Trainer vs. PSG-Konstrukt Thomas Tuchel stolpert über Katar
24.12.2020, 14:19 Uhr
Aus der Traum: Thomas Tuchel darf das Pariser Spitzenteam um Neymar und Mbappé nicht mehr anleiten.
(Foto: imago images/PanoramiC)
Thomas Tuchel gilt als kompliziert und cholerisch, bei Paris Saint-Germain legt er sich mit dem Sportdirektor Leonardo an. Am Ende wird der Trainer aber gefeuert, weil er sich am Konstrukt PSG stößt und die Katar-Eigentümer ihm den großen europäischen Erfolg nicht zutrauen.
Nun hat es auch Thomas Tuchel erwischt. In der katarischen Ära trennte sich Paris Saint-Germain schon von seinem fünften Trainer. Die Entlassung Tuchels ist dabei wohl die überraschendste - aber Anzeichen für die Entscheidung der PSG-Bosse gab es immer wieder. Am Ende stürzt der deutsche Trainer wohl über den Zwist mit seinem Sportdirektor, über seine eigenen Worte - und über das einzige Ziel, das die Klub-Eigentümer aus Katar verfolgen.
So nah dran wie noch niemand vor ihm war Tuchel: Champions-League-Finale. Der Traum der Pariser seit der Verein 2011 von der staatlichen Firma Qatari Sports Investments übernommen wurde. Tuchel scheiterte äußerst knapp. In einem aufregenden Finale verlor er im Sommer 2020 nur 0:1 gegen den Triple-Sieger aus München. Für die Katar-Eigner zählt nichts anderes als der große Triumph in der Königsklasse, darum haben sie nie ein Geheimnis gemacht.
Das Emirat traute Tuchel diesen Erfolg nach schlechten Liga-Ergebnissen und Platz drei vor der Jahreswende wohl nicht mehr zu. Dabei war dessen Verpflichtung damals auf persönlichen Wunsch des katarischen Staatsoberhauptes Scheich Tamim bin Hamad al-Thani erfolgt. Der Plan des Gewinns der Champions League war stets ein Teil eines umfassenderen Versuchs, das Image des Emirats mit einer miserablen Menschenrechtsbilanz durch Sport zu verbessern und den Wüstenstaat bekannter und anerkannter zu machen.
Tuchel stößt sich an Katar-Konstrukt
Tuchel stieß sich an diesem Plan. Er vermisste die Anerkennung für seine durchaus starken Leistungen mit der Mannschaft (zweimal Meister, Pokalsieger, CL-Finale). Der Trainer prangerte die extreme Erwartungshaltung im Klub an, schließlich hatte er PSG in seinen zweieinhalb Jahren bemerkbar weiterentwickelt und stand nur ein Spiel vor dem ganz großen Wurf. "Wir hatten nie so das Gefühl, dass wir die Leute jetzt auch mal überzeugt haben und sie unsere Leistung anerkennen", sagte Tuchel in einem erst am Vortag bei Sport1 veröffentlichten Interview. "Es macht einen auch manchmal ein bisschen traurig oder sauer." Dem Verein sollen die Worte überhaupt nicht gefallen haben. Den Eigentümern in Katar noch weniger.
Das Emirat, in dem Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht mal auf dem Papier annähernd existiert, Menschen aufgrund ihrer Religion, sexueller Selbstbestimmung oder sexueller Orientierung diskriminiert werden und in dem die Ausbeutung von Migrationsarbeitern systematisch betrieben wird, kaufte sich in den Fußball ein. Zunächst in Paris, dann aber auch auf europäischer Ebene. So gelang es, ins Finale der Königsklasse vorzustoßen. Doch Tuche haderte. "Ich weiß nicht, ob es immer höher, höher, höher sein muss", sagte er im selben Interview. "Ich mag Fußball einfach. Und in einem Klub wie hier ist es nicht immer nur Fußball."
Natürlich liebt es der Trainer genauso wie jeder andere, bei der Champions-League-Hymne an der Seitenlinie zu stehen. Es mache ihn sogar etwas süchtig, gab er zu. Aber das ganze Konstrukt PSG, das Katar-Konstrukt, brachte ihn doch immer mehr zum Nachdenken. Er wolle nicht Sportminister oder Sportpolitiker sein, sagte er. Beim Pariser Verein mit Katar als Eigentümer im Hintergrund ist man aber nie einfach nur Trainer. Für jeden Coach der Welt ist das Milliarden-Gebilde in der französischen Hauptstadt ein Wagnis: Tuchel ist darüber nun gestolpert.
Zerwürfnis mit Leonardo
Über eine Entlassung des deutschen Trainers ist ohnehin immer wieder mal spekuliert worden. Das lag auch an seinem Zerwürfnis mit Sportdirektor Leonardo. Der Brasilianer verlängerte nicht den Vertrag des Kapitäns und Abwehrbosses Thiago Silva, was Tuchel auf die Palme brachte. Zu Recht, wenn man die Top-Leistungen des Verteidigers bei seinem neuen Arbeitgeber FC Chelsea sieht. Auch für die Abgänge Adil Aouchiches, Edinson Cavanis, Thomas Meuniers und Eric Maxim Choupo-Motings machte Tuchel Leonardo verantwortlich. Dessen Transferwünsche erfüllte der Sportdirektor nie oder erst spät.
Tuchel gilt zudem als zu perfektionistisch, cholerisch, uneinsichtig. Schlichtweg: als zu kompliziert. Auch mit dem BVB trennte er sich 2017 im Streit, überwarf sich mit den Bossen wegen des Umgangs mit dem Attentat auf den Mannschaftsbus vor einer Champions-League-Partie. Er verlor den Rückhalt der Spieler durch öffentliche Aussagen über sie. Natürlich fasste der Trainer die Megastars Neymar und Mbappé sanfter an, aber Liebesbekenntnisse für ihren Trainer hörte man aus ihren Mündern auch nicht.
Die Pariser Fans liebten Tuchel aufgrund seiner manchmal misslaunigen und leicht griesgrämigen Art ebenfalls schon länger nicht mehr richtig. Dann aber erreichte er das Champions-League-Finale. Doch das war wiederum den Scheichs in Katar bekanntlich zu wenig.
Quelle: ntv.de