Fußball

Dardai ohne "Wunderfußball" Der falsche ist der richtige Trainer für Hertha

Kennt den Rasen des Olympiastadions sehr gut: Pal Dardai.

Kennt den Rasen des Olympiastadions sehr gut: Pal Dardai.

(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Engler)

Seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst bei Hertha BSC klaffen Anspruch und Realität weit auseinander. Die bisherigen Trainer sind daran gescheitert, Vereins-Ikone Pal Dardai bekommt beides unter einen Hut. Aber so richtig glücklich ist der Klub mit ihm auch nicht.

Suat Serdar ballt die Becker-Faust. Nicht etwa, weil er oder einer seiner Teamkollegen ein Tor geschossen hat. Nicht etwa, weil er gerade einen Gegentreffer verhindert hat. Nicht etwa, weil seine Mannschaft gewonnen hat. Serdar ballt die Becker-Faust, weil er in der Mitte der zweiten Hälfte einen scheinbar unwichtigen Zweikampf im Mittelfeld gewonnen hat.

Beim 1:1 (1:0)-Remis gegen Leverkusen in der Fußball-Bundesliga gibt es mehrere solcher Szenen, die zeigen, dass sich bei Hertha BSC etwas gewandelt hat. Plötzlich feiert das Stadion eine kompakt stehende Mannschaft oder die Flügelspieler Marvin Platthardt und Maximilian Mittelstädt klatschen sich für ein gemeinsam gewonnenes Tackling ab. Das war nicht immer so. Auch Trainer Pal Dardai ist überzeugt: "Wenn eine Mannschaft so kämpft, dann ist das Gänsehaut." Es wächst etwas in Berlin zusammen. Auch weil es die Chance dazu bekommt.

Der Weg dahin war schwierig. Sportliche Realität und der von außen kommende Anspruch klaffen noch immer auseinander. Bei DAZN spricht Geschäftsführer Fredi Bobic in der vergangenen Woche über die Situation im Verein. Er bekräftigt seinen Wunsch nach Ruhe und Stabilität. Deshalb habe er "launische" Spieler im Sommer aussortiert. Es werde noch weitere Transfers geben. Den Klub möchte er wie einen Computer neu starten. Insgesamt das Übliche also. Es fällt aber auch ein merkwürdiger Satz, der auf den ersten Blick in das Bild von Ruhe nicht hineinpasst: "Er hätte eigentlich fliegen müssen." Mit "er" ist Trainer Dardai gemeint, der Zeitpunkt war nach den deutlichen Niederlagen gegen Bayern und Leipzig (0:5 und 0:6).

"Ein kleiner, netter Trainer"

Dardai bot damals indirekt seinen Rücktritt an. Er hänge nicht an seinem Sitz, "ich helfe gerade aus", hatte der Ungar betont: "Wahrscheinlich sucht Hertha BSC seit Langem nach einem großen Trainer. Pal ist ein kleiner Trainer, ein netter Trainer. Er hilft aus, so lange wie es sein soll." Worte, die Bobic nicht passten. Und das will er seinem ehemaligen Teamkollegen auch mit auf den Weg geben: Unter normalen Umständen wärst du mit solchen Sätzen deinen Job los.

Dardai ließ seine Haltung unzählige Male durchschimmern. Nicht nur auf Pressekonferenzen, sondern auch auf dem Platz gibt er immer wieder kleinere Statements - ob gewollt oder nicht. Als eine der ersten Amtshandlungen nach seiner Rückkehr in der vergangenen Saison beorderte er den alten Stammtorwart Rune Jarstein für den Neueinkauf Alexander Schwolow zurück ins Tor. Für ihn gehe es immer um die Paarungen, sagte der Trainer.

Im zentralen Mittelfeld gibt es eine ähnliche Rotation. Plötzlich spielt Arbeiter Vladimir Darida wieder eine größere Rolle. Auf der Position vor der Abwehrkette beginnt der noch von Jürgen Klinsmann geholte Santi Ascacibar gegen Leverkusen - nicht etwa Rekordeinkauf Lucas Tousart. Ascacibar "hat gute Spiele gemacht und eine nötige Aggressivität, die nicht alle auf der Position haben", begründete Dardai die Entscheidung. Eigentlich habe Tousart bei ihm einen Stammplatz, doch "Santi [Ascacibar] hat einen Vorsprung, das muss [Tousart] akzeptieren".

Auch auf anderen Positionen kommen die Neuzugänge noch nicht richtig zum Zug. Einzig Flügelspieler Marco Richter und der Zweikämpfer Serdar konnten sich bislang durchsetzen. Routinier Peter Pekarik sammelt als Rechtsverteidiger weiter fleißig Einsatzzeit, Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt taucht plötzlich sogar offensiv auf dem linken Flügel auf.

Kein "Wunderfußball"

Was Dardai vom Fußball will, das sieht man gegen Leverkusen. Die Werkself hat gegenüber der Alten Dame klare Vorteile in Geschwindigkeit und Technik. Die Berliner wissen das. Der Defensivverbund steht kompakt und gibt den Flügelspielern von Bayer wenig Platz, ihr Tempo zu entfalten. In der ersten Hälfte kommt so kein richtiges Spiel zustande, auch weil der ramponierte Rasen sein Übriges tut. In der zweiten gibt es große Konterchancen für die Hertha. So soll die Alte Dame auftreten, auch wenn Dardai das Konzept nicht für sich reklamiert: "Es ist nicht meine Idee, es ist eine defensive Grundsache", sagt der Trainer nach der Partie.

Häufig ist diese Art Fußball zu spielen wenig sehenswert. Doch Dardai hat seine Gründe: "Die Saison ist schwer losgegangen, mit den paar Niederlagen, die Unsicherheit. Dann musste man harte Arbeit leisten." Man könne jetzt nicht dem neuen Kader erzählen, "dass wir Wunderfußball spielen. Das war schon ein guter Fußball", sagte er nach dem Leverkusen-Spiel.

Das weiterhin stark ausgedünnte Publikum im Olympiastadion goutierte es trotzdem immer wieder mit Applaus. Vielleicht, weil es ihnen wirklich gefällt, nach turbulenten zwei Jahren wieder eine Spielidee zu sehen. Vielleicht auch, weil sie dem unglaublich beliebten Dardai einfach vertrauen. Und wissen, dass der Klub einen Trainer wie ihn im Moment braucht. Auch wenn es wahrscheinlich nicht das ist, was der Investor mutmaßlich unter seiner Big-City-Club-Vision versteht. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass es schon Treffen mit möglichen Trainerkandidaten geben soll.

Trotz allem. So langsam funktioniert Dardais Team: Nur eins der vergangenen fünf Pflichtspiele ging verloren. Mindestens bis Weihnachten möchte er weiter solche Leistungen wie gegen Leverkusen sehen. Und jetzt folgt das Derby bei Union. Das wird vielleicht noch wichtiger als die Tabellensituation sein. Bis der Klub sich für den internationalen Wettbewerb qualifiziert, wird es sowieso noch dauern. Aber so lange Dardai Trainer bleibt, dürfen Serdar und das Publikum sich über gewonnene Zweikämpfe freuen. Manchmal auch mit Becker-Faust.

Quelle: ntv.de

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