Corona und die Unparteiischen Was passiert, wenn der Schiri infiziert ist?
08.05.2020, 07:26 Uhr
Extreme Nähe zum Schiedsrichter wird in Corona-Zeiten übrigens nicht anders bestraft als sonst.
(Foto: imago images/Bernd König)
Wie gehen eigentlich die Bundesliga-Schiedsrichter den Re-Start an? Ihr sportlicher Leiter Lutz Michael Fröhlich spricht mit ntv.de über Corona-Tests für die Unparteiischen, die Auswirkungen der Pandemie, Regeländerungen und den "Kölner Keller".
Wenig war zuletzt von den Schiedsrichtern im deutschen Profifußball die Rede, nur vereinzelt las oder hörte man, wie es ihnen eigentlich mit der coronabedingten Pause geht und wie sie sich auf die Wiederaufnahme des Spielbetriebs vorbereiten. Auch als das Konzept der DFL für den Re-Start diskutiert wurde, kam fast niemand auf die Unparteiischen zu sprechen. Und das lag nicht nur daran, dass das Schiedsrichterwesen im Zuständigkeitsbereich des DFB liegt, nicht in dem der omnipräsenten Deutschen Fußball Liga. Fast schien es, als wären die Referees ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei ist die gegenwärtige Situation auch für sie außergewöhnlich und stellt sie nun, da es in einer Woche weitergehen soll, vor echte Herausforderungen.

Lutz Michael Fröhlich ist der Boss der deutschen Schiedsrichter.
(Foto: imago images / Martin Hoffmann)
"Sowohl die speziellen Hygienevorschriften und die Corona-Tests als auch das Pfeifen vor leeren Rängen bedürfen einer besonderen Vorbereitung", sagt dann auch Lutz Michael Fröhlich im Gespräch mit ntv.de. Der sportliche Leiter der Elite-Schiedsrichter und sein Team haben in den vergangenen Wochen mit den 26 Erstliga- und den 22 Zweitliga-Unparteiischen viel in Videokonferenzen kommuniziert, mit ihnen strittige Spielszenen diskutiert, Trainingsleistungen besprochen und mögliche Szenarien erörtert, wann und wie die Saison fortgesetzt werden könnte. Jetzt, da feststeht, wann der Ball wieder rollt, wird es auch bei den Referees konkret.
Auf das Sars-CoV-2-Virus getestet wurden sie bislang jedoch nicht, "weil sie ja nicht in ein Mannschaftstraining gehen wie die Spieler", erklärt Fröhlich. "Sie steigen ein, wenn sie ihren ersten Einsatz haben." Das heißt: Bei den Schiedsrichtern, Assistenten und Vierten Offiziellen wird einige Tage vor ihrem Wiedereinstieg erstmals ein Abstrich vorgenommen und am Tag vor dem Spiel erneut. Im weiteren Saisonverlauf kommt es jeweils am Vortag eines Einsatzes zu einem Test. Das Ergebnis muss bis 10 Uhr am Spieltag vorliegen, so sieht es das Konzept der DFL vor. "Die Hygienevorgaben haben oberste Priorität, wir haben da auch eine Vorbildfunktion", so Fröhlich. Die Unparteiischen orientierten sich "hinsichtlich des Verhaltens im Stadion, zu Hause und beim Training an den Anweisungen der DFL, die auch an die Klubs ergangen sind".
Was passiert, wenn der Schiedsrichter positiv getestet wird?
Die Tests am Tag vor einem Spiel werden "am logistisch günstigsten Ort durchgeführt", wie der Schiedsrichter-Chef sagt. Das bedeutet: entweder am Spielort, und zwar im Rahmen der Testroutine des gastgebenden Klubs, oder bei einem Verein, der nahe am Wohnort des Schiedsrichters beheimatet ist, ein Heimspiel hat und deshalb ebenfalls Tests vornimmt. Dabei gilt: Grundsätzlich sollen die Unparteiischen erst am Spieltag anreisen, Übernachtungen sollen möglichst vermieden werden. Wenn es aber doch einmal nötig werden sollte, "dann nur in Hotels, die die besonderen Hygienevorschriften erfüllen", so Fröhlich. Diesbezüglich habe man bereits Vereinbarungen mit geeigneten Gästehäusern getroffen.
Was aber geschieht, wenn sich am Spieltag herausstellt, dass ein Schiedsrichter positiv auf das Virus getestet worden ist und sich in Quarantäne begeben muss? Wer springt dann kurzfristig für ihn ein? "Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich", klärt Fröhlich auf. "Wenn der Spielort zentral liegt wie etwa bei den Klubs im Westen, würden wir es schaffen, rechtzeitig einen Ersatz zu schicken, der nur eine kurze Anfahrt hat. In entlegeneren Spielorten, beispielsweise in Freiburg oder Leipzig, wird es eher so sein, dass der Vierte Offizielle ein Bundesliga-Schiedsrichter ist, der bei Bedarf die Spielleitung übernehmen kann." Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass "im Ausnahmefall ein Zweitligaschiedsrichter ein Bundesligaspiel pfeift".

Felix Brych muss für seinen Job auch weiterhin das Münchner Stadtgebiet verlassen.
(Foto: imago images/Laci Perenyi)
Neu ist, dass "die Landesverbandsneutralität der Schiedsrichter aufgehoben wird", wie Fröhlich erklärt. Galt bisher, dass die Referees kein Spiel eines Klubs pfeifen dürfen, der demselben Landesverband angehört wie sie, so ist diese Regelung nun zumindest vorläufig ausgesetzt, um kürzere Anfahrten zu ermöglichen. Eine Einschränkung gibt es laut Fröhlich allerdings trotzdem: "In ihrem Wohnort oder der unmittelbaren Nähe werden wir die Schiedsrichter nicht einsetzen." Das heißt zum Beispiel: Der Münchner Felix Brych wird keine Partie des FC Bayern leiten, vielleicht aber eine des FC Augsburg oder des 1. FC Nürnberg. Den Franken Deniz Aytekin wiederum wird man nicht bei einer Begegnung der Nürnberger auf dem Feld sehen, womöglich aber bei einer der Bayern.
Gibt es vorübergehend mehr Auswechslungen?
Fröhlich hofft darauf, dass diese Änderung viel Akzeptanz findet und nach der Corona-Krise beibehalten wird. Tatsächlich ist es nicht einzusehen, warum professionelle Referees keine Partien von Vereinen aus "ihrem" Landesverband leiten sollten. Auf dem Niveau des bezahlten Fußballs sollte eine mögliche Befangenheit aufgrund regionaler Zugehörigkeiten weitgehend auszuschließen sein, in anderen Sportarten ist man diesbezüglich auch schon deutlich weiter. So wurde beispielsweise das olympische Eishockey-Finale in Sotschi 2014 zwischen Kanada und Schweden von drei Kanadiern und einem Amerikaner geleitet, ohne dass jemand auf die Idee gekommen wäre, die Schiedsrichter könnten voreingenommen sein.
Neu ist ferner, dass die vierten Offiziellen während des Spiels einen Mund-Nasen-Schutz tragen werden, wie er auch für Teamoffizielle und Auswechselspieler auf den Bänken vorgesehen ist. Coronaspezifische Verschärfungen bei der Regelauslegung wird es dagegen nicht geben, wie Fröhlich betont: "Wer dem Schiedsrichter aus unsportlichen Gründen zu nahe tritt oder eine Rudelbildung auslöst, wird nicht anders bestraft als in Zeiten ohne Pandemie." Denkbar ist es dagegen, dass die Zahl der möglichen Auswechslungen vorübergehend auf fünf pro Team erhöht wird, um angesichts des eng getakteten Spielplans für Entlastung zu sorgen.

Kölns Geschäftsführer Alexander Wehrle macht es vor: Es gilt Mundschutzpflicht.
(Foto: imago images/Herbert Bucco)
Über diese Idee, die auf die Fifa zurückgeht, haben die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) abschließend befunden. Die Bundesligen könnten die Aufstockung übernehmen, müssten es aber nicht. "Wenn das Ifab die Erhöhung genehmigt, werden wir in enger Abstimmung mit der DFL und den Klubs entscheiden, ob wir sie in der Ersten und Zweiten Liga einführen", sagt Fröhlich. "Immerhin würde es sich um eine Regeländerung während der laufenden Saison handeln. Sollte sie beschlossen werden, wäre sie von den Schiedsrichtern aber problemlos umzusetzen."
Was sich im "Kölner Keller" ändert
Auch im Video-Assist-Center, gerne "Kölner Keller" genannt, wird es einige Änderungen geben. Die "Workstations" - es sind insgesamt zehn, verteilt auf zwei Räume - werden zum einen durch Plexiglaswände voneinander abgeschirmt, zum anderen werden auch zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen einer Station solche Trennscheiben eingezogen. "Die Video-Assistenten und ihre Assistenten werden außerdem mit Mund-Nasen-Schutz zum Video-Assist-Center kommen und ihn tragen, bis sie an der Station Platz genommen haben", erklärt Fröhlich. "Erst dort werden sie ihn abnehmen, die Trennwände bieten genügend und besseren Schutz." Statt zwei Operatoren pro Spiel wird außerdem nur noch einer die besten Kamerabilder zur Verfügung stellen. Eine Station wird nun also von drei Personen besetzt statt wie bisher von vieren.
Finden mehrere Spiele gleichzeitig statt wie an den Samstagnachmittagen, dann werden die VAR-Teams nacheinander zu ihren Stationen gehen, nicht gleichzeitig. Sie müssen auch nicht zwei Stunden vorher im Videozentrum sein wie sonst, das übliche Briefing entfällt, es gibt lediglich einen raschen Check 30 Minuten vor dem Spiel. Die Nachbereitung wird ebenfalls nicht vor Ort durchgeführt. "Niemand soll sich länger als nötig im Video-Assist-Center aufhalten", stellt Fröhlich klar. Auf das Sars-CoV-2-Virus getestet werden aber weder die Video-Assistenten noch die Operatoren, "denn sie befinden sich nicht in einem Wettkampf". Sollte dennoch ein VAR ausfallen, dann sei Flexibilität gefragt: "Wir würden versuchen, einen Ersatz nach Köln zu schicken, aber notfalls muss eben der Assistent des VAR einspringen", tut Fröhlich kund.
In der kommenden Woche werden die Unparteiischen gezielt auf die Besonderheiten von Spielen ohne Publikum vorbereitet. "Wir haben Videoclips aus Geisterspielen in Uefa-Wettbewerben und aus der Partie ohne Zuschauer zwischen Mönchengladbach und Köln zusammengestellt", so Lutz Michael Fröhlich. "Vor allem die fehlende Geräuschkulisse wird ein erheblicher Unterschied zur Normalität sein", sagt er. "Das muss für den Schiedsrichter situativ nicht unbedingt negativ sein, aber es ist ungewohnt. Es entfällt der Druck, der vom Publikum ausgehen kann, die Geräusche kommen nur noch von den Spielern und den Bänken." Fröhlich erwartet, dass "in der Öffentlichkeit die Bewertung von Situationen und Entscheidungen wesentlich faktischer wird", weil die Emotionen des Publikums fehlen.
Im Übrigen plädiert Lutz Michael Fröhlich für Demut: "Andere Sportarten liegen brach, viele Existenzen sind gefährdet", sagt er. "Unsere Schiedsrichter können ihrer Tätigkeit nun aber wieder nachgehen. Dafür sollten sie dankbar sein, und diese Dankbarkeit sollten sie im Auftreten auch zeigen, genau wie die Spieler. Wir sollten positive Botschaften an die Gesellschaft senden." Ob das gelingt, wird sich bald zeigen.
Quelle: ntv.de