Bundestrainer korrigiert sich Warum Kimmichs zerfetzte Hose das perfekte Bild ist
11.10.2025, 06:07 Uhr
Die Hose des Kapitäns hält nicht, anders als die weiße Weste: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gewinnt mit 4:0 gegen Luxemburg und befriedet erst einmal viele Debatten. Aber alle Probleme sind nicht gelöst.
Irgendwie passt es zum DFB-Team, dass es fast zehn Minuten dauerte, bis das Problem mit der gerissenen Hose von Joshua Kimmich behoben war. Des Kapitäns Kleider waren in der Schlussphase des 4:0 (2:0)-Erfolgs gegen dezimierte Luxemburger im Zweikampf zerfetzt worden. Auf dem Rasen spielte sich dann (kleines) Drama ab: Zunächst kam der Tacker zum Einsatz, später musste das eingerissene Kleidungsstück des Doppeltorschützen dann doch vollständig ausgetauscht werden.
Ähnlich verhält es sich beim DFB-Team. Nach der Blamage in der Slowakei brauchte es in der WM-Qualifikation bei der Nagelsmannschaft nicht nur eine Schönheitskorrektur (ein paar Tackerklammern), sondern gleich ein ganz anderes Gesicht (eine neue Hose, um im Bild zu bleiben). Der Auftritt des DFB-Teams in Sinsheim lieferte deutliche Indizien dafür, dass die Botschaft bei den Protagonisten angekommen ist. "Was die Gier angeht, war das schon eine deutliche Steigerung", lobte Bundestrainer Julian Nagelsmann nach Abpfiff in der ARD.
Vor allem eine Szene drückte aus, was der Bundestrainer meinte. Es war nach rund einer halben Stunde, als Serge Gnabry seinen ersten großen Applaus erntete. Der Offensivkünstler war über "70, 80 Meter" (Nagelsmanns Schätzung) zurückgeeilt, um einen Konter der Luxemburger zu unterbinden. Und das auch nicht irgendwie: Der Flügelspieler packte am eigenen Strafraum gegen das Augsburger Talent Aiman Dadari eine schulbuchartige Grätsche aus.
Die große Wende? Sicher nicht
"Das ist das Zeichen, das du gegen Luxemburg brauchst", schwärmte Nagelsmann später in der ARD. "Dass ein Topspieler, der seit Jahren bei einem großen Verein spielt und jetzt gerade in Topform ist, dass so ein Spieler nicht einfach stehenbleibt." Gnabry, der seine Bayern-Topform ins DFB-Dress retten konnte, erzielte kurz nach der Halbzeit auch noch einen Treffer. "Klar, das Tor war schön", sagte Nagelsmann, um dann aber ganz flott auf die Grätsche zurückzukommen: "Aber gerade diese Dinge will ich von ihm sehen, das hat er super gemacht."
Es gibt einen Grund, weshalb dem Bundestrainer diese Szene so gut gefiel: Er hatte im Vorfeld davon gesprochen, dass er die Prioritäten in den Köpfen der DFB-Stars neu sortiert habe: Verteidigen first, Schönspielerei second. Entsprechend lief die Vorbereitung: In den wenigen Trainingseinheiten ging nicht um Kombinationsfußball, sondern vor allem um die Balleroberung und das Gegenpressing. Mit Erfolg. Die DFB-Elf setzte das Erlernte um und zerriss eine Negativserie - erstmals seit sieben Spielen blieb man ohne Gegentor (das 7:0 gegen Bosnien-Herzegowina im vergangenen November).
Also alles prima, oder? Nun ja, kein Gegentor zuzulassen, war diesmal wohl so einfach wie schon lange nicht mehr. Schließlich waren die Luxemburger seit der 20. Minute in Unterzahl - und da stand es schon 1:0 für die DFB-Elf. Es war eine unglückliche Situation: Gnabry überlupfte sehenswert seinen Gegenspieler im Strafraum, Dirk Carlson fälschte aber absichtlich den Ball mit dem Arm ab. Der VAR schaltete sich ein, der Verteidiger flog vom Platz, Kimmich sorgte mit dem 2:0-Handelfmeter praktisch schon für die Entscheidung. Der DFB-Doppelschlag kurz nach der Pause erledigte den Rest.
Angesichts der langen Überzahl sprach Leon Goretzka von einem "seltsamen Spiel". Und das erschwert auch die Interpretation. Welche Schlüsse zieht man aus einem 4:0-Sieg gegen ein luxemburgisches Team, das über 70 Minuten in Unterzahl gespielt hat? Ist das nun der große Befreiungsschlag? Die ersehnte WM-Wende? Sicher nicht.
Nick Woltemades erschütternde Statistik
Es durchbricht aber fürs Erste die Negativspirale, die sich zuletzt abzeichnete, und beruhigt die aufgewühlte Fußballnation. Die jüngsten Auftritte weckten keinerlei Hoffnung, dass die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr erfolgreich laufen könnte. So mancher fühlte sich an die späten Flick-Jahre sowie die Blamagen in Russland 2018 und Katar 2022 erinnert. Die DFB-Elf verlor nicht nur beide Spiele im Finalturnier der Nations League im Sommer, sondern sie blamierte sich auch gegen die Slowakei mit 0:2 und mühte sich gegen Nordirland zu einem 3:1-Erfolg.
Und auch jetzt ist es nicht so, dass alle Probleme weg sind. Nagelsmann hat etwa immer noch keine passende Rolle für Nick Woltemade gefunden. Es ist kein Zufall, dass der 90-Millionen-Euro-Mann, der bei Newcastle United so sehr eingeschlagen ist (vier Tore in sieben Spielen), immer noch auf sein Länderspieltor wartet. Der 23-Jährige wirkte erneut wie ein Fremdkörper im DFB-Spiel - bis zu seiner Auswechslung kommt er auf nur 14 (!) Ballkontakte. Da half es nicht, dass er durch einen Infekt geschwächt angereist war.
Ohnehin: Tore bleiben ein Thema. Durch die parallele Niederlage der Slowakei in Nordirland hat das DFB-Team nun zwar etwas Luft. Aber ein Ausrutscher und es könnte sein, dass es am Ende auf das Torverhältnis ankommt. Und dann werden die langzeitverletzten Tim Kleindienste und Niclas Füllkrugs dieser Welt im DFB-Team schmerzlich vermisst. Denn von den vier Toren, die Luxemburgs Anthony Moris kassierte, fiel nur ein einziges aus dem Spiel heraus - alle anderen waren das Ergebnis von Standardsituationen (klar, auch das kann ein Vorteil sein).
Eine leidige Debatte
Aber: Der Bundestrainer lernt aus seinen Fehlern. Er vereinfachte sein System erneut. Und er setzte vor allem auf formstärkere Protagonisten - schließlich war es das, was die DFB-Elf (unter anderem) während der Heim-Europameisterschaft ausgezeichnet hat. Statt aus Stuttgart oder Leverkusen kommt der größte Block diesmal aber vom FC Bayern, gleich fünf Akteure haben es in die Startelf geschafft. Gleichzeitig ist auch Platz für die zwei BVB-Hoffnungsträger Karim Adeyemi und Nico Schlotterbeck.
Den Umbau hat Nagelsmann erst dadurch ermöglicht, dass er eine alte Debatte wieder eröffnete. Er ist mittlerweile schon der dritte Bundestrainer, der sich der K-Frage stellen muss: Wo spielt eigentlich Joshua Kimmich? Für die WM-Saison sollte der Kapitän wieder ins Mittelfeldzentrum wandern. In der Slowakei und gegen Nordirland hat das aber nicht so wirklich funktioniert.
Jetzt, zwei Spiele später, fand Kimmich sich nun dort wieder, wo er seine Karriere im DFB-Dress begonnen hatte: als Rechtsverteidiger. Nagelsmann blockte die Debatte um seinen Kapitän nach Spielende völlig ab. Kimmich selbst wurde in der ARD darauf angesprochen. Ihm sei das komplett egal, wo der Trainer ihn aufstellt, erklärte der 30-Jährige. Es sei für ihn selbstverständlich, auf beiden Positionen zu spielen, sagte er. Am Ende ist es wohl wie bei der zerrissenen Hose. Ob getackert oder ausgetauscht: Hauptsache, Kimmich darf auf dem Platz stehen.
Quelle: ntv.de