Fußball

"Schwer zu beantworten" Das Rätsel, das Tuchel dem FC Bayern hinterlässt

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Eigentlich dachten sie beim FC Bayern, die Zeit der unerklärlichen Niederlagen sei vorbei. Doch unmittelbar vor dem wichtigen Spiel gegen den FC Arsenal kehrt die Unsicherheit zurück. Trainer Thomas Tuchel findet bislang keine Antwort.

Es sind die Schlagworte, die die noch bis zum Sommer währende Trainer-Ära beim FC Bayern beschreiben: Die Google-Suche mit den Begriffen "Thomas Tuchel" und "ratlos" spuckt mehr als 10.000 Ergebnisse aus. Nach dem 2:3-Debakel am Samstagnachmittag bei Bundesliga-Aufsteiger 1. FC Heidenheim sind es wohl wieder ein paar Einträge mehr geworden. Denn am Ende gehört die überraschende Pleite zu einem von vielen unerklärlichen Bayern-Auftritten in den vergangenen anderthalb Jahren.

Und trotzdem musste irgendjemand wieder Antworten liefern. So auch in Heidenheim. Wieder stand Tuchel nach Abpfiff am Spielfeldrand. Wieder hatte er das Mikrofon eines TV-Senders unter der Nase. Wieder musste er erklären, was er nicht erklären kann. Was ist eigentlich mit dem FC Bayern los? Warum verliert der deutsche Fußball-Rekordmeister solche Spiele, die er lange dominiert hatte? Und dann auch noch nach einer 2:0-Pausenführung? Eine Antwort hatte Tuchel nicht. Liegt es an Mentalität oder Qualität? "Schwer zu beantworten", sagte der Trainer. Wieder war er ratlos.

Auf der Pressekonferenz legte er später nach. "Wir haben alles aus der Hand gegeben, was wir uns aufgebaut haben in der ersten Halbzeit", sagte Tuchel. "Wir haben eingestellt, Fußball zu spielen." Nur eine Erklärung hatte er nicht. Auch seine Chefs waren ähnlich ratlos. "Das ist nicht Bayern-München-like. Das ist einfach richtig enttäuschend", sagte Sportdirektor Christoph Freund laut "Süddeutscher Zeitung" über den Einbruch in der zweiten Halbzeit: "Es läuft völlig aus dem Ruder. Souveränität und Überzeugung gehen völlig verloren."

Matthäus und Hamann in Alarmstimmung

Die Niederlage kommt zur Unzeit. In wenigen Tagen steht das wichtige Hinspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Arsenal (Dienstag, 21 Uhr/Prime Video und im Liveticker bei ntv.de) an. Die Königsklasse ist die letzte Hoffnung, dass es nicht die erste titellose Saison seit 2012 wird. Es ist vermutlich eines der wichtigsten Spiele der Saison. Sky-Chefkritiker Dietmar Hamann forderte deshalb, dass der FC Bayern den Trainer schon jetzt ablöst, nicht erst am Saisonende. Er sprach von "Auflösungserscheinungen": "Wenn du am Dienstag einen bekommst, dann musst du aufpassen, dass sich nicht der gesamte Verein auflöst", sagte er.

Tim Kleindiensts Siegtreffer für Heidenheim.

Tim Kleindiensts Siegtreffer für Heidenheim.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus nutzte seine Sendezeit für eine ähnliche Forderung. "Das Ergebnis sagt einiges aus", sagte er. "Thomas Tuchel erreicht die Mannschaft nicht mehr." Es gebe komische Pressekonferenzen, komische Aussagen, komische Kritik. "Deswegen könnte ich mir vorstellen", schlussfolgerte Matthäus, "dass die Bayern in den nächsten 24 bis 48 Stunden reagieren".

Diejenigen, die reagieren könnten, schlossen das jedoch aus. Sportdirektor Freund war zwar auch, nun ja, ratlos. "Das kann nicht unser Anspruch sein", sagte er über die Niederlage. Es sei nicht zu akzeptieren. Aber auf die Frage, ob man nicht den Trainer wechseln müsse, stärkte Freund den Amtsinhaber: "Der Thomas probiert, dass er viel Energie reinbekommt." Und nahm die Mannschaft mit in die Pflicht: "Da muss jetzt jeder wirklich mal an sich selbst knabbern."

"Extrem emotional"

Beim FC Bayern knabbern sie schon länger an dem Rätsel, das der Misere zugrunde liegt. Was ist eigentlich das grundlegende Problem: Ist es der Trainer? Die Spieler? Oder sogar der Trophäenfluch von Harry Kane? Und wer sagt außer Matthäus und Hamann, dass Leistungen mit einem neuen Trainer plötzlich stimmen? Denn eigentlich dachten sie wieder, dass diese Zeit der unerklärlichen Auftritte vorbei sei - bis zur Länderspielpause. Auf die überzeugenden Auftritte gegen Lazio Rom (3:0) und Mainz 05 (8:1) folgte der Einbruch mit der 0:2-Niederlage gegen Borussia Dortmund.

Und jetzt Heidenheim. Von Vereinsseite bekam man zur Ursache in den vergangenen Wochen und Monaten ähnliche Worte aus verschiedenen Mündern zu hören: Sei es die Wut-Rede von Thomas Müller nach der 0:3-Machtdemonstration von Bayer Leverkusen. Oder Joshua Kimmich, der bei der Niederlage gegen den BVB die "Freundschaftsspiel"-Einstellung bemängelte. Der Tenor war immer der gleiche: Verantwortlich sind vor allem die Spieler.

Münchner Misere.

Münchner Misere.

(Foto: dpa)

Auch Neu-Sportvorstand Max Eberl reihte sich jetzt wieder in diesen Chor ein, er nahm Tuchel in Schutz. Nach dem Ausrutscher gegen den BVB sei Tuchels Ansprache unter der Woche "extrem emotional" gewesen. "Thomas hat alles in diesen Besprechungsraum gelegt", sagte Eberl: "Wenn du dann das zurückbekommst, ist es definitiv nicht das, was Thomas verdient hat." Das erklärt auch, warum Tuchel seinen Posten erst mal sicher hat: Bayern hat schon den Trainer entlassen, geholfen habe es nichts, so sagte Eberl es sinngemäß.

Und doch, so einfach ist es vielleicht nicht. Tuchel trifft keinerlei Verantwortung? Vielleicht ist das zu kurz gedacht. Die "Süddeutsche Zeitung" warf die Frage schon vor Wochen auf: Wer zieht hier eigentlich wen runter: Das Team den Trainer oder möglicherweise doch umgekehrt? Damals vor dem Hintergrund, dass Tuchel noch im vergangenen Sommer seinen beiden Mittelfeldmotoren Joshua Kimmich und Leon Goretzka öffentlich einen mitgegeben hatte. Den einen hatte er öffentlich angezählt, den anderen in der Vorbereitung auf die Bank verfrachtet. Beide Seiten helfen sich möglicherweise nicht immer - die Partie in Heidenheim lieferte dafür Indizien.

Tuchel war fassungslos

Tuchel hatte die Startelf umgebaut und tat seiner Mannschaft damit keinen Gefallen. Statt des angestammten Innenverteidigerduos Matthijs de Ligt und Eric Dier spielten plötzlich Dayot Upamecano und Minjae Kim. Beiden fehlte zuletzt die Spielpraxis, beide agierten unsicher, beide sahen beim 1:2-Anschlusstreffer nicht gut aus. Kim verlor nach einem Heidenheimer Abstoß sein Kopfballduell, Upamecano stand falsch und verlor den Anschluss an seinen Gegenspieler.

Das 2:2 lieferte dagegen schützende Argumente für den Trainer. Tief in der eigenen Hälfte konnte Heidenheims Tim Kleindienst nach einem Einwurf den Ball gegen gleich vier (!) Bayern-Spieler behaupten, sie leisteten kaum Gegenwehr. Und er leitete einen Angriff ein, den Heidenheim in dieser Saison schon öfter zeigte: Der Ball landete bei Fast-Nationalspieler Jan-Niklas Beste, der schlug ihn wiederum auf den zweiten Pfosten. In der Zwischenzeit war Kleindienst eingelaufen und traf zum Ausgleich. Als ihm die Szene nach dem Spiel vorgespielt wurde, stellte der fassungslose Tuchel fest: "Das gibt's nicht auf dem Niveau, das existiert nicht." So einfach war das Tor gefallen.

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Nur konnten die Münchner sich davon nicht mehr erholen. Es passt in die Erzählung: Irgendwann hat der FC Bayern verlernt, der FC Bayern zu sein. Eben einfach immer zu gewinnen. Eberl, der die Dinge in den vergangenen Monate von außen betrachten konnte, erklärte das in den Katakomben des Stadions. "Es ist ein Problem der Erfolge der letzten elf Jahre", sagte er bei Sky. "Es ist einfach ein Stück weit ein: 'Es klappt schon irgendwo'." Im vergangenen Jahr habe das genau so geklappt, als der BVB die Meisterschaft am letzten Spieltag verspielte. Doch jetzt habe man mit Bayer Leverkusen "eine Mannschaft, die weit über den Dingen steht und verdient Deutscher Meister wird". Die jetzt 16 Punkte Vorsprung hat - bei noch 18 zu vergebenden Punkten.

Eberl forderte, dass der Klub endlich die "Arroganz" ablege. Das ist auch seine Aufgabe. Zusammen mit Freund soll er die Bayern wieder in Form bekommen und damit das große Rätsel lösen - Tuchel wird da schon lange weg sein. Das heißt: Es braucht nicht nur einen neuen Trainer, sondern auch einen größeren Kaderumbruch. Eben das zeigte auch das Spiel gegen Heidenheim. Viel Arbeit also. Aber, einen kleinen Hoffnungsschimmer, den gibt es: Die Google-Suche aus "Max Eberl" und "ratlos" hat bislang nur rund 6000 Einträge. Ob das ein gutes Omen ist?

Quelle: ntv.de

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