Fans verzweifeln an Grammozis Die Trainerfrage spaltet Schalke 04
10.11.2021, 20:32 Uhr
Er kann es nicht fassen: Dimitrios Grammozis.
(Foto: imago images/Team 2)
Noch ist aus Sicht des FC Schalke 04 nicht allzu viel passiert. Noch ist die Lage eigentlich entspannt. Mit einer neu zusammengebauten Mannschaft hält sich der Absteiger unter den Top-Teams der 2. Liga. Und dennoch herrscht Krise. Wieder einmal.
Womöglich tröstet der Blick nach Dortmund die Schalker Seele. Zumindest ein wenig. Denn bei der ungeliebten Borussia läuft es in diesen Tagen alles andere als rund. Die aufschreckende Leistung am Wochenende im Erstliga-Topspiel (ein Stich ins Schalker Herz) bei RB Leipzig hat für einen Hauch von Krise gesorgt. Die äußerst miese Laune nach wenig lustvollen Spielen entlud sich als kleine Explosion in einer wilden Systemdebatte. Marco Reus findet die Dreierkette doof. Sein Trainer, der heißt Marco Rose (da kommt man schnell mal durcheinander), sieht das ganz anders. Er findet es eher doof, dass sein verlängerter Arm auf dem Feld so offensiv poltert.
Luxusprobleme! Zumindest in der aktuellen Schalker Realität. Die beschäftigt sich mal wieder mit dem Großen und dem Ganzen. Und hat derzeit keine Kapazitäten für detaillierte Dinge wie Systemfragen. Bei den Königsblauen steht Trainer Dimitrios Grammozis wieder mal in der Kritik. Eine Murmeltiergeschichte. Wann war das schließlich mal anders? Schon in der vergangenen Saison, die nach einem anderthalbjährigen Horrortrip mit dem höchst verdienten Abstieg endete, wurde über diesen Coach zunächst gemurmelt und am Ende laut diskutiert. Ob er tatsächlich der richtige Mann für den spektakulären Neuaufbau ist? Nun, im Verein sah man es - womöglich auch aus finanzieller Not - schließlich so: Grammozis solle eine faire Chance bekommen. Diese hatte er mit dem wilden Horrorhaufen, der zuvor vier Trainer verschlissen hatte (Huub Stevens war indes ohnehin nur als Interim angedacht), nicht.
Es war eine Entscheidung, die im Umfeld nicht unbedingt mehrheitsfähig war. Auch weil der Name von Steffen Baumgart als möglichem Nachfolger durch die verwaisten Schachtanlagen der Stadt stürmte. Aber der tobende Mann mit der Mütze ist in Köln gelandet und macht dort den Effzeh sportlich glücklich. Trotz der Debatte um die Pfiffe beim Heimspiel zuletzt gegen Union Berlin. Nun ist es nicht so, dass sie auf Schalke in dieser Saison nicht auch schon das Gefühl der Seligkeit gespürt hätten. Es ist sogar noch gar nicht so lange her. Keine zwei Wochen. Doch was eine Serie von drei Niederlagen nach zuvor vier Erfolgen ohne Gegentor anrichtete, offenbarte den gewaltigen inneren Widerspruch dieses Vereins. Denn die Pleiten haben jedes Glück gefressen. Wut und Frust stiegen eilig aus den Stollen empor. Und der Trainer ist angezählt.
Schalke ist ein Erstligist. Punkt. Ende. Aus.
Man müsse in dieser, der ersten Saison nach dem Abstieg, nicht sofort zurück ins Oberstübchen des deutschen Fußballs. Das sagen sie im Klub gerne. Es ist eine angenehme Beschwichtigung. Eine, die den immensen Druck runterkochen soll. Aber die Seele des Vereins erreicht diese Ansage nicht. Auch nicht den eigenen Anspruch. Der ist und bleibt so: Schalke ist ein Erstligist. Punkt. Ende. Aus. Doch dieser Anspruch wird dort, wo die Wahrheit ausgespielt wird, nicht untermauert. Die Mannschaft lebt in dieser Spielzeit bislang vor allem von der immensen Qualität der Einzelnen. Nicht von einer tragenden Idee. Das ist auch das, was dem Trainer zum Vorwurf gemacht wird. Ebenso wie die mangelnde Weiterentwicklung des Teams und seine Analysen, die oft zu positiv ausfallen und sich deutlich von der kollektiven Wahrnehmung unterschieden. Aber was soll ein Coach auch machen?
Besonders eklatant treten die Defizite im Spiel nun auf, wo Stürmer Simon Terodde nicht mehr trifft. Dieses Schicksal ereilt jeden Angreifer, irgendwann. Selbst Robert Lewandowski und Erling Haaland haben schon mehr als eine Partie in Folge nicht getroffen. Das klingt komisch. Ist aber so. Wie eben bei Terodde. Der hatte die 2. Liga in den vergangenen Jahren zu seinem Reich gemacht und egal wo er auch war, hatte er einen Treffer nach dem anderen erzielt. Es waren so viele geworden, dass der ewige Rekord von Dieter Schatzschneider eingeholt wurde. Aber kaum war diese Marke Anfang Oktober erreicht, war plötzlich nichts mehr als dunkler Himmel. Das Feuerwerk, es war und ist erloschen.
Davon auszugehen, dass alles gut werden würde, wenn Terodde wieder trifft, das würde die Probleme des FC Schalke 04 verzwergen. Die Mannschaft schleppt eine ganze Halde an Sorgen mit sich herum. Immer wieder leisten sich die Spieler fatale Aussetzer, immer wieder entstehen große Lücken im Aufbauspiel sowie in der Absicherung und in der Offensive fehlt ein Plan B neben dem Plan T(erodde). Von Dominanz oder aber von begeisterndem Fußball sind die Königsblauen derzeit soweit entfernt, wie der BVB von einer erfolgreichen Jagd auf den FC Bayern. Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit, noch ist aus Sicht der Schalker nichts passiert. Als Tabellenfünfter sind alle Chancen zur Erstliga-Rückkehr bestens intakt. Und so betont Grammozis, dass man vor der Saison mit dieser Situation nach 13 Spieltagen (22 Punkte) hätte leben können. Aber ist das wirklich so?
Ein sehr guter Sommer auf Schalke
Klar war, dass sich die Mannschaft nach dem Abstieg radikal verändern würde. Müsste. Zu teuer war der Kader, zu wenig lieferte er. Es passte kaum etwas zusammen. Vermutlich passte sogar gar nichts zusammen. Aber als dann absehbar war, dass Sportvorstand Rouwen Schröder einen erstaunlichen Transfersommer meisterte, den sogar die Ultras zuletzt lobten, dass er einen sehr fähigen Kader zusammengestellt hatte, da wuchs plötzlich der Glaube, dass es gut, dass es vielleicht sogar sehr gut laufen könnte. Womöglich ist die erste Elf die beste der Liga. Dass es dahinter etwas dünner wird, das verwundert angesichts der maroden Finanzlage eher nicht.
Umso bitterer ist, dass sich Schalke bereits in der 2. Runde aus dem DFB-Pokal verabschiedet hatte. Ein kleines Debakel, dass sich der Coach anheften muss. Mit Terodde schonte er seinen Topstürmer gegen Drittligist 1860 München. Auch Thomas Ouwejan, der die linke Seite bespielt und im Laufe der Saison zur großen Entdeckung wurde, saß nur auf der Bank. Man kann diese Entscheidungen mit Belastungssteuerung begründen. Allerdings ist es auch so: Die Schalker spielen weder in Europa, noch gibt es sonderlich viele Spieler, die regelmäßig zu ihren Nationalmannschaften reisen müssen. Vor allem sind kaum Leistungsträger dabei. Lediglich Malick Thiaw, Ko Itakura sowie Mehmet Aydin sind von der Stammbesetzung in der laufenden Abstellungsperiode unterwegs.
Für Grammozis ist das eigentlich eine gute Situation. Er hat nun ein paar Tage Zeit und Ruhe. Die gönnen ihm auch die Bosse. Sie haben eine Trainerdiskussion nach der Pleitenserie vehement abgewürgt. Aus ehrlicher Überzeugung? Oder weil es die Finanzen schwer machen, eine gute Lösung als Ersatz zu finden (zusätzlich zu einer Abfindung)? Auch aus der Mannschaft bekommt der Coach öffentlich Unterstützung. Doch trotz der Rückendeckung kursieren in Fan-Foren und Medien bereits Namen wie Ex-Coach Domenico Tedesco oder der gerade bei Norwich City entlassene Daniel Farke. Und sie werden mit jedem weiteren Rückschlag lauter gerufen werden. Und die nächsten Wochen werden knackig. In Serie warten Konkurrenten um den Aufstieg: Werder Bremen, Tabellenführer FC St. Pauli, der 1. FC Nürnberg sowie der Hamburger SV. Es geht um das Große und das Ganze. Um den Aufstieg. Um Grammozis. Und natürlich um Schalke, diesen größten Verein mitten im Pott.
Quelle: ntv.de