Das deutsche Olympia-Aufgebot wächst. Die Fußballerinnen lösen das Ticket und erfüllen sich und ihrem Trainer Horst Hrubesch den großen Traum. Der 72-Jährige hat hohe Ambitionen - dabei ist im Team längst noch nicht alles perfekt.
"Der Sommer ist gerettet." Klara Bühl strahlte bei diesen Worten. Jetzt steht fest, wohin die Reise der 23-Jährigen gehen wird: nach Frankreich mit dem DFB-Team zu den Olympischen Spielen. Die Frauen haben sich ihren großen Traum erfüllt, das "Alles oder nichts"-Spiel gegen die Niederlande verdient mit 2:0 gewonnen und so das Ticket gelöst. Bühl sowie ihre Teamkollegin vom FC Bayern, Lea Schüller, machten den Sieg mit ihren Toren klar.
2021 hatte das deutsche Team die Olympischen Spiele verpasst, bei der letzten Teilnahme 2016, noch unter Trainerin Silvia Neid, Gold gewonnen. Vier Spielerinnen von damals sind noch dabei im Team von Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch: Kapitänin Alexandra Popp und Verteidigerin Kathrin Hendrich spielten gegen die Niederlande, Svenja Huth und Sara Däbritz drückten von der Bank aus die Daumen. Auch Hrubesch selbst war damals in Rio de Janeiro dabei - allerdings bei den Frauen nur als Zuschauer. Mit der deutschen Auswahl der Männer war er ebenfalls ins Finale eingezogen, da aber Gastgeber Brasilien mit Neymar unterlegen. Als "Herr der Ringe" bezeichnet ihn daher der Hamburger SV, von dem er an den DFB nur ausgeliehen ist, in seinem Glückwunsch-Post bei X.
Und der Stellenwert ist bei den Frauen noch ungleich höher als bei den Männern. Während bei diesen nur Spieler antreten dürfen, die nicht älter als 23 Jahre sind, gibt es diese Altersbeschränkung bei den Frauen nicht. Es ist ein Duell der weltbesten Teams mit den weltbesten Spielerinnen und mit viel Prestige verbunden. Zum Vergleich: Bei den Männern waren in Deutschland längst nicht alle Spieler für Tokio 2021 bereit, der damalige Trainer Stefan Kuntz hatte mit Unwillen vor allem der Klubs zu kämpfen. Und so schied das Team bereits in der Gruppenphase aus.
Hrubesch gibt Mammutaufgabe aus
Horst Hrubesch soll es nun anders gehen. Der 72-Jährige kann in Frankreich - gespielt wird nicht nur in Paris, sondern auch in Bordeaux, Nantes, Lyon, Marseille, Nizza und Saint-Etienne - seine lange Karriere krönen. Das olympische Motto "Dabei sein ist alles" reizt ihn dabei überhaupt nicht. "Ich werde nicht nach Paris fahren, um mitzuspielen, ich will schon ins Endspiel." Ob der bereits feststehenden Teams eine Mammutaufgabe. Mit dabei sind die Weltmeisterinnen aus Spanien, die Titelverteidigerinnen aus Kanada, die Gastgeberinnen aus Frankreich sowie die USA, Brasilien, Kolumbien, Japan, Australien und Neuseeland. Die zwei afrikanischen Nationen stehen noch nicht fest. Die Gruppenauslosung findet am 20. März statt. Gespielt wird in drei Vierergruppen, danach geht es direkt ins Viertelfinale.
Gekrönt hat Hrubesch seine zweite Amtszeit bei den DFB-Frauen schon jetzt. Er verlängert sie mit dem Erfolg um ein paar Monate. Für die Olympia-Teilnahme wäre er auch zu Fuß nach Paris gegangen, hatte er gesagt, der DFB wird sicherlich eine bequemere Möglichkeit finden. 2018 war er schon einmal eingesprungen, als nichts mehr rund lief. Nach dem WM-Debakel von Australien im vergangenen Jahr und der Trennung von Martina Voss-Tecklenburg ließ er sich einmal mehr auf den Job ein. Für die Frauen ein Gewinn, wie sie immer wieder betonen. Und so war es gegen die Niederlande auch ein Sieg für Hrubesch: "Wir haben heute auch ein paar Prozent für ihn gegeben", sagte Bühl.
Vom "Angsthasenfußball" zum selbstbewussten Auftritt
Nicht nur deren Sommer ist gerettet. Der Abwärtsstrudel des Teams ist gestoppt. Der ganze DFB kann etwas aufatmen. Das zeigte sich nach Abpfiff auf dem Rasen von Heerenveen. Dort feierten nicht nur Hrubesch und seine Spielerinnen, sondern auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Geschäftsführer Andreas Rettig und Frauen-Sportdirektorin Nia Künzer. Ein Erfolgserlebnis für den kriselnden Verband. Vor der Heim-EM der Männer. Ein Erfolgserlebnis, nachdem es zuletzt nur schlechte Nachrichten vom DFB gegeben hatte.
Die hatte es auch am Freitag noch von den Frauen gegeben. Im Spiel gegen Frankreich (1:2) hatte es "Angsthasenfußball" zu sehen gegeben. Ein Zitat von Giulia Gwinn, die mit ihrem souverän verwandelten Elfmeter das einzige Tor des DFB an diesem Abend erzielt hatte. Die vorzeitige Qualifikation für Olympia und der Einzug ins Finale der Nations League war verpasst.
Von den Angsthasen war gegen die Niederlande nun nichts mehr zu sehen. Von Beginn an stimmte die Körpersprache, der Auftritt der deutschen Elf auf dem Platz. Die Zweikämpfe waren selbstbewusst geführt, jeder Ball zurückerobert, schon früher hätte das 1:0 auf der Anzeigetafel stehen können. "Wir haben von der ersten Minute alles gegeben", so Bühl zufrieden. Und Kapitänin Popp sagte: "Jeder hat heute ordentlich Kilometer gemacht, aber es hat sich gelohnt."
Oberdorf zeigt den Wandel
Exemplarisch ist dieser Wandel innerhalb von nur fünf Tagen zu sehen bei Lena Oberdorf. Die 22-Jährige war gegen Frankreich ein Schatten ihrer selbst, hatte mit ihrem harten Foul den Französinnen einen unnötigen Elfmeter zum 0:2 geschenkt. "Da muss sie nicht mit der Grätsche kommen", schimpfte Popp hinterher. Hrubesch attestierte ihr, sie habe sich "dumm angestellt". Am Mittwochabend nun spielte die Wolfsburgerin, die nach der Saison zum Rivalen FC Bayern wechselt, wieder Weltklasse. Sie räumte hinten ab - und setzte nach vorn Akzente. Mehr sogar, ohne sie hätte es das 1:0 durch Bühl nie gegeben. Sie eroberte den Ball, trug ihn in den Strafraum, passte nach außen zu Jule Brand und bereitete dann mit ihrem Kopfballpass zu Bühl die Führung vor.
Die Form des DFB-Teams pendelt stark. Die Konstanz fehlt. Sie fehlte schon unter Voss-Tecklenburg, mündete da im WM-Debakel. Und auch Hrubesch hat sie noch nicht gefunden. Er hat es aber immerhin geschafft, dem Team mit einfachen Spielideen Vertrauen zurückzugeben. Er hat die Stimmung im Team verbessert. Er hat dafür gesorgt, dass das Team liefert, wenn es absolut nötig ist. Im Dezember hatten sie mit ihrem überzeugenden 3:0-Sieg gegen Dänemark in Rostock erst die Tabellenführung in der Nations-League-Gruppe erobert und mit einem glücklichen 0:0 in Wales den Einzug ins Finalturnier gesichert. Sonst wäre der Traum von Olympia da bereits geplatzt. Nun also der Sieg gegen die Niederlande und die Erfüllung des Traums.
Wobei der nicht für alle Bestand haben wird. Nur 18 Spielerinnen dürfen dabei sein, fünf Spielerinnen müssen aus dem Kader gestrichen werden. In dem fehlten bereits die WM-Spielerinnen Nicole Anyomi, Chantal Hagel, Lena Lattwein, Lina Magull und Felicitas Rauch. Der Kampf wird hart, der DFB wehrt sich allerdings derzeit offiziell mit anderen europäischen Nationen gegen das kleine Aufgebot. Unwahrscheinlich ist es allerdings, dass das Internationale Olympische Komitee sich erweichen lassen wird. Hrubesch wird sich mit seinem Trainer-Team entscheiden müssen.
Gleichzeitig könnte im Hintergrund bereits ein weiterer Coach agieren. Denn schon im April - also noch weit vor Olympia - geht es mit der Qualifikation für die EM 2025 in der Schweiz weiter. Auch die Quali-Spiele wird Hrubesch betreuen, die EM dann aber nicht mehr. Wer Trainerin oder Trainer wird, wird "zeitnah" bekannt gegeben, wie Künzer sagte. Wichtig ist erst einmal die Feststellung von Bühl: "Der Sommer ist gerettet."
Quelle: ntv.de