
Julian Brandt nach seinem Treffer gegen Union Berlin Anfang Oktober.
(Foto: picture alliance / Jens Niering)
Der Name Julian Brandt kommt einem in dieser von zahlreichen Rekorden geprägten 61. Bundesliga-Saison nicht unbedingt als möglicher Rekordbrecher in den Sinn. Dabei dürfte dem BVB-Spieler jetzt Historisches gelingen. Als einer der jüngsten Profis überhaupt erreicht "das Kind der Bundesliga" 300 Spiele.
Wenn Borussia Dortmund an diesem Freitag den SV Werder Bremen empfängt, ist das für den 27-jährigen Julian Brandt in gleich mehrfacher Hinsicht ein besonderes Spiel. Der Mittelfeldspieler des BVB träumt seit seiner Kindheit davon, für seinen Heimatverein aufzulaufen. "Ich habe mir als kleines Kind immer vorgenommen, dass ich Profi werde und irgendwann wieder nach Bremen zurückkehre. Mein kleiner Bruder spielt da, meine Familie wohnt in Bremen. Ich habe eine besondere Beziehung dorthin", erzählte der Nationalspieler im Januar bei Sport1.
Doch bis zu einem ersten Spiel für Werder im Weserstadion wird es noch einige Zeit dauern. Die Wege sind seit Brandts Abschied aus Bremen, wo er dereinst im beschaulichen Nordosten aufgewachsen ist, weit auseinandergegangen. Während Brandt es über Wolfsburg, Leverkusen und dann Dortmund in die nationale und manchmal sogar internationale Spitze geschafft hat, kämpft der SVW seit langen Jahren um das Überleben und dagegen, ein Fahrstuhlteam zwischen der ersten und zweiten Bundesliga zu werden.
In bislang 19 Pflichtspielen gegen seine Liebe konnte Brandt neunmal als Sieger vom Platz gehen, sieben Partien aber gingen verloren. Mit insgesamt sechs Treffern und vier Assists war er durchaus erfolgreich. Wie zum Beispiel in der vergangenen Saison: Damals gelang ihm sowohl bei der historischen, weil unglaublichen 2:3-Niederlage, der letzten Bundesliga-Niederlage der Dortmunder im Westfalenstadion durch drei Gegentore in der Nachspielzeit, als auch beim 2:0-Erfolg im Auswärtsspiel jeweils ein Treffer.
130 Scorerpunkte in 299 Spielen
In der Spielzeit, in der Brandt endlich wirklich in Dortmund ankam, brachte er es am Ende auf neun Treffer, acht Vorlagen und nur eine Vizemeisterschaft. Im entscheidenden Spiel gegen den FSV Mainz 05 versagten ihm die Nerven. In der 44. Minute vergab er die große Chance auf den Anschlusstreffer. In der 62. Minute verließ er den Platz.
All das wurde in Dortmund einigermaßen verdrängt. Der BVB ist zumindest in der Liga auf Kurs, weiter ohne Saisonniederlage, Julian Brandt hat seinen Anteil daran. In jedem Spiel stand der Nationalspieler, der bei Julian Nagelsmanns Debütreise in die USA eine untergeordnete Rolle spielte, auf dem Platz. Er traf zweimal, bereitete vier Tore vor und zeigte sich auch sonst in formidabler Spiellaune.
Am Freitag steht aber nicht nur das achte Spiel der Saison 2023/2024 und sein insgesamt 20. Pflichtspiel gegen Werder (20:30 Uhr/DAZN und im Liveticker auf ntv.de) an, sondern vielmehr auch eines, das ihn in die Geschichtsbücher der Bundesliga katapultieren sollte. Der 27-Jährige steht vor seinem 300. Einsatz in der Fußball-Bundesliga. Das allein ist natürlich noch keine Nachricht. Auch seine bislang 60 Tore und 70 Vorlagen für Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund sind zwar ein guter Wert, stellen den Offensivspieler jedoch nicht über alle anderen.
Doch die Zahl 300 ist eine, die es sich zu merken gilt. Begonnen hatte alles am 15. Februar 2014 mit einem tristen 1:2 von Bayer Leverkusen gegen den FC Schalke 04. Trainer Sami Hyypiä brachte Brandt spät für Heung-Min Son, es half nichts. Die Tore von Leon Goretzka und Jan-Klaas Huntelaar langten Schalke und dem damaligen Coach Jens Keller. Die Königsblauen beendeten das Jahr auf Rang drei, Leverkusen knapp dahinter. So lange ist das her.
Manchmal behindert Brandt die Schläfrigkeit
Leon Goretzka, ein gutes Jahr älter als Brandt, zog es im Sommer 2018 ablösefrei zu den Bayern. Er bringt es bislang auf insgesamt 247 Bundesliga-Spiele mit 78 Torbeteiligungen, Brandt wechselte ein Jahr später zum BVB, die 25 Millionen Euro Ablöse für ihn auf den Tisch legten. Der Wechsel kam überraschend, im Umfeld der Dortmunder war zu hören, dass die Bayern Brandt nicht mit voller Leidenschaft wollten. Sie waren nicht 100-prozentig von ihm überzeugt. Ein Vize-Talent für den ewigen Vizemeister.
In seinen besten Momenten erinnerte Brandt an die ganz großen Fußballer, doch genauso gut trieb er die Fans immer wieder zur Verzweiflung. Exemplarisch dafür ein Spiel des BVB gegen RB Leipzig im Dezember 2019. Beide Klubs duellierten sich abseits des Feldes um einen damals 19-jährigen Norweger namens Erling Haaland und auf dem Platz um eine gute Position in der Meisterschaft. 3:3 stand es am Ende. Brandt erzielte in der ersten Halbzeit ein Traumtor zum 2:0 und schickte Anfang der zweiten Halbzeit Leipzigs Timo Werner mit einem verschlafenen Rückpass auf die Reise - mit 2:2 als Endstation. Haaland kam trotzdem.
Doch der Norweger ist mittlerweile weitergezogen. Bei Manchester City hatte er in der vergangenen Saison einen neuen Partner an seiner Seite: Kevin de Bruyne. Der hat nicht nur schon für Werder Bremen gespielt, sondern ist einer der weltbesten Mittelfeldspieler (und momentan leider verletzt). Mit dem Belgier trieb Haaland sein Spiel auf neue Höhen. In seinem ersten Jahr bei den Citizens erzielte er 36 Tore in 35 Ligaspielen, gewann die Champions League und räumte sämtliche Preise ab. Auch, weil de Bruyne da war. In Dortmund sorgte Brandt unterdessen dafür, dass Jude Bellingham häufig lachte.
"Er kann unser Kevin de Bruyne sein"
Dem jetzt bei Real Madrid unter Vertrag stehenden Bellingham ging häufig das Herz auf, wenn er mit Brandt kombinierte. Sie waren die Superhelden, die Trainer Edin Terzić für seinen Fußball brauchte, der dem BVB fast die Meisterschaft brachte. Brandt erarbeitete sich einen neuen Vertrag. Kaum jemand hatte damit gerechnet.
"Ich glaube, dass Julian Brandt einen ähnlichen Einfluss auf unser Spiel haben kann wie Kevin de Bruyne", sagte BVB-Coach Terzić nun vor dem Jubiläumsspiel gegen Werder Bremen. Natürlich habe der Belgier eine ganz andere Anlage, eine ganze andere Spielweise, aber den Wert könne er haben. Terzić davon, wie hart der gebürtige Bremer an sich gearbeitet hat: "Er ist jemand, der uns richtig guttut. Im Ballbesitz und auch im Spiel gegen den Ball", sagt er und erklärt, dass Brandt nun auch Dinge macht, "die talentfrei sind", dass er nach dem Training oft Extraschicht einlege, um Standards zu trainieren. "Er ist zweikampfhärter geworden", sagte Terzić über den Spieler, der in Dortmund zu einem Schlüsselspieler herangewachsen ist.
"Julian ist ein Kind der Bundesliga", sagte Terzić. "Er sieht noch sehr jung aus. Dabei ist er längst im besten Fußball-Alter. Ich genieße jeden Tag, mit ihm zusammenzuarbeiten." Dieses noch so junge Kind der Bundesliga wird am Freitag in einen illustren Kreis aufsteigen. 300 Bundesliga-Spiele, das erreichten vor ihm nur zwei Spieler zu einem früheren Zeitpunkt.
Charly Körbel war 27 Jahre und 120 Tage alt, Eike Immel sogar noch vier Tage jünger. Julian Brandt wird 27 Jahre und 171 Tage alt sein. Hinter ihm stehen dann Spieler wie Georg "Katsche" Schwarzenbeck, Rüdiger Abramczik, Franz-Josef "Jupp" Tenhagen und Berti Vogts. Lange schon hat sich niemand mehr dazwischenschieben können. Ausgerechnet gegen seine große Liebe Werder wird das nun dem aktuellen Dortmunder gelingen. Vielleicht absolviert er sein 603. Bundesliga-Spiel in ferner Zukunft dann für Werder Bremen. Dann hätte er den Allzeit-Rekord vom ewigen Frankfurter Körbel ergattert.
Quelle: ntv.de