
Schon wieder nicht gewonnen.
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Bayer Leverkusen begeistert zu Saisonbeginn. Der Fußball ist schnell, erfolgreich und sehenswert. Doch sieben Minuten gegen den FC Bayern München ändern alles. Plötzlich werden Siege Mangelware und Trainer Gerardo Seoane kämpft mit bekannten Problemen.
Nur kurz ist der Spanier Iker Bravo Rekordhalter. Genau genommen sind es gerade einmal sieben Minuten. Für diese Zeit war er mit 16 Jahren, 9 Monaten und 25 Tagen der jüngste Spieler, der von Bayer Leverkusen jemals in der Fußball-Bundesliga eingesetzt wurde. Doch den Platz in den Geschichtsbüchern des Klubs ist er kurz darauf schon wieder los. Denn in der 86. Minute wird der Däne Zidan Sertdemir eingewechselt, der 22 Tage jünger ist. Jünger als das Bayer-Duo war übrigens nur Youssoufa Moukoko, der im November 2020 am Tag nach seinem 16. Geburtstag debütiert hatte.
Auch wenn Trainer Gerardo Seoane seine beiden Youngster und ihre Debüt-Einsätze als verdient auf der anschließenden Pressekonferenz lobt, so ganz freiwillig waren ihre Auftritte dann doch nicht. Leverkusen plagt erneut ein altbekanntes Problem. Herthas Sportchef Fredi Bobic machte schon vor dem Spiel die Beobachtung: "Interessanterweise haben sie immer wieder ihre Schwächephasen. Nicht nur in dieser Saison." Gleichwohl stellte er klar, dass er Bayer "sehr gerne spielen sieht": "Sie haben unheimlich viel Tempo und fußballerische Klasse."
Solche Leverkusener Perioden gehören mittlerweile fest zur Bayer-Folklore. In der vergangenen Saison sind sie die komplette Hinrunde auf Champions-League-Kurs, stehen zum Jahreswechsel auf dem dritten Tabellenplatz. Am Ende reicht es nur für Platz sechs und die Europa League. In diesem Jahr ein ähnliches Bild: Zu Saisonbeginn überzeugten sie wieder mit dem, was auch Bobic verzückte: Tempo, Technik, Tore. Noch immer haben sie nach dem FC Bayern und dem BVB die drittmeisten Treffer der Liga erzielt, darunter die meisten Kontertore (fünf).
Das andere Gesicht
Bis zum achten Spieltag wirkten sie sogar wie eine ernst zu nehmende Gefahr für den Rekordmeister. Es wurden der Werkself sogar Siegchancen gegen den FC Bayern eingeräumt. Doch der Elf von Julian Nagelsmann reichten im damaligen Spitzenspiel sieben Minuten, um Bayer zu brechen und vier Tore zu erzielen. Es wirkt ein wenig so, als hallte der Schock dieses 1:5 nach.
In der Folge zeigt sich wieder häufiger das andere Leverkusener Gesicht. Der begeisternde Fußball wird seltener, seit der Bayern-Pleite konnte die Werkself von sechs Pflichtspielen nur eines gewinnen. Das Wort "Krise" machte in Leverkusen die Runde. Nach der 0:2-Pleite gegen Wolfsburg, einem Konkurrenten um die Champions-League-Plätze, sagte Coach Seoane: "Wir haben zu Beginn der Saison tolle Spiele gesehen. Die Mannschaft kann es, sie hat das Talent." Auch nach der Bayern-Pleite habe es "gute Leistungen" gegeben. Seoane nannte das Remis im Europa-League-Hinspiel gegen Sevilla oder die erste Hälfte beim 2:2 gegen Köln als Beispiele.
Wegen solcher Spiele würde der Trainer das "so ganz einfach nicht analysieren". Aber auch ihm fiel auf: "Wir wissen, dass wir gerade im Spiel nach vorne nicht diese Effizienz und Dynamik auf den Platz bringen wie zu Beginn der Saison." Auch Mittelfeldmann Robert Andrich bemängelte nach der Wolfsburg-Pleite eine verloren gegangene Leichtigkeit. Er nahm besonders die Talente in die Pflicht: "Solche Situationen wie jetzt sind gerade für unsere jungen Spieler aber auch superwichtig."
Tatsächlich kommt es auf sie derzeit an: zum Beispiel auf Moussa Diaby, der etwas sinnbildlich für den Wankelmut in Leverkusen steht. Der Franzose ist gerade einmal 22 Jahre alt, hat am vorigen Donnerstag noch in der Europa League beim 4:0-Erfolg über Sevilla ein Feuerwerk abgebrannt. Im Liga-Alltag am darauffolgenden Sonntag tat er sich gegen den gut organisierten Defensivblock der Berliner deutlich schwerer. Ähnliches gilt für den 21-jährigen Paulinho oder den gleichaltrigen Amine Adli. Ihr Problem sei nicht die Regeneration, sondern die "mentale Verfassung", sagte Trainer Seoane vor dem Hertha-Spiel.
Arge Personalsorgen
Zwar zeichnet es den Klub schon seit Jahren aus, jungen Talenten eine Chance zu geben. Wenn sie aber zu Leistungsträgern avancieren, gibt es diese ganz andere Herausforderung: "Die Frage ist: Schaffen wir es, in so kurzer Zeit wieder die Aggressivität auf den Platz zu bringen?", sagt Seoane. Die Mehrfachbelastung aus Liga, Pokal und Europa ist dann weniger ein körperliches, eher ein psychisches Problem.
Nun ist es aber nicht so, dass der Kader der Werkself nur aus jungen Supertalenten besteht. Denn die, die dafür sorgen sollen, dass das Team auch jedes Mal die richtige mentale Verfassung mitbringt, sind schon länger verletzt. Dazu zählen Leistungsträger wie Karim Bellarabi (Muskelfaserriss), Lucas Alario (immerhin wieder im Training), Patrik Schick (Bänderriss) oder Timothy Fosu-Mensah (Kreuzbandriss).
Besonders schwer wiegt der Ausfall bei der Achse, die dem Spiel Kontinuität und Halt gegeben solle: Die Doppelsechs aus Julian Baumgartlinger (Knie-OP) und Charles Aranguiz (Wadenverletzung) fehlt schon länger. Für das Spiel der Leverkusener sind das zwei wichtige Personalien. Zudem musste die Werkself im Sommer auch einen kleineren Aderlass hinnehmen. Mit den Bender-Zwillingen verabschiedete sich eine jahrelange Konstante der Mannschaft. Zudem steht inzwischen ein neuer Trainer an der Seitenlinie. Mit den Abgängen von Leon Bailey und Kai Havertz nach England wurde zwar viel Geld eingenommen, aber Sportchef Rudi Völler stellte schon im Sommer klar: "Es ist selbstverständlich, dass wir die Summe, die wir für Kai bekommen, nicht wieder komplett investieren."
Zu allem Überfluss fiel dann unmittelbar vor dem Gastspiel im Berliner Olympiastadion auch der 18-jährige Florian Wirtz aus. Der Teenager, der inzwischen schon der unumstrittene Schlüsselspieler und bei dem selbst Bundestrainer Hansi Flick nie um ein Lob verlegen ist. Wirtz' DFB-Einsatz ist fraglich, für Leverkusen musste er mit Muskelproblemen gegen Hertha passen. Auch deshalb durften gleich zwei 16-Jährige debütieren. Trainer Seoane hat mindestens eine Hoffnung: Jetzt ist Länderspielpause, dann sollte sich das Lazarett lichten. Und dann will Leverkusen auch wieder öfter sein besseres Gesicht zeigen.
Quelle: ntv.de