Fußball

Bosz: "Geht um meinen Job" Rätselhafter BVB scheitert wieder krachend

Frohsinn im Westfalenstadion: Marc Bartra und Pierre Emerick Aubameyang.

Frohsinn im Westfalenstadion: Marc Bartra und Pierre Emerick Aubameyang.

(Foto: imago/Horstmüller)

Nach der Niederlage gegen Tottenham ist Borussia Dortmund raus aus der Champions League. Was ist nur passiert? Die Protagonisten sind ratlos. Wenn nun der FC Schalke 04 zum Derby kommt, geht es auch um die Zukunft des Trainers.

Zehn Minuten vor Spielbeginn war die Stimmung in der Gelben Wand merkwürdig gedrückt. Auf der größten Stehplatztribüne der Welt, wo sie sich sonst schon lange vor dem Anpfiff lautstark einsingen, herrschte Schweigen. Und das lag nicht daran, dass es in der Fußball-Champions-League nur Sitzplätze gibt. Die Fans sind verunsichert und frustriert, weil es mit ihrer Mannschaft in den letzten Wochen immer steiler bergab geht.

Dortmund - Tottenham 1:2 (1:0)

Tore: 1:0 Aubameyang (31.), 1:1 Kane (48.), 1:2 Son (76.)
Borussia Dortmund: Bürki (90.+2 Weidenfeller) - Toljan, Bartra, Zagadou (78. Toprak), Schmelzer - Weigl - Jarmolenko, Mario Götze, Kagawa (66. Castro), Guerreiro - Aubameyang. - Trainer: Bosz
Tottenham Hotspur: Lloris - Dier, Sanchez, Vertonghen - Winks, Alli (81. Dembele) - Aurier, Eriksen (85. Sissoko), Rose - Son, Kane (86. Llorente). - Trainer: Pochettino
Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)
Zuschauer: 65.849 (ausverkauft)
Gelbe Karten: Schmelzer, Toljan (3)
Torschüsse: 7:11 - Ecken: 8:10
Ballbesitz: 50:50 Prozent
Zweikämpfe: 85:101

Nur ein Sieg aus den letzten neun Pflichtspielen - und der auch lediglich im Pokal gegen den Drittligisten aus Magdeburg - das hat Spuren hinterlassen in einem Verein, der verzweifelt nach allem strebt, was Erfolg verspricht. Die Suche wurde auch gegen Tottenham Hotspur nicht belohnt. Das Spiel am Dienstag ging vor 65.849 Zuschauern im ausverkauften Westfalenstadion trotz einer Führung in der ersten Hälfte noch mit 1:2 (1:0) verloren. Drei Niederlagen und zwei magere Remis gegen die europäischen Leichtgewichte von Apoel Nikosia - der BVB ist in der Champions League krachend durchgefallen.

Im letzten Gruppenspiel in Madrid geht es für das börsennotierte Fußballunternehmen nur noch darum, den dritten Platz zu sichern, der wenigstens das Überleben in der Europaliga garantieren würde. All die Symptome der Dortmunder Krise wurden auch an diesem nasskalten Novemberabend offensichtlich. Es fehlen jegliche Sicherheit und Leichtigkeit, die das Dortmunder Spiel zu Saisonbeginn auszeichneten, als die Mannschaft mit fulminantem Angriffsfußball auf Rang eins der Bundesliga stürmte. Geblieben ist eine rätselhafte Verkrampfung, die sich in vielen individuellen Fehlern und in einer vollkommenen Unfähigkeit äußert, sich gegen Niederlagen aufzubäumen.

"Wir haben doch alles unter Kontrolle"

Gegen einen über weite Strecken bieder agierenden Gegner aus London erwischte es den BVB in der zweiten Halbzeit, als er den so wertvollen 1:0-Vorsprung ohne Not aus der Hand gab. "Wir haben doch alles unter Kontrolle", sagte Nationalspieler Mario Götze und schaute genauso ratlos in die Runde: "Und dann kriegen wir das Tor. Das darf uns nicht passieren." Eine wahre Erkenntnis, und doch widerfährt es einer Mannschaft immer wieder, die sich nur noch ein Rätsel ist. Die Abwärtsspirale ist längst zum Selbstläufer geworden, ein Ende des negativen Laufs ist nicht in Sicht. Trainer Peter Bosz fehlen die Mittel, den Turnaround zu schaffen, er kann nur den Ist-Zustand beschreiben: "Da ist wohl die Angst in der Mannschaft, nach vorne zu spielen. Es ist doch logisch, dass das Vertrauen nicht mehr da ist."

Doch es scheinen nicht nur gravierende mentale Unpässlichkeiten zu sein, die den BVB limitieren. Wie zuletzt in Stuttgart war auch gegen Tottenham auffällig, dass die Borussia im zweiten Durchgang saft- und kraftlos agierte. Da ist kein Stehvermögen, kein Punch, die Mannschaft wirkt, als sei sie nicht in der Lage, über 90 Minuten Gas zu geben. Die Frage, ob die Mannschaft nicht austrainiert sei, verneinte Bosz: "Es fehlt nicht an Kondition", bekräftigte der Niederländer. Eine Aussage, die Kapitän Marcel Schmelzer bestätigte. "Es ist eine mentale Sache, wenn du dir Woche für Woche die Dinger selber reinhaust."

Wie auch immer man die Dinge betrachtet, es sieht nicht gut aus für Borussia Dortmund. Und mitten in einer veritablen Herbstdepression ereilt den BVB auch noch eine Botschaft, die alle im schwarz-gelben Lager mehr als nachdenklich stimmt: Mit Sven Mislintat verliert der Klub seinen Talentscout und damit einen der wichtigsten Mitarbeiter an Arsenal London. Mislintat fand Spieler wie Lewandowski, Kagawa, Aubameyang, Dembélé und Pulisic, die ihren Marktwert bei der Borussia vervielfachten. In der letzten Saison geriet er mit Ex-Trainer Thomas Tuchel aneinander, der ihm fortan untersagte, das Trainingsgelände zu betreten und mit den Spielern Kontakt aufzunehmen. Ein Umgang, der offensichtlich tiefe Spuren hinterließ. In der Tageszeitung "Die Welt" wird Mislintat wie folgt zitiert: "Ich wäre wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, mich mit anderen Klubs zu beschäftigen." Doch der von Tuchel initiierte Bann "hat meine Denkweise sehr beeinflusst".

Nun sucht das "Diamantenauge" auf der Insel nach Juwelen, und das trifft die Dortmunder nicht nur fachlich hart. Wenn jemand wie der bekennende BVB-Anhänger Mislintat dem Verein seines Herzens den Rücken kehrt, spricht das Bände: Borussia Dortmund wird nur noch als rein gewinnorientiertes Unternehmen wahrgenommen, in dem Werte wie Identifikation und Treue allenfalls als sentimentale Gefühlsduselei wahrgenommen werden. Der viel zitierte Claim "Echte Liebe", den sie in Dortmund wie eine Monstranz vor sich hertragen, ist längst überholt. Im Revier zählt - wie überall sonst im Multi-Millionen-Euro-Business Profifußball - nur eins: Echte Kohle.

Diese Erkenntnis taugt im Revier in Zeiten des sportlichen Niedergangs nicht gerade als Stimmungsaufheller. Im Gegenteil, die Borussia taumelt. Und mit ihr ein Trainer, der mit jeder Niederlage mehr in den Mittelpunkt der Kritik rückt. Als Profi kennt Bosz die Gegebenheiten, die gern als Gesetzmäßigkeiten der Branche bezeichnet werden. Ausgerechnet in dieser Situation kommt der sich im Hoch befindliche Rivale aus Schalke am Samstag zum nächsten Heimspiel: "Wir müssen das Derby gewinnen", sagte Bosz an seinem 54. Geburtstag, der alles andere als ein Feiertag war. Und wie? "Gewinnen", sagte er nur. Er weiß genau, um was es geht: "Das Spiel ist auch wichtig für meine Position."

Quelle: ntv.de

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