
Bochums Torwart Patrick Drewes konnte nach dem Feuerzeugtreffer nicht weiterspielen.
(Foto: IMAGO/Matthias Koch)
Knapp vier Wochen nach dem Skandalspiel in Köpenick entscheidet der DFB, die Partie zwischen 1. FC Union Berlin und VfL Bochum für den Revierklub. Auch Union-Präsident Dirk Zingler spricht von einem Skandal - meint aber nicht den Wurf des Feuerzeugs.
Der 1. FC Union Berlin fühlt sich verschaukelt. "Wir werden daher alle uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausschöpfen und gegen das heutige Urteil vorgehen", lässt sich Präsident Dirk Zingler in der entsprechenden Mitteilung zitieren, die den Unmut des Fußball-Bundesligisten ausdrücken soll: "Der eigentliche unsportliche Skandal hat nach dem Ereignis auf dem Rasen und heute vor Gericht stattgefunden." Gemeint ist das Urteil des DFB-Sportgerichts, das Skandalspiel, das sich am 14. Dezember im Stadion an der Alten Försterei zugetragen hat, nachträglich mit 2:0 für den VfL Bochum zu werten. Zinglers (und damit Unions) Argumentation ist mindestens erstaunlich, immerhin kommt sie einer Schuldumkehr gleich.
Dieses "Ereignis", das die Köpenicker in ihrer Aussendung nicht konkret benennen, ist ein Feuerzeugwurf. Aus dem Block der Union-Fans und an den Kopf von Bochums Torhüter Patrick Drewes, beim Stand von 1:1 in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte. "Das war schon ein Treffer, den ich wahrgenommen habe", sagte Drewes dazu in der mündlichen Verhandlung: "Danach wurde es diffus für mich und ich habe nicht alles wahrgenommen, Schwindelgefühle haben eingesetzt." VfL-Mannschaftsarzt Mark Sandfort ergänzte, Drewes habe während der Behandlung auf dem Platz nur mit Verzögerung reagiert, weshalb es für ihn "zweifelsfrei war, dass er aufgrund seiner Symptome nicht weiterspielen kann." Ein Schädelhirntrauma sei nicht auszuschließen gewesen.
Für Zingler ist dem Wortlaut nach "der eigentliche unsportliche Skandal" ja erst "nach dem Ereignis" aufgetreten, "auf dem Rasen" sowie "vor Gericht". Auf dem Rasen wurde Drewes behandelt und dann in die Kabine gebracht, und dort entschied sich der Unparteiische Martin Petersen dazu, die Partie zu unterbrechen. Nach rund 30 Minuten wurde das Spiel ohne Drewes fortgesetzt. Da Bochum sein Auswechselkontingent bereits ausgeschöpft hatte, ging Angreifer Philipp Hofmann kurzzeitig ins Tor. Beide Teams passten danach den Ball lediglich hin und her, um die Begegnung zu beenden.
DFB sieht keine Hinweise auf Komplott oder Schauspielerei
Petersen hat selbst Erfahrung mit Drewes' Situation: 2015 hatte er ein DFB-Pokalspiel zwischen Osnabrück und Leipzig unmittelbar abgebrochen, nachdem ein Feuerzeug aus dem Fanblock der Niedersachsen ihn am Kopf getroffen hatte. Die Partie war damals anschließend für Leipzig gewertet worden und der DFB erkannte "einen tätlichen Angriff auf den Schiedsrichter". Bei Petersen wurde infolge des Treffers sogar eine leichte Gehirnerschütterung diagnostiziert, bei Drewes blieben entsprechende Untersuchungen im Krankenhaus noch am selben Abend glücklicherweise ohne Befund.
Aus Union-Fankreisen wurde Bochums Torhüter schnell eine Schauspieleinlage vorgeworfen. Das DFB-Sportgericht untersuchte diesen Vorwurf zwar, der Vorsitzende Stephan Oberholz hielt jedoch fest: "Wir konnten keine Aspekte eines Komplotts oder eines Schmierentheaters erkennen." Stattdessen "müssen wir davon ausgehen, dass der Bochumer Torwart Patrick Drewes durch den Wurf eines Feuerzeuges an seinen Kopf verletzt und dadurch in seiner Einsatzfähigkeit eingeschränkt worden ist." Da dies "durch einen Berliner Zuschauer ausgelöst wurde", führe kein Weg daran vorbei, die Verantwortung dafür "Union Berlin zuzurechnen".
Zingler hält das offenkundig für falsch. Ihm zufolge ist es zwar "schon schlimm genug, dass Personen bei Konzerten oder Sportveranstaltungen immer wieder Gegenstände auf Bühnen, in Innenräume oder auf den Rasen werfen", aber "viel schlimmer ist es jedoch, wenn jemand versucht, sich aus diesen für keinen Veranstalter zu verhindernden Ereignissen einen Vorteil zu verschaffen". Damit verstärkt er außerdem die Erzählung, Drewes (und die Bochumer) hätten den Feuerzeugwurf schnell als Chance begriffen, das Remis nachträglich am Grünen Tisch und mithilfe des Sportgerichts in einen Sieg umwandeln zu lassen. Indizien oder gar Beweise dafür präsentiert Union allerdings keine.
Zingler sieht Urteil "zulasten unbeteiligter Vereine"
"Dieses Urteil schadet dem Fußball enorm", wird Zingler weiter zitiert, und es "zeigt zudem, dass die oft benutzte 'Hinzurechnung' eines Ereignisses zu einem Verein fragwürdig, oft sogar falsch ist". Warum der 1. FC Union nicht für das Verhalten der Fans der 1. FC Union im eigenen Stadion verantwortlich sein soll, führt die Pressemitteilung indes nicht aus. Dabei ist genau das üblich, bestraft der DFB doch immer wieder Klubs für Entgleisungen der Fans - beispielsweise bei Pyrotechnik oder grenzüberschreitenden Spruchbändern. Mit der 2:0-Wertung für Bochum "setzen wir uns der Gefahr aus, dass in Zukunft nicht die sportlichen Leistungen der Mannschaften entscheiden, wie ein Spiel ausgeht, sondern mögliche Schmähungen, Beleidigungen, Rauch oder eben der Wurf eines Gegenstandes."
Es ist eine bemerkenswerte Argumentation, die Schuld für die lange Spielunterbrechung und den dann anschließenden Nichtangriffspakt sowie die daraus folgende Neuwertung jetzt beim DFB-Sportgericht oder gar bei Drewes und dem VfL Bochum zu suchen. Mithilfe von Kameratechnik im Stadion konnte der Feuerzeugwerfer schnell ausgemacht und den Ordnungskräften übergeben werden - die entscheidende Aktion für das Skandalspiel kam von Berliner Seite. Dass anschließend noch mit Ballgeschiebe (und unter Bochumer Protest) fortgesetzt wurde, ändert für den Kontrollausschuss-Vorsitzenden Anton Nachreiner nichts: "Selbstverständlich war es eine Schwächung des VfL und faktisch war das ein Spielabbruch, der in der Verantwortung von Union Berlin liegt."
Zingler sieht davon aber nicht nur den 1. FC Union schwer dadurch benachteiligt, dass das Verhalten des Union-Fans den Köpenickern zugerechnet wird: "Wenn die Konsequenzen daraus sich sogar zulasten unbeteiligter Vereine erstrecken, wird es vollkommen absurd." Damit spielt er auf die zwei zusätzlichen Punkte an, die der VfL Bochum zugesprochen bekommt und die ihn näher an die Konkurrenten im Abstiegskampf heranrücken lassen. Vor dem Bundesliga-Start ins neue Jahr hat der Revierklub auf Platz 18 dadurch nur noch zwei Punkte Rückstand zum 1. FC Heidenheim, der momentan auf dem Relegationsplatz 16 liegt - und an diesem Wochenende den 1. FC Union empfängt.
Quelle: ntv.de