Fußball

BVB plötzlich wie ein Team Notfallsanitäter Kovac birgt verschüttetes Selbstvertrauen

Noch ein ungewohntes Bild: Niko Kovac als Trainer von Borussia Dortmund.

Noch ein ungewohntes Bild: Niko Kovac als Trainer von Borussia Dortmund.

(Foto: IMAGO/Kirchner-Media)

Der neue Trainer von Borussia Dortmund, Niko Kovac, steht vor einer gigantischen Aufgabe. Jede Niederlage könnte für den wankenden Giganten aus dem Pott fatal sein. Der Kroate kann eigentlich nur verlieren. Weil er seinem Team Mut zuspricht, gewinnt diese überzeugend in Lissabon. Ein Anfang?

Der Berliner Notfallsanitäter Niko Kovac konnte am Dienstag erste saisonerhaltende Maßnahmen beim um Identität, Popularität und Zukunft kämpfenden Revierklub Borussia Dortmund durchführen. Mit einer nicht mehr für möglich gehaltenen Leistungssteigerung gelang dem Tabellenelften der Fußball-Bundesliga in den Playoffs der Champions League ein 3:0 (0:0) bei Sporting Lissabon, dem Tabellenführer der portugiesischen Liga.

Im Anschluss lobte Kovac die "Mentalität, Körperlichkeit und Aggressivität" seiner neuen, seit einigen Wochen am Rande der fußballerischen Wirklichkeit agierenden Mannschaft. Sein Team, sagte der noch nicht als Wunderheiler zu bezeichnende Trainer, habe "durchgehalten bis zum Schluss". Und nicht einmal einen Treffer kassiert. Ein Spiel mit Seltenheitswert.

Sporting - Borussia Dortmund 0:3 (0:0)

Sporting: Silva - Fresneda (73. Quaresma), Diomande, St. Juste, Reis (62. Braganca) - Quenda, Debast (73. Biel), Simões (62. Morita), Araújo - Trincão, Harder (59. Gyökeres). Trainer: Borges

Dortmund: Kobel - Ryerson, Can, Schlotterbeck, Svensson (90.+3 Süle)- Sabitzer, Groß (90.+3 Özcan)- Adeyemi (86. Duranville), Brandt (86. Chukwuemeka), Gittens (60. Beier) - Guirassy. Trainer: Kovac

Schiedsrichter: Espen Eskås (Norwegen)

Tore: 0:1 Guirassy (60.), 0:2 Groß (68.), 0:3 Adeyemi (82.)

Gelbe Karten: Trincão - Guirassy

Zuschauer: 41.543

Guirassy besser als Lewandowski und Haaland?

Dabei waren dem in den vergangenen Wochen häufiger der Fallsucht erliegendem Stürmer Serhou Guirassy (60.), dem DFB-Mittelfeldspieler Pascal Gross (68.) und dem schnellen, aber in seiner Entscheidungsfindung meist unmöglichen Karim Adeyemi (82.) die Treffer gelungen. Zwei dieser Treffer hatte der aufgrund seiner fehlenden Leader-Qualitäten infrage gestellte Julian Brandt aufgelegt. Dem Tor des 33-jährigen Gross ging eine Flanke von Guirassy voraus. Der krönte sich in Lissabon zum König der Dortmunder Champions-League-Geschichte. Er ist in neun Spielen im laufenden Wettbewerb nunmehr an 13 Toren direkt beteiligt, zehn davon hat er sogar selbst erzielt.

Damit führt Guirassy nicht nur die Torschützenliste der Königsklasse an, sondern schloss zu den ehemaligen BVB-Topstürmer Erling Haaland und Robert Lewandowski auf. Die hatten in den Spielzeiten 2020/2021 respektive 2012/2013 auch jeweils zehn Tore in einer Spielzeit erzielt. Mehr hat in einer Saison noch nie jemand geschossen. Der 28-jährige Nationalspieler Guineas dürfte noch einige Gelegenheiten bekommen, sich diesen alleinigen Rekord zu krallen.

BVB muss auf TV-Experten Matthias Sammer verzichten

Denn dem Einzug in das Achtelfinale der Königsklasse, dann gegen OSC Lille oder Aston Villa, stehen nur noch 90 Pflichtminuten im Rückspiel am kommenden Mittwoch (18:45 Uhr/DAZN und im Liveticker auf ntv.de) entgegen. Denn zur Wahrheit über den später als "überragend" bezeichneten Sieg in Portugal gehört auch: Sporting hat seit dem Abgang von Trainer Ruben Amorim im Anschluss an den 4:1-Triumph gegen Manchester City in der Königsklasse keinen Erfolg mehr einfahren können. Nach einigen knappen Annäherungen in der ersten Halbzeit zerfielen die Spieler des Traditionsklubs unter dem dritten Trainer der Saison, Rui Borges, später in ihre Einzelteile.

Dass dies jedoch auch geschah, lag an den mit der Forderung nach mehr Offensive eingeleiteten Rettungsmaßnahmen des nach dem 1:2 gegen den VfB Stuttgart bei seinem Debüt bereits in der Kritik stehenden Kovac. Er verschob die Mannschaft nach vorne. Sie presste früher, spielte im Verbund um einiges höher und stresste Sporting so. Als Guirassy traf, brach Lissabon zusammen. "Wir haben da unser Selbstvertrauen verloren", gestand Trainer Borges. "Wir waren nicht mehr so aktiv, haben unser Gleichgewicht verloren. Das Ergebnis ist am Ende ungerecht. Wir haben das Spiel in die Hände von Borussia Dortmund gegeben."

Kovac hatte in den ersten 45 Minuten eine zögerliche Mannschaft gesehen, die das Mittelfeld herschenkte, nach vorne keine Initiative zeigte und sich immer brandgefährlichen Schüssen aus der zweiten Reihe stellen musste. Einer, von Maxi Araujo, klatschte in der 15. Minute ans Gebälk. Ein anderer, von Conrad Harder, erreichte die rettende Hand von BVB-Keeper Gregor Kobel.

"Man kann jetzt nicht hier kommen und die gleich an die Wand spielen", erklärte Kovac nach dem Spiel bei Streamingdienst Prime, bei dem die Zuschauer diesmal vergeblich auf eine Wutrede von Matthias Sammer warteten. Der TV-Experte und BVB-Berater hatte in einem zumindest vereinshistorischen Moment nach dem 1:2 beim FC Bologna die Entlassung des Trainers Nuri Sahin derart beschleunigt und dabei kurzerhand auch den aktuellen Leistungsstand des auch von ihm mitzuverantwortenden Kaders mit vernichtenden Worten beschrieben. Sammer fehlte diesmal aus privaten Gründen, hieß es. Seine Abwesenheit sei lange geplant gewesen. Es habe nichts damit zu tun, dass der BVB ihm eine striktere Trennung seines Lebens als Berater und Experte nahegelegt hatte.

Sebastian Kehl total erleichtert

Das auch durch Sammer, aber natürlich auch durch die desaströsen Leistungen der Mannschaft ausgelöste, vom Boulevard eilends als "BVB-Beben" bezeichnete, Erdbeben hatte in der Folge nicht nur den im Juli als Cheftrainer installierten Sahin aus dem Amt gespült, sondern auch den ebenfalls erst im vergangenen Mai zurückgeholten Sven Mislintat seinen Job als Technischen Direktor bei Borussia Dortmund gekostet.

Der 52-Jährige war in seiner ersten Zeit in Dortmund ein Diamentenauge. Er hatte sich einen exzellenten Ruf als Entdecker der größten Talente des Fußballs in den entlegensten Regionen dieser Erde erarbeitet, gerierte sich nun jedoch eher wie ein Tullus Destructivus, dessen reine Anwesenheit immer wieder Streit auslöst. Aufgrund seiner Interpretation der Rolle des Technischen Direktors gab es bereits wenige Monate nach seiner Rückkehr und noch vor Beginn dieser für den BVB womöglich so fatalen Saison Gerüchte um seinen Abschied, der dann erst wenige Tage nach Ende der Transferperiode im Winter 2025 erfolgte.

Vorher jedoch bediente sich der BVB noch einmal des Talentpools des Scouts. Der beim Sieg in Lissabon debütierende Schwede Daniel Svensson war erst in der vergangenen Woche vom FC Nordsjealland verpflichtet worden, wohl auf Betreiben von Mislintat und nicht von Sportdirektor Sebastian Kehl. Der zeigte sich nach dem Spiel ebenso erleichtert wie der Rest des Klubs. "Der Druck war groß", sagte er. "Wir haben eine Menge Aufgaben, die haben sich nicht von heute auf morgen gelöst. Das war nur ein erster Schritt."

Ein erster Schritt, der Kehl sogar ein wenig Mut für das kommende Ligaspiel beim VfL Bochum machte. Beim kleinen Reviernachbarn muss Dortmund dreifach punkten, um überhaupt noch an eine Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb in der Saison 2025/2026 denken zu können. "Jetzt ist es wichtig, wirklich den Willen zu zeigen, das zu bestätigen. Das Spiel jetzt auch abhaken, Bochum wartet", forderte Kehl. "Das Selbstbewusstsein müssen wir jetzt kurzfristig erstmal mit nach Bochum nehmen."

Erster Sieg für Kovac seit Dezember 2023

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Diese zarte Pflanze Selbstbewusstsein war dabei erst ab Minute 46 aus der Erde gekrochen, weil Kovac seiner Mannschaft eine entscheidende Änderung mit auf den Weg gegeben hatte. "Wir haben in der zweiten Halbzeit sehr viel mehr das Balltempo erhöht", erklärt der 53-Jährige nach dem Spiel. Der Kroate mit Wurzeln im Berliner Arbeiterbezirk Gesundbrunnen hatte seit dem 16. Dezember 2023, einem 1:0 mit Wolfsburg beim SV Darmstadt, kein Spiel mehr gewinnen können und war nach elf sieglosen Spielen in Serie (fünf Unentschieden, sechs Niederlagen) seit einem 1:3 gegen den FC Augsburg am 16. März 2024 ohne Job.

In Dortmund will er kein Feuerwehrmann sein und verhandelte einen bis zum Ende der Spielzeit 2025/2026 gültigen Vertrag. "Wir werden aus dem Spiel sicher sehr viele schöne Momente mitnehmen können in der Nachbesprechung", sagte der Trainer. Doch in der Gesamtbetrachtung einer Saison werden diese Momente zu vernachlässigen sein, sollte es dem Notfallsanitäter Kovac nicht gelingen, die saisonerhaltenden Maßnahmen bis weit in den Mai zu verlängern. Es ist noch ein langer Weg für diesen weiterhin am Boden liegenden Klub, dessen Verfall von vielen Beobachtern nur beiläufig registriert wird. Zu viele Großklubs sind vor Borussia Dortmund schwer gestürzt. Aus dem Notfallsanitäter Kovac muss jetzt ein Doktor werden.

Quelle: ntv.de

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