieder rätselhafte Auftritte. Nur in der Champions League zeigte der BVB Spitzenteam-Qualitäten. Schnell musste sich Terzić große Vorwürfe anhören, dass er die Mannschaft nicht entwickeln würde, dass keine Spielidee deutlich werde, dass er diesen vom Offensivfußball beseelten Klub zu defensiv agieren lasse, dass zu viele Leistungsträger plötzlich tief in Höhlen verschwunden waren. Zu einem Gesicht der Krise wurde Sébastien Haller. In der Rückrunde auf dem Weg zum (verpassten) Titel blühte er nach überstandener Krebserkrankung auf. Wurde dann zum tragischen Helden gegen Mainz 05, als er einen Elfmeter verschoss, und fiel schließlich in eine sportliche Krise, die niemals enden wollte.
Großer Konflikt mit Hummels
Er konnte nicht mehr aufgefangen werden. Niemand konnte mehr aufgefangen worden. Das machte auch die Integration der Neuzugänge schwierig, die den Kader nicht besser machten. Auf den Abgang von Weltstar Jude Bellingham fanden die Borussen keine Antwort. Felix Nmecha ging völlig unter. Marcel Sabitzer wies immerhin im Saisonendspurt nach, dass seine Verpflichtung eine durchaus gute Idee sein kann. Niclas Füllkrug ackerte viel, traf, ist aber kein garantierter 20-Tore-Stürmer (zwölf Liga-Treffer erzielte er). Terzić musste dem erneuten Qualitätsverlust leben, fand aber eben keine guten Antworten. Immer wieder suchte er danach, verzweifelt.
Beinahe philosophisch bis hin zur Postkarten-Weisheit versuchte er die Dinge zu analysieren, stets mit reichlich Pathos. Es ging um Demut und Fleiß. Die Resultate und vor allem die Leistungen blieben überschaubar, die Kritik wuchs. Terzić schaffte es nicht mehr, Zustimmung für seinen Weg zu generieren. Zu wenig Glauben, die Wende zu schaffen. Er spürte augenscheinlich keine Wertschätzung, kein uneingeschränktes Vertrauen. Und immer wieder gab es Berichte, über Misstöne zwischen Coach und Teilen der Mannschaft. Vor allem mit den beiden Ikonen Marco Reus, oft nur noch Ersatzmann, und Mats Hummels, soll es Konflikte gegeben haben, die sich auf große Teile des Kaders ausgedehnt haben sollen. Zu Ungunsten von Terzić.
Und Hummels ließ den ausgerechnet vor dem Champions-League-Finale eskalieren. In der "Sport Bild" bekannte er, dass er in der Hinrunde nach den Pleiten in der Liga und im DFB-Pokal "stocksauer" gewesen war. "Ich fand, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich habe mich in meiner Ehre gekränkt gefühlt, so in diesem Trikot auf dem Platz zu stehen. So unterwürfig, so fußballerisch unterlegen." Er habe "sehr viele Anregungen gegeben", wie man es hätte besser lösen können, auch mit dem Trainerstab sei er dazu in Kontakt gewesen. Mehr Frontalattacke auf den Trainer geht nicht. Auch Terzić ging in dieser Saison auf Hummels los, klagte etwa über seine Notbremse und die Rote Karte gegen RB Leipzig. Höhepunkt des Zoffs war, so berichtete Sky diese Woche, dass Hummels seinen Verbleib beim BVB davon abhängig gemacht haben soll, dass Terzić nicht Trainer bleibt.
Doch auch wenn die Trennung nun die Chancen für eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Abwehrchef und dem BVB zu erhöhen scheint, soll alles anders kommen. Laut "Ruhr Nachrichten" wird Hummels' Vertrag nicht verlängert. Damit muss er den Verein am 30. Juni verlassen und ist als Vereinsloser frei für ein neues Team.
"Danke und auf Wiedersehen"
Wäre der zweite Weg, der durch Europa, nicht so erfolgreich gewesen. Vermutlich wäre das Ende von Terzić schon früher besiegelt gewesen. Aber weil sich der BVB mit gigantischer Leidenschaft, mit Mut und Glück bis nach Wembley gespielt hatte, wo Real Madrid eine Nummer zu abgezockt war, wurde plötzlich berichtet, dass der Klub den Trainer länger binden könnte. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung war nun (mediales) Thema. Aber die Dinge gehen in eine andere Richtung. Terzić bat laut Klubmitteilung um Auflösung des Vertrags. Und womöglich hat diese Entscheidung auch mit dem zweiten bitteren Scheitern in seiner Trainerkarriere zu tun.
In der Nacht von Wembley bekam er wieder Anerkennung. Dieses Mal von José Mourinho. Er nahm Terzić in den Arm, sprach ihm große Worte für die "großartige" Arbeit zu. Keine Kritik, keine Zweifel. In England genießt der 41-Jährige ohnehin einen guten Ruf. Diesen hatte er bei vielen eigenen Fans verspielt. Ungeachtet der Debatten in der Heimat sollen ihn mehrere Klubs auf dem Zettel haben. Ein schnelles Engagement gilt als ausgeschlossen.
Der "Junge aus der Kurve", der Fan, der seinen Traum beim BVB lebte, der über das Scouting und die U17 zum Trainer der Profi-Mannschaft wurde, verlässt den Klub. Der Traum von einer neuen Ära endet jäh. Seit Jürgen Klopp hat es kein Trainer mehr geschafft, beim BVB ein prägendes Erbe zu hinterlassen. Terzić geht und das zur richtigen Zeit. Der Verein braucht einen Neuaufgang, die zukunftslose Mannschaft mit scheidenden Legenden, Leihspielern mit unklarer Zukunft und teuer bezahltem Mittelmaß muss sich verändern. Und wird das auch. Mit Lars Ricken ist bereits ein neuer Boss da, mit Rückkehrer Sven Mislintat ein erprobter Kaderplaner. Terzić spürte offenbar, dass er dafür nicht den uneingeschränkten Rückhalt in der schwarz-gelben Gemeinschaft hatte.
Wohin der Weg des suchenden Giganten aus Dortmund künftig führt? Wieder näher an die nationale Spitze? Oder irgendwo versandet in der tristen Herausforderer-Gruppe? Terzić muss das nicht mehr beschäftigen. Er hat in seinen zwei Jahren den Widerständen getrotzt, bewies immer Haltung. Auch beim Abgang. Der hat großen Stil. In einer Videobotschaft wendet er sich an die Fans. Nach mehreren Anläufen im Ringen um die richtigen Worte fand er sich und schloss das Kapitel Traumjob, als der leidenschaftliche Junge, der er immer war: "Ich wünsche Borussia Dortmund immer nur das Allerbeste und sage Danke und auf Wiedersehen."
Quelle: ntv.de