Ehemaliger Topstürmer sagt ab Schalke 04 war es unmöglich, dieses Gruselspiel zu verlieren
10.11.2024, 18:22 Uhr
Moussa Sylla feiert mit seinem FC Schalke 04.
(Foto: IMAGO/Pakusch)
Der FC Schalke 04 droht ins Bodenlose abzustürzen. Der letzte Tabellenplatz ist vor diesem Spieltag ein realistisches Szenario in der 2. Bundesliga. Doch im direkten Duell um die rote Laterne erweist sich Regensburg als perfekter Gegner.
Das Tor zur Hölle stand sperrangelweit offen und die Schalker Fußballer gingen seit Wochen wie ferngesteuert darauf zu. An diesem Sonntagnachmittag stand - aus Sicht des FC Schalke 04 -, dass der Klub auf seiner rasanten Reise von Tiefpunkt zu Tiefpunkt an einem existenzgefährdenden Ort landet: auf dem letzten Platz der 2. Fußball-Bundesliga. Auch ohne diese Station ist die Saison der Königsblauen eine große Katastrophe, begleitet von so vielen Störgeräuschen. Und man möchte eigentlich nicht erleben, was in Gelsenkirchen-Erle los sein würde, wäre der Klub, der noch vor fünfeinhalb Jahren in der Champions League gespielt hat (gegen das auch, aber auf anderem Niveau kriselnde Manchester City), nun die schlechteste Mannschaft im Unterhaus.
Tatsächlich wurde dieses Szenario nun noch einmal abgewendet. In Gelsenkirchen gab es direkt ein Füllhorn an guten Nachrichten. Ein Glücksgefühl, mit dem der gemeine Fan kaum noch umzugehen weiß. Im Duell mit dem Tabellenletzten, dem SSV Jahn Regensburg, gab es einen 2:0 (1:0)-Sieg. Der war so dermaßen verdient wie einst die Lohntüte am Ende des Monats für den Bergmann. Kees van Wonderen, der schon tüchtig angezählte Trainer, feierte im fünften Spiel seinen ersten Sieg und pünktlich zur Länderspielpause, die für Schalke längst keine große Relevanz mehr hat, entfernte die Mannschaft sich von den Abstiegsrängen. Zwar beträgt der Abstand als 14. nur zwei Punkte auf den 17., aber der aktuelle Platz bedeutet: Rettung.
Um viel mehr dürfte es in dieser Saison nicht gehen. Ein 14. Platz nach zwölf Spieltagen ist längst kein schlechter Start mehr, sondern knallharte Realität. Nachweis von viel zu vielen Fehlern und Fehleinschätzungen, etwa bei der Kaderplanung. Schalke hat seinen Platz im Umfeld der Fußball-Leichtgewichte Eintracht Braunschweig, SSV Ulm 1846 und Preußen Münster gefunden. Ob der Weg nun nachhaltig nach oben zeigt? Darüber kann dieser Sonntagnachmittag keine Auskunft geben, denn der Gegner Regensburg war alles, aber nicht zweitligatauglich. Zwar wurde nur teilweise deutlich, warum die Mannschaft die schlechteste Abwehr (32 Gegentore) stellt, dafür würde überaus klar, warum der Jahn bislang lediglich fünf (!) Ligatore geschossen hat.
Wie eine Maus im Raubtiergehege
Um sich vorzustellen, wie Schalke dieses Spiel hätte verlieren können, hätte es schon die Schwarmintelligenz eines Endzeitstück-Autorenkollektivs gebraucht. So lag der xG-Wert, seit Thomas Tuchels Zeit als Trainer des FC Bayern weltbekannt und allseits akzeptiertes, analytisches Messinstrument, bei 0,1. Das entspricht in etwa der Gefährlichkeit einer Maus im Raubtiergehege. Das war schon überraschend schlecht, denn die Mannschaft hatte zuletzt ja zweimal gewonnen, in der Liga und im DFB-Pokal. Am Ende steigerte sich der Wert auf 0,29, was eine Auflevelung auf Niveau "zorniger Nager" gleichkam. In der ersten Halbzeit hatten die Gäste zwei Durchbrüche und gegen die durchaus noch nervöse Abwehrreihe der Schalker, mit nur Marcin Kaminski als gelernter Fachkraft, wäre bei klügerer Entscheidungsfindung oder präzisen Abschlüssen mehr möglich gewesen. So aber flogen die Schüsse von Noah Ganaus (14.) und Bryan Hein (32.) deutlich vorbei.
Hätte Ganaus getroffen, in der Arena wäre ganz viel zusammengebrochen. Das Gebilde Schalke ist sehr fragil. Auf dem Platz, im Umfeld. Die Spieltagsschalverkäufer am Stadion waren beschäftigungslos, die Gespräche am Stadion drehten sich um vieles, aber nur wenig um Fußball. Ablenkung von der Ablenkung. Die soll Fußball ja eigentlich sein, aber in Gelsenkirchen ist sie ein nur noch schwer zu schulternder Rucksack. Vor dem Anpfiff schwor der Ultras-Capo die Fans lange ein, im Stadion herrschte sonst Stille, im gut gefüllten Gästefanblock brannte reichlich Pyro. Die Angst vor dem Absturz trieb sich durch die Reihen.
Ganaus pfefferte also weit vorbei und plötzlich jubelte Schalke. Denn zwei Minuten später hatte Tobias Mohr, durchaus umtriebig und voller Leidenschaft, über seine Hereingabe von der linken Seite Kapitän Kenan Karaman gefunden. Der Fußballgott der Schalker drehte sich flink am Gegenspieler vorbei und knallte den Ball über den Pfosten rein. Die Anspannung löste sich, nicht aber die Bremse im Spiel. Van Wonderen wollte offenbar die volle Kontrolle. Bloß keine Hektik, die einem um die Ohren fliegen kann. So verweigerte Torwart Justin Heekeren mehrfach einen schnellen Abschlag auf den sprintenden Mohr. Der wütete, so frei war er. Die Fans pfiffen.
Wie die Snollebollekes - nur ohne Spaß
Schalke hatte den Ball am Fuß, über fast 70 Prozent der Zeit und suchte nach Lösungen. Es ging wie bei einem Handballspiel von links nach rechts. Und wieder zurück. Das war aber nur halb so lustig wie die niederländischen Snollebollekes, die die deutschen Innenstädte bei der EM im vergangenen Sommer zum Beben brachten. Aber gut, wer im Tabellenkeller feiert und lacht, der erkennt womöglich auch den Ernst der Lage. Die verbesserte schnell nach der Pause Schalkes Stürmer Moussa Sylla, der aus dem Gestocher heraus das 2:0 erzielte (53.). Sollte der Jahn etwas vorgehabt haben, es war nach VAR-Prüfung zunichte gemacht worden.
"Es fühlt sich sehr gut an", sagte Torhüter Justin Heekeren nach Abpfiff bei Sky. "Nach diesem Sieg hat sich ganz Gelsenkirchen, ganz Schalke gesehnt." Dass der Gegner der Letzte gewesen sei, sei "scheißegal." Und auch dem Trainer war alles weniger wichtig als die drei Punkte: "Ich bin froh, dass wir so reagiert haben. Ich hoffe, das ist der Anfang von mehr. Es ist ein riesiger Auftrag", sagte van Wonderen. "Wir versuchen das Schritt für Schritt besser zu machen. Ich spüre, dass die Spieler Energie haben. Wir müssen weiter nach oben, das ist für den ganzen Verein wichtig." Die Unruhe im Verein ist mit dem Sieg längst nicht abmoderiert. Am kommenden Samstag steht die Mitgliederversammlung an. Klubchef Matthias Tillmann will den Mitgliedern dann wohl vorschlagen, Anteile an der Arena zu erwerben. Dieses Genossenschaftsmodell soll dafür sorgen, dem tüchtig verschuldeten Verein (162 Millionen Euro) zumindest an der nicht sportlichen Front aus der Patsche zu helfen.
An der ging’s währenddessen nach dem 2:0 ohne erhöhten Pulsschlag dahin. Schalke bemühte sich um das dritte Tor, schaffte es aber nicht. Und Regensburg gab sich immerhin nicht auf. Das ist die einzig gute Nachricht, die sie mit zurück in die bayrische Heimat nehmen können. An diesem Nachmittag der guten Nachrichten gab es für Schalke aber auch noch einen bitteren Dämpfer. Die Verpflichtung des vereinslosen Anthony Modeste kommt nicht zustande. Trotz guter und vertrauensvoller Gespräche sagte er ab. "Als Kölner und ehemaliger Dortmunder fühlt sich ein Wechsel nach Schalke nicht richtig an", befand er.
Quelle: ntv.de