Fußball

"Man ist auf alles vorbereitet" Ukrainische Fußball-Achterbahnfahrt im Drohnenhagel

Die Ukraine bleibt im Rennen um einen WM-Startplatz.

Die Ukraine bleibt im Rennen um einen WM-Startplatz.

(Foto: IMAGO/Pawel C)

Die Ukraine steht unter schwerem Beschuss aus Russland, als die Fußball-Nationalmannschaft zum sportlich enorm wichtigen Spiel gegen Island antreten muss. Das Duell gerät zum Parforceritt für das Team, dessen WM-Traum nicht nur sportlich bedeutsam ist. Und die Widerstände warten nicht nur auf dem Feld.

Es war kein einfacher Freitag für die Menschen in der Ukraine - auch für die Fußballfans nicht, bei weitem nicht nur wegen des fast entscheidenden, sehr, sehr wilden Spiels in der WM-Qualifikation gegen Island. Wieder, wie schon 2022, markierte der 10. Oktober den Auftakt einer neuen russischen Angriffswelle auf die ukrainische Energieinfrastruktur. Rund 500 Drohnen und Raketen flogen auf Energieanlagen, zehn Regionen waren von längeren Stromausfällen betroffen - darunter auch die Hauptstadt Kiew, wo mehrere Stadtteile lange ohne Strom und Leitungswasser bleiben mussten.

Für Fußballbegeisterte bedeutete dies eines: Ihre für den Fall der Fälle aufgeladenen Power Stations dafür zu nutzen, um sich erst das ebenfalls dramatische U21-Spiel gegen Ungarn (3:3) und dann die Partie gegen Island anzuschauen. "Im vierten Kriegsjahr ist man auf alles vorbereitet", sagt etwa der Kiewer Fußballfan Maksym, der die Partie gegen Island tatsächlich auf diese Art und Weise anschauen musste. 22 Stunden hat er Freitag ohne Strom verbracht. Eingeschaltet wurde dieser bei ihm erst gegen 1:30 Uhr in der Nacht.

In der Nacht rückte die Feuerwehr in Kiew nach einem russischen Angriff zu Löscharbeiten aus.

In der Nacht rückte die Feuerwehr in Kiew nach einem russischen Angriff zu Löscharbeiten aus.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Die Vorbereitungen hatten sich gelohnt: Was Maksym und die Fußballfans der Ukraine von ihrem Team zu sehen bekamen, war eine sportliche Achterbahnfahrt. Insgesamt acht Tore fielen in der 3400 Kilometer entfernten isländischen Hauptstadt Reykjavik. In dem enorm wichtigen Duell um die WM-Qualifikation entwickelte sich ein regelrechter Schlagabtausch.

Die Ukraine legte vor: mit zwei Toren unmittelbar vor der Halbzeit. Damit führte das Team mit 3:1 zur Pause. Doch das lieferte keinen Grund zum Durchschnaufen. Das Duell wurde noch unterhaltsamer - die Isländer kamen nicht nur zurück, sondern glichen auch noch aus. Kurz vor Schluss stand es damit 3:3-Unentschieden. Aber ganz spät, als niemand mehr damit rechnete, traf die Ukraine erneut. Zweimal sogar. Und durfte am Ende eines wilden Ritts einen 5:3-Sieg bejubeln.

Sportliches Ziel mit politischer Dimension

Mit dem Ergebnis festigte die Ukraine erst einmal den zweiten Platz in ihrer WM-Qualifikationsgruppe - vor Island. Ihre Teilnahme an einer Weltmeisterschaft, die zum Teil in den USA stattfinden wird, hat aufgrund der Präsidentschaft von Donald Trump nicht nur sportliche Aspekte - wobei für die Ukrainer der Fußball im Moment sowieso eine der wenigen Ablenkungen vom Krieg ist, trotz der immer schwächelnden Leistungen der ukrainischen Vereine in europäischen Wettbewerben.

Es wäre in der Tat auch ein politisches Zeichen, sollte das Team des Trainers Serhij Rebrow es in die USA schaffen - ein Land, welches sich nicht mehr als Unterstützer der Ukraine, sondern als eine Art halbneutraler Vermittler positioniert, der zwar weiterhin Waffen und Munition an Kiew über europäische Länder verkauft, jedoch unverändert mit dem Kreml-Diktator Wladimir Putin liebäugelt.

Ob die ukrainische Elf jedoch dazu in der Lage ist, stand vor dem Island-Spiel in den Sternen. Zumal die enttäuschende EM in Deutschland immer noch in der Luft schwebt. Die zu Hause oft als "goldene Generation" bewertete Mannschaft schaffte es im vergangenen Jahr nicht einmal durch die vergleichsweise leichte Gruppenphase - mit Rumänien, Belgien und der Slowakei.

Auch die Zeit danach sorgte nicht für Optimismus: Es folgten schwache Leistungen in der Nations League und ein verkorkster Start in die WM-Quali. Kaum jemand kann der Ukraine ein 0:2 gegen Gruppenfavorit Frankreich übelnehmen. Das 1:1-Remis gegen Aserbaidschan dagegen sorgte dann aber für beinahe panische Stimmung und Forderungen nach einem sofortigen Trainerwechsel.

Dabei galt Rebrow, der bei Dynamo Kiew Ende der 90er-Jahre die legendäre Doppelspitze mit dem heutigen Verbandspräsidenten Andrij Schewtschenko bildete, als bester Coach des Landes. Sowohl bei Dynamo Kiew als auch Ferencvaros sowie in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat er bisher überwiegend erfolgreich als Trainer mit seiner offensiven Vision gearbeitet.

Trotz des auf dem Papier guten Kaders klappt es mit der ukrainischen Nationalelf nicht - zumindest bisher. Insofern hatte das Auswärtsspiel gegen Island, welches die Ukraine einst auf dem letzten Drücker besiegte, um zur EM nach Deutschland zu fahren, tatsächlich Schicksalscharakter - für die Mannschaft und für den Trainer. Zumal es politisch nicht nur um die USA und Donald Trump geht, sondern es auch innerhalb des Kaders durchaus Konflikte gibt.

Kontroverse um PSG-Star

So bekam der Wechsel des Star-Innenverteidigers Ilja Sabarnyj zu Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain nicht nur den eigentlich zu erwartenden Applaus. Denn bei PSG ist weiterhin auch der russische Torwart Matwej Safonow unter Vertrag. Obwohl Sabarnyj anders als andere PSG-Spieler Safonow nicht auf Instagram folgte, blieb eine klare Erklärung des Verteidigers zu diesem Thema aus. Unter den Fans gibt es daher Befürchtungen, dass sein Wechsel von der russischen Propaganda benutzt werden könnte: Nach dem Motto, schaut mal her, Ukrainer und Russen können doch innerhalb einer Mannschaft zusammenleben.

Ob der Sieg gegen Island nun wirklich ein ordentlicher Befreiungsschlag für die Ukrainer war, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Einerseits verspielte die Ukraine innerhalb weniger Minuten die komfortable 3:1-Führung. Andererseits hat die ukrainische Elf fast alle guten Momente in Tore umgemünzt - und viele von diesen Toren waren Schüsse von außerhalb des Strafraums.

Dass die Ukrainer unter Rebrow wie einst in der EM-Quali ihren Charakter gezeigt haben und noch in der 85. und 88. Minute zwei Tore zum Sieg schießen konnte, woran kaum jemand zu Hause noch glaubte, war jedenfalls ein positives Zeichen. Vor allem ein Spieler den großen Unterschied gemacht: Mittelfeldspieler Ruslan Malinowskyj, der in Italien für Genua spielt, war über ein Jahr lang in der Nationalelf aus unterschiedlichen Gründen nicht im Einsatz. Nun spielte er groß auf, nicht nur mit seinen zwei Toren, sondern auch mit seiner großen Spielübersicht. Am Ende eines großen Fußballabends standen also drei extrem wichtige Punkte für die Ukraine.

Der Weg ist noch weit

Der Weg zur Fußball-WM bleibt für die ukrainische Mannschaft allerdings noch lang. Am Montag müssen die Ukrainer das schaffen, woran sie im September scheiterten: Aserbaidschan schlagen. Dann geht es im November gegen Frankreich und wieder gegen Island. Dass Frankreich in der Gruppe D den ersten Platz belegt, gilt quasi als sicher.

Für die Playoffs kann sich die Ukraine, wenn keine Weltkatastrophe eintritt, nun auch mit einem Sieg gegen Aserbaidschan und einem Unentschieden gegen Island qualifizieren. In den Playoffs könnten auf die Ukraine allerdings wieder starke Gegner warten. 2022 waren es Schottland und Wales. An den Walisern scheitern die Ukrainer damals, obwohl sie über größere Spielteile die bessere Mannschaft waren. Für viele Menschen in der Ukraine geht es aber ohnehin erst mal darum, ob sie das nächste Spiel gegen Aserbaidschan mit oder ohne Strom verfolgen müssen.

Quelle: ntv.de

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