Bei Daei ist die FIFA zu feige Infantino verabschiedet Messi ins Ungewisse
28.02.2023, 08:01 Uhr
Der letzte große, gemeinsame Auftritt?
(Foto: AP)
Lionel Messi ist der Beste seiner Zunft. Die Auszeichnung als FIFA-Weltfußballer hat schon den Hauch von einer Lebenswerk-Ehrung. Die Gala in Paris läuft routiniert ab, auch weil der Verbandsboss sich lieber mit den Stars schmückt und eine große Chance verpasst.
Wer ist der beste Fußballer der Welt? Es ist die ewig große, die ewig umstrittene Frage. Am Montagabend wurde sie mit Lionel Messi beantwortet. Der Argentinier hatte seine herausragende Karriere Mitte Dezember mit dem WM-Titel gekrönt. Es war der letzte gewichtige Titel im Weltfußball, den "La Pulga" noch nicht abgegriffen hatte. Seither gilt die Laufbahn des 35-Jährigen als endgültig vollendet. Doch an großen Aufgaben mangelt es ihm nicht. In der kommenden Woche kämpft er mit Paris St. Germain darum, den FC Bayern aus der Champions League zu kegeln. Ein 0:1 aus dem Hinspiel muss wettgemacht werden. Messi nahm die Geschehnisse auf der Bühne der "The Best"-Gala in Paris gelassen hin. Zum bereits siebten Mal hatte er die Wahl der FIFA gewonnen.
Es war womöglich das letzte Mal. Denn längst ist nicht klar, wie es für Messi weitergeht. Sein Vertrag in Paris läuft aus, die Verhandlungen laufen Medienberichten zufolge zäh. Der FC Barcelona flirtet immer wieder mit der Idee, den verlorenen Sohn heimzuholen. Und aus der amerikanischen Major League Soccer und von der arabischen Halbinsel sollen immer wieder unwiderstehliche Anfragen hereingeflattert. Abkassieren im Exil oder doch nochmal ein paar epochale Heldentaten bei einem Großklub als Ziel ausrufen? Das ist die Frage. Cristiano Ronaldo, sein ewiger Rivale, hatte diese im Spätherbst 2022 für sich beantwortet. Er reüssiert in Saudi-Arabien. Aus dem FIFA-Kosmos, dessen schillernder Star er fast zwei Jahrzehnte lang war, ist er verschwunden. In Paris war er nun nicht zugegen. Ein Abend der Legenden ohne Ronaldo. Mehr Zeitenwende im Fußball geht nicht.
Infantino disst den "Ballon d'Or"

Läuft bei ihm, im Schatten der schillernden FIFA-Welt: Cristiano Ronaldo reüssiert in Saudi-Arabien.
(Foto: picture alliance / AA)
Und so gewinnen auch die Worte von FIFA-Boss Gianni Infantino eine gewisse Doppeldeutigkeit, wenn er sagt, dass Messi nun "offiziell bester Spieler der Welt" ist. In erster Linie ist das ein Seitenhieb in Richtung "Ballon d'Or", dem konkurrierenden Weltfußballer-Wettbewerb, der ein deutlich höheres Renommee genießt. Für Infantino, den Allmächtigen, ein Graus. Das Beste der (Fußball)-Welt soll mit seinem Namen verbunden sein, daher auch der Name dieser Gala. Und so überlässt er den Protagonisten die Bühne freilich nicht. Zur Eröffnung spricht er, beim Ehrenpreis für den verstorbenen Pelé bietet er sich der Witwe als anteilnehmender Freund an und als die Weltfußballerin und der Weltfußballer gekürt werden, übernimmt er die Verkündung höchst selbst.
Wann immer es den Fame der Giganten abzugreifen gibt, ist der Schweizer zugegen. Wie schmierig es dabei zugehen kann, gab es nach dem WM-Finale zu sehen, als Messi von Gastgeber Katar und Infantino ein edles Übergewand übergestreift bekam. In der westlichen Welt gab es Empörung, im Emirat nur Achselzucken. Auf derlei Übergriffigkeiten wurde im Salle Pleyel verzichtet. Manchmal muss der Glanz der Legenden eben reichen. Selbst für einen Gianni Infantino, der sonst immer Wege findet, alles auf eine sonderliche Weise zu überstrahlen.
Zu viele Eitelkeiten bei der Wahl
Dieser Abend aber, er gehörte im Großen und Ganzen dem Weltmeister. Als Welttrainer wurde Lionel Scaloni ausgezeichnet, er ließ unter anderem Real Madrids kultigen Champions-League-Sieger Carlo Ancelotti hinter sich. Bester Torwart der Welt wurde Emiliano Martinez, er setzte sich unter anderem gegen Thibaut Courtois, ebenfalls Real Madrid durch. Die Königlichen verzichteten übrigens im Kollektiv auf den Besuch der Gala. In spanischen Medien hieß es, dass man im Klub durchaus beleidigt sei. Vor allem wohl wegen der Auszeichnung für Messi, der "Ballon d'Or"-Gewinner Karim Benzema hinter sich gelassen hatte und wegen der Nichtberücksichtigung ihres Jungstars Vinicius Junior auf der 26 Akteure umfassenden Shortlist für die Weltelf. Offiziell hieß es, man wolle sich auf das Pokalspiel gegen den FC Barcelona am Donnerstag vorbereiten.
Die Wahl der Besten ist Jahr für Jahr ein Politikum. Nicht frei von Eitelkeiten, Freundschaften oder eben alten Rivalitäten. Auch in diesem Jahr. Stimmberechtigt sind neben den Nationaltrainern und Spielführern jedes FIFA-Mitgliedslandes auch Fans und ausgewählte Journalisten. Messi votierte als argentinischer Kapitän für seinen Klub-Kollegen Neymar (warum eigentlich?) vor Kylian Mbappé (ebenfalls PSG, Platz zwei in der Weltfußballer-Wertung), dem für viele Experten dominierenden Fußballer der kommenden Jahre, und Benzema (Dritter in der Wertung). Sein Nationalcoach Lionel Scaloni wählte Messi vor Julian Alvarez und Luka Modric. Der französische Kapitän Hugo Lloris stimmte wiederum für Mbappé vor Benzema und Messi. Nationalcoach Didier Deschamps verteilte seine Punkte wie Lloris. Für Portugal stimmte nicht Ronaldo ab sondern Verteidiger Pepe - und zwar für Mbappé, Modric und Benzema. Über den wahren Wert einer solchen Wertung darf man daher viel trefflicher diskutieren, als über die Wahl von Messi in diesem Jahr.
Warum eigentlich nicht Beth Mead?
Nicht ganz unumstritten war derweil auch die Kür der spanischen Ausnahmespielerin Alexia Putellas. Die 29-Jährige vom FC Barcelona setzte sich bei der Wahl gegen die englische Europameisterin Beth Mead und US-Star Alex Morgan durch. Putellas hatte vor der EM im vergangenen Jahr ein großes sportliches Drama erlebt: Einen Tag vor Turnierbeginn erlitt sie im Training einen Kreuzbandriss. Europameisterin Mead, beste Torschützin der EM und auch Spielerin des Turniers, ging in Paris etwas überraschend leer aus. Bei den weiteren Auszeichnungen räumten die englischen Europameisterinnen komplett ab. Welttrainerin wurde zum dritten Mal nach 2017 und 2020 Sarina Wiegman, die Niederländerin coacht die Lionesses seit 2021. Mary Earps von Manchester United gewann die Wahl zur Welttorhüterin.
Die meisten Ehrungen wurden routiniert abgewickelt. Für große Emotionen bei sich selbst und den Gästen sorgte der beinamputierte Pole Marcin Oleksy. Der 35-Jährige wurde für seinen Treffer im Spiel der Amputierten-Liga seines Heimatlandes für Warta Posen mit dem Puskas-Award für das schönste Tor des Jahres ausgezeichnet. Oleksy hatte sich bei der Aktion auf seinen Krücken in die Luft geschwungen und den Ball rückwärts zum Tor in die Maschen geschossen. Oleksy ließ bei der Abstimmung unter anderem den sehenswerten Scherenschlag-Treffer des Brasilianers Richarlison bei der WM in Katar im Gruppenspiel gegen Serbien hinter sich.
"El Tula" verzaubert das Publikum
Zum heimlichen Star des Abends schwang sich Carlos "El Tula" Pascual auf. Der 82-Jährige nahm den Fan-Award stellvertretend für die argentinischen Anhänger entgegen, die der WM in Katar mit ihren Gesängen und mit ihrer Leidenschaft tatsächlich echte Emotionen bescherten (was bei der Gala so offen nicht angesprochen wurde). "El Tula" kam in voller Montur auf die Bühne, mit dabei seine legendäre Bombo. In einer ausschweifenden Laudatio (oder etwas Ähnlichem) unterhielt er das Publikum und machte keine Anstalten, die Bühne zu verlassen. Einmal ins Plaudern gekommen, hatte er viel zu erzählen. Über die Bedeutung der Nationalmannschaft, die er zu 13 Weltmeisterschaften begleitet hat und mit der er drei Titel feiern durfte.
Für einen politischen Moment, den die mächtigen Sportfunktionäre doch so gerne meiden und doch immer wieder heraufbeschwören, sorgte der Auftritt von Ali Daei. Er hatte zwar nur eine Nebenrolle, aber eine mit Symbolkraft: Der iranische Rekord-Nationalspieler setzte als Gast ein Zeichen. Auf seiner ersten Auslandsreise nach seiner Kritik an dem repressiven Regierungskurs im Iran stand er bei der Übergabe des Fair-Play-Preises an Fußball-Profi Luka Lochoschwili mit auf der Bühne. Daei und seine Familie waren zuletzt immer wieder von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt worden. Ende Dezember wurden seine Frau und seine Tochter an der Ausreise gehindert. Die Justiz warf Daeis Frau vor, sich bei der Protestwelle im Land mit "kontrarevolutionären" Demonstranten solidarisiert zu haben. Schade nur, dass der Ex-Spieler des FC Bayern die Bühne offenbar nicht für ein Statement nutzen durfte. Die FIFA hatte damit wieder einmal einen großen Moment verpasst.
Quelle: ntv.de