Fußball

Kroos und Gündogan vs. Neuhaus Das große Zittern vor dem EM-Chancenlosen

Schon voll integriert.

Schon voll integriert.

(Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur)

26 Spieler hat Joachim Löw für die EM nominiert. Er hat dabei stets betont, dass jedem Spieler eine wichtige Rolle zukommt. Gerade die Fußballer, die nicht als sichere Stammplatzkandidaten gelten, sollen den Druck hochhalten. Florian Neuhaus gelingt das gut. Zu gut?

Eine Sache ist Bundestrainer Joachim Löw ganz wichtig. Ganz wichtig ist ihm, dass jedem der 26 Fußballer, die er für die Europameisterschaft nominiert hat, eine bedeutende Rolle im Team zukommt. Thomas Müller etwa, den er nach über zweieinhalb Jahren zurückgeholt hatte, soll sich nun wieder um die zentralen Themen Führung und Kommunikation kümmern. Mats Hummels, den er ebenfalls nach zweieinhalb Jahren zurückgeholt hat, wird der sensible Verantwortungsbereich "defensive Stabilität" übertragen. Man kann diese Liste lange fortführen. Und irgendwann kommt man schließlich bei Florian Neuhaus an. Und bis zum Mittwochabend hätte man gedacht: Ach Mensch, der Neuhaus, der ist schon irgendwie auch ein Pechvogel. Nicht ganz so sehr Pechvogel wie der Wolfsburger Mittelfeldchef Maximilian Arnold, der nach der besten Saison seiner Karriere gar nicht erst für die Nationalmannschaft nominiert worden ist.

Man muss ein bisschen ausholen, um das zu erklären. Neuhaus gehört ganz sicher zu den besten Fußballern in der Bundesliga. Er ist einer der größten Aufsteiger der vergangenen beiden Jahren. Bei seinem Verein Borussia Mönchengladbach hat er sich beeindruckend zu einem Leistungsträger entwickelt. War auch in der ganz schwachen Rückrunde des Klubs einer der absolut Besten. Im Mittelfeld trieb er das Spiel an der Seite von Denis Zakaria an. Oder auch mal an der Seite von Christoph Kramer. Den kennt man noch aus dem Finale der Fußball-WM 2014 in Brasilien. Ja, tatsächlich.

Wegen seines legendären Blackouts nach einem heftigen Zusammenprall. "Schiri, ist das das Finale?", sagte er damals in Richtung von Nicola Rizzoli. Nun, zurück zu Neuhaus. Weil er eben ein sehr guter Fußballer ist. Bei einem eigentlich sehr guten Verein (siehe oben). Ist er eben selbstverständlich auch interessant für die deutsche Nationalmannschaft. Und übrigens auch für andere Top-Klubs: Der FC Bayern soll ziemlich vehement um den 24-Jährigen werben. Ein Wechsel dorthin würde ihn natürlich noch mal ein wenig interessanter machen. Für Hansi Flick dann aber, der nach der EM das Bundestrainer-Amt übernimmt.

Nun kommen wir zu seinem Dilemma: Wäre Neuhaus Stürmer oder Außenbahnspieler, er wäre sicher ein Mann, der ganz dringend für einen Stammplatz infrage käme. Aber Neuhaus spielt im Mittelfeld. Im Zentrum. Dort, wo sich all das tummelt und gegenseitig bedrängt, was Löw so an internationaler Topklasse im Aufgebot hat: Joshua Kimmich, Leon Goretzka, İlkay Gündoğan und Toni Kroos duellieren sich auf den beiden Positionen "Sechser" und "Achter". Kai Havertz und Müller werben im offensiven Mittelfeld ebenfalls für sich. Ihr Vorteil: Sie könnten auch noch andere Rollen ausfüllen. Ebenso wie Goretzka. Ein bisschen weiter vorne. Ein bisschen weiter an der Seite. Auch bei Neuhaus wird als Nebenposition "Linksaußen" gelistet. Eine echte Alternative ist er dort in Wahrheit aber nicht.

Löw erkennt die Leistung von Neuhaus durchaus an

Ganz anders aber eben im Zentrum. Im Testspiel gegen Dänemark am Mittwochabend hat er eine sehr fundierte Bewerbung abgegeben. Neben Müller war er der beste Mann im deutschen Spiel. Mutig und dynamisch pushte er seine Mannschaft. Traute sich Schüsse aus der Distanz zu und traf gedankenschnell zum 1:0 ab (Endstand 1:1), sein zweites Tor für Deutschland. Mehr noch als mit seiner Spielintelligenz hilft er dieser Mannschaft mit seiner unbeschwerten Art. So sagte er ganz bescheiden: "Es hat Spaß gemacht, auf dem Feld zu stehen." Ambitioniert klingt das nicht. Ist aber gar nicht so gemeint. Er weiß um seinen Status. Da tut Zurückhaltung gut.

Löw lobte ihn im Anschluss als "sehr guten Fußballer mit einem guten Auge". Dass bei Neuhaus natürlich nicht alles klappte (zum Beispiel in der Abstimmung beim Pressing), kein Drama. Auf Neuhaus lastet nicht der Staub der vielen Enttäuschungen und Rückschläge des DFB-Teams seit dem WM-Debakel 2018 in Russland. "Er hat ein gutes Spiel gemacht und sich das Tor verdient. Er hat viel Laufarbeit verrichtet, ist mit in die Spitze gegangen und hat Wege nach hinten gemacht. Die Leistung war auf jeden Fall gut", lobte Löw das erst sechste Länderspiel des 24-Jährigen.

Was das nun bedeutet? Mindestens ja mal, dass Neuhaus plötzlich in den Verteiler aufgenommen worden ist, wenn es darum geht, wer die Positionen im Zentrum besetzt. Neben Joshua Kimmich. Der ist mit seiner Art als Anführer, als Antreiber, als Zweikämpfer eigentlich gesetzt. Denn diese Qualitäten heben ihn von allen anderen Duellanten ab. Die Chance für den doch eigentlich chancenlosen Neuhaus: Sollte das deutsche Spiel zu statisch sein, zu strategisch werden, zu wenig zielstrebig, zu wenig kraftvoll nach vorne, dann könnte seine Zeit kommen. Oder aber, wenn die angeschlagenen Goretzka und Gündoğan nicht rechtzeitig wieder auf Top-Niveau sind. Oder aber wenn Kroos doch noch länger braucht, um sich von seiner Corona-Infektion zu erholen.

Und so wird womöglich doch ganz wichtig, was Löw wichtig ist: "Das ist das Ziel, dass die Spieler, die hintendran stehen, den Druck immer hochhalten und andere antreiben mit guten Leistungen im Training", formulierte der Bundestrainer: "Wenn sie dann die Chance bekommen im Laufe des Turniers, ist es die Erwartungshaltung, dass sie der Mannschaft entscheidend helfen können." Neuhaus kann das.

Quelle: ntv.de

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