Fußball

Frank Schmidt und das "FSK 18" Der Anti-FC-Bayern verschreckt die Bundesliga-Stars

Auch nach mehr als 16 Jahren voll verknallt in Heidenheim: Frank Schmidt.

Auch nach mehr als 16 Jahren voll verknallt in Heidenheim: Frank Schmidt.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Erst zurückliegen, dann zurückschlagen: Der 1. FC Heidenheim hat eine satte Qualität im Premierenjahr in der Fußball-Bundesliga. Dieser fällt nun auch der FC Bayern zum Opfer. Ein Erfolg von Ewigkeits-Trainer Frank Schmidt, der tief im Süden einen Favoritenschreck prägt.

Hat Frank Schmidt die Heidenheimer Kabine verloren? So wie es Bayern-Trainern immer mal wieder nachgesagt wird. Der Doppeltorschütze des 3:2-Sieges gegen den FC Bayern, Tim Kleindienst, verweigerte jedenfalls den Gehorsam. "Ich habe nicht so viel Gas gegeben. Noch ein bisschen gegrillt und das war's", erzählte er im Sport1-"Doppelpass". "Ich glaube, das hätte ich nicht ganz so gut verkraftet nach diesem Spiel." Dabei hatte der ewige Trainer die Parole klar vorgegeben: "Wer heute nicht auf die Piste geht, den schmeißen wir raus."

Nun, den Rauswurf muss Kleindienst ganz sicher nicht fürchten. Der 28-Jährige hat in den vergangenen zwei Partien gegen die nun punktgleichen Spitzenteams aus München und Stuttgart jeweils zwei Tore geschossen, beim 3:3 gegen den VfB zusätzlich noch eins vorbereitet. Mit elf Saisontoren steht er auf Platz sieben der Torschützenliste. Eine ganz persönliche Erfolgsgeschichte, genauso wie die von Jan-Niklas Beste, der zuletzt von Bundestrainer Julian Nagelsmann für das DFB-Team nominiert worden war. Ein Wermutstropfen, dass er verletzt vor seinem möglichen Debüt abreisen musste. Es sind Erfolgsgeschichten, die in Heidenheim so perfekt zur Entwicklung des Klubs passen. Denn der 1. FC Heidenheim ist weit mehr als die kleine, graue Maus, der sichere Absteiger, den so mancher Experte vor Saisonbeginn schon abgeschrieben hatte. Etwas, was Schmidt übrigens stets gewundert hatte.

Der Klub aus der 50.000-Einwohner-Stadt östlich von Stuttgart ist zum Favoritenschreck geworden. Neun Punkte hat der Bundesliga-Neuling gegen die Top-Fünf-Teams der Liga schon geholt. Zwei Punkte aus zwei Remis gegen Borussia Dortmund, vier Punkte aus den Spielen gegen Stuttgart - und nun eben der rauschhafte Sieg gegen die schon wieder stolpernden Bayern. 0:2 lagen sie beide Male zurück, ehe sie jeweils drei Tore schossen (und gegen Stuttgart noch den Ausgleich hinnehmen mussten).

Kleinstes Stadion der Liga schürt Sorgen der Konkurrenz

Es ist eine sportliche und psychische Qualität, die Heidenheim da zeigt. Eine, die aber auch viele Nerven kostet. Und offenbar auch für so manche Schönheitsreparatur im Kabinentrakt sorgt. "Die eine oder andere Tür ist da geflogen", hatte Kleindienst über die Halbzeitpause gesagt. Schmidt wollte lieber gar nicht erst wiederholen, was er da so gesagt hatte: "Das kann ich nicht sagen", so der 50-Jährige gegenüber dem SWR. "Das ist FSK 18." Aber im Kader sind ja alle volljährig, belangt werden kann Schmidt nicht.

Kleindienst habe manchmal das Gefühl, "dass wir mit einem 0:2-Rückstand ins Spiel gehen müssen". Erst danach habe Heidenheim "das Selbstbewusstsein entwickelt und gesagt, 'es ist egal, dass wir gegen Bayern München spielen, das sind auch nur Menschen. Und am Ende können wir auch die schlagen.'" Die Reise an die Brenz ist für viele Konkurrenten schon im ersten Jahr eine unliebsame geworden, sechs von acht Siegen holten die Heidenheimer zu Hause.

Im mit 555 Meter über Meereshöhe höchstgelegenen Stadion Deutschlands, das gleichzeitig mit 15.000 Plätzen auf der Tribüne das kleinste der Bundesliga ist - diese Fakten dürfen in keiner Erzählung über Heidenheim fehlen - tun sich viele Klubs schwer. Werder Bremen bekam das als Erstes zu spüren, der 4:2-Sieg am vierten Spieltag war der erste Bundesliga-Sieg in der Historie des Aufsteigers. Den ersten Punkt hatte es zuvor in der Partie beim BVB gegeben. Zwar stehen für Heidenheim mehr Niederlagen (11) als Siege (8) oder Unentschieden (9) zu Buche, als Tabellen-Zehnter hat der Klub aber nur noch rechnerisch etwas mit dem Abstieg zu tun. Zehn Punkte trennen die Württemberger vom Relegationsrang 16, den aktuell der 1. FSV Mainz 05 innehat.

Überhaupt, schlechte Nachrichten aus dem Süden der Republik sind Mangelware. Dass sich Schmidt beim Jubel über den Sieg einen Muskelfaserriss zuzog, wertete er selbst als Highlight: "Das ist ein schönes Gefühl", sagte er scherzend nach dem großen Triumph, der seinen Kollegen Thomas Tuchel und den FC Bayern immer tiefer in die Krise abrutschen lässt. Ansonsten sind Niederlagen in der Premieren-Saison im deutschen Fußball-Oberhaus eingeplant, Siege und Punkterfolge werden bejubelt, aber auch nicht überbewertet.

Fußball-Märchen statt Versicherungsbüro

Im Klub scheint man die Ruhe wegzuhaben. Das zeigt auch die personelle Beständigkeit. Holger Sanwald ist schon seit 1994 der Klubchef, seit September 2007 arbeitet er mit dem Cheftrainer, der nun einmal Frank Schmidt heißt, zusammen. Als Fußballer hatte Schmidt eine solide Karriere hingelegt, der defensive Mittelfeldspieler hat immerhin 76 seiner insgesamt 305 Partien in der 2. Bundesliga absolviert, spielte unter anderem für Greuther Fürth und Alemannia Aachen. 2007 hängte er seine Schuhe beim Heidenheimer SB - kurz vor der Abspaltung der Fußballabteilung als heutigen 1. FC - an den berühmten Nagel. Eigentlich hatte er seiner Familie versprochen, erstmal samstags nur noch den Rasen zu mähen. Doch es kam anders. Im September schon begann er als Trainer, sollte interimsmäßig für zwei Spiele einspringen, weil Dieter Märkle nach nur sechs Spielen in der Oberliga Baden-Württemberg entlassen worden war. Aus zwei Spielen wurden nun schon mehr als 16 Jahre. Aus dem Wunsch, mit seiner Lehre als Bankkaufmann im Rücken im Versicherungsbüro eines Freundes anzufangen, wurde ein Fußball-Märchen.

Eineinhalb Jahre nach dem Antritt als Trainer gelang der erste Aufstieg - Heidenheim spielte ab der Saison 2008/09 in der Regionalliga und schaffte direkt den Durchmarsch in die 3. Liga, 2014/15 ging es rauf in die 2. Bundesliga und beinahe hätte schon 2019/20 für den Aufstieg gereicht. In der Relegation war Werder Bremen dann aber zu stark. Kein Grund, den Druck durch einen Trainerwechsel zu erhöhen. Am 28. Mai 2023 war es dann so weit: Nach 16 Jahren und vier Aufstiegen mit demselben Verein gelingt Schmidt der Aufstieg in die Bundesliga. Kleindienst sorgte mit seinem Siegtor in der neunten Minute der Nachspielzeit für ein dramatisches Finish gegen den SSV Jahn Regensburg und grenzenlosen Jubel im familiären Heidenheim. In Schmidts Geburtsort. Dort, wo ihn fast jeder irgendwie persönlich zu kennen scheint.

Im Februar beim Heimspiel gegen Leverkusen (1:2) etwa traf ESPN-Reporter Archie Rhind-Tutt zufällig Schmidts frühere Musiklehrerin - oder war es Mathematik? Da gingen die Erinnerungen von Lehrerin und ehemaligem Schüler auseinander - auf der Tribüne. Und wie das so ist, konnte Marianne Holz Geschichten von früher zum Besten geben. So wie die, dass der heute 50-Jährige schon als Elfjähriger die Organisation des Schulteams im Fußball übernahm, als diese an einem Turnier teilnehmen wollte. Talent als Trainer blitzte schon früh durch. Kein Wunder, dass der Mann, der noch einen Vertrag bis 2027 besitzt, mal sagte: "Was ich mache, ist ja im Prinzip keine richtige Arbeit, sondern ein Hobby."

Schmidt schlief in Bayern-Bettwäsche

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Apropos Hobby, der Sieg gegen den FC Bayern hat für Schmidt besonderen Stellenwert. Nicht nur, weil ein Sieg gegen den deutschen Fußball-Rekordmeister für alle Klubs etwas Besonderes ist. Sondern, weil Schmidt in seiner Biografie "Unkaputtbar", die im Juni 2023 kurz nach dem Aufstieg erschien, erzählt: "Ich war als Kind Fan von Bayern München, mit dem ganzen Drum und Dran: Bayern-Bettwäsche, Poster an der Wand, Aufkleben und samstags um 15:30 Uhr mit dem Ohr am Radio." Den Traum eines Gewinns gegen die Großen aus München hat er sich allerdings schon vor fast 20 Jahren erfüllt. Schmidt gehörte zur Startelf des TSV Vestenbergsreuth bei dessen legendärem Pokal-Coup am 14. August 1994. Der heutige Trainer war beim 1:0-Sieg dabei, als Oliver Kahn, Lothar Matthäus und Co. zum bislang letzten Mal in der ersten Runde des DFB-Pokals ausschieden.

Diesmal ging es freilich nicht um den Pokal - den hat der FC Bayern schon lange zuvor verspielt -, sondern um die allerletzte klitzekleine Hoffnung in der Liga. Die ist für den FC Bayern dahin, weil sie auch noch über Heidenheim stolpern. Ganz ohne Superstars - im Gegenteil: "Heidenheim ist eine Chance für viele Spieler. Wir entscheiden uns oft für Spieler, die woanders gescheitert sind, bei denen es bisher nicht rund lief oder deren Karriere ins Stocken geraten ist. Es ist menschlich, jemandem eine zweite Chance zu geben, in der Regel zahlen sie es zurück." So schreibt es Schmidt in "Unkaputtbar". Eine Strategie, die dem FC Bayern völlig entgegensteht. Eine Strategie, die voll aufgeht. Eine Strategie, die Frank Schmidt und den 1. FC Heidenheim bis in die Bundesliga getragen hat. Und es wirkt nicht so, als würden sie diesen Platz so bald wieder aufgeben.

Quelle: ntv.de

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