Übernimmt Thomas Müller? Kompany muss das denkbar größte Problem beim FC Bayern lösen
02.12.2024, 11:26 Uhr
Thomas Müller könnte Harry Kane gegen Bayer Leverkusen ersetzen.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Ausgerechnet vor einem der wichtigsten Spiele der Saison fällt beim FC Bayern der Unersetzbare aus. Harry Kane kann im DFB-Pokal nicht mitwirken. Einen klassischen Ersatzmann gibt es nicht, dafür aber Optionen, die allerdings alle einen Haken haben.
Vincent Kompany war verzweifelt. Sein FC Bayern schob die Fußballer von Borussia Dortmund immer tiefer in die eigene Hälfte. Tiefer ging es fast nicht mehr. Aber seine Mannschaft lag mit 0:1 hinten, drängte und drückte am Samstagabend im Topspiel der Fußball-Bundesliga auf den Ausgleich. Aber der Ball wollte vorerst einfach nicht ins Tor gehen. Das hatte gleich mehrere Gründe, aber einen hauptverantwortlichen: Harry Kane war nicht mehr da. Der Mann, der eigentlich immer trifft. Schon 20 Mal in dieser Saison, in gerade einmal 19 Pflichtspielen.
Nach 33 Minuten hatte sich der englische Stürmer im Westfalenstadion vom Dienst abgemeldet. Er hatte sich auf den Rasen gesetzt und schnell signalisiert: Nichts geht mehr. Thomas Müller, der für ihn ins Spiel kam, war sofort in Sorge, dass es sich um etwas Schlimmeres handeln würde. Denn ein Harry Kane würde sich in so einem Spiel nicht einfach auswechseln lassen. Der Stürmer selbst sagte später, auf der Suche nach dem richtigen Teambus in den Katakomben des alten Westfalenstadions, dass man mal abwarten müsse. Besorgt wirkte er dabei nicht.
FC Bayern leidet seit Jahren im DFB-Pokal
Dortmund: Kobel - Ryerson (74. Couto), Anton (17. Süle), Schlotterbeck, Bensebaini - Nmecha, Groß, Sabitzer (90. Reyna), Beier, Gittens (74. Malen) - Guirassy; Trainer: Sahin
München: Neuer - Laimer (62. Boey), Upamecano, Kim (80. Olise), Davies - Kimmich, Goretzka - Sane, Musiala, Tel (62. Coman) - Kane (33. Müller); Trainer: Kompany
Schiedsrichter: Sven Jablonski (Bremen)
Tore: 1:0 Gittens (27.), 1:1 Musiala (85.)
Gelbe Karten: Ryerson (2), Beier (2) - Sane, Upamecano (4)
Zuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Nun haben die Münchner seit Sonntag bittere Gewissheit: Kane hat sich einen Muskelfaserriss zugezogen, er wird im wichtigsten Spiel der bisherigen Saison fehlen. Am Dienstagabend (20.45 Uhr/ARD, Sky und im ntv.de-Liveticker) empfängt der FC Bayern im Achtelfinale den Doublesieger Bayer Leverkusen. Es ist ein "Friss oder stirb"-Spiel, keine Chance zur Wiedergutmachung. Ein erster Titeltraum wird für einen Verein platzen. Seit der Saison 2019/20 ist der Wettbewerb für die Münchner eine kleine Katastrophe. Dreimal ging's seither in der 2. Runde raus (unter anderem gab's die Blamagen gegen Holstein Kiel und den 1. FC Saarbrücken) und einmal im Viertelfinale. Auf dem Weg zurück zu alter Stärke, was in der Liga bemerkenswert gut klappt, wäre ein nächster früher Knockout ein herber Rückschlag.
In Dortmund wich die Verzweiflung in der 85. Minute aus dem Körper von Kompany. Er schüttelte sie mit großen Gesten der Freude aus sich heraus. Jamal Musiala hatte getroffen, per Kopf, aus bester Mittelstürmerposition. Das Tor hatte indes große Diskussionen ausgelöst, weil Niklas Süle zuvor nach einem bayrischen Freistoß benommen auf dem Boden liegengeblieben war. Aber Tor war Tor. Der Rekordmeister bleibt in der Liga ungeschlagen, musste sich aber reichlich anstrengen und nun eben das denkbar größte Problem lösen, das der Kader hergibt: Wer ersetzt Harry Kane?
Vielleicht Musiala, der seit Wochen als Kopfballungeheuer auftritt? Eher nicht. Der 21-Jährige ist als Ballmagnet im Zentrum zu wichtig. Und wenn er mal, wie am Samstag in Dortmund, 45 eher unauffällige, weil eng bewachte Minuten erwischt, dann dehnt er seinen Aktionsradius einfach massiv aus und wird zum Mister Überall. Dass er aber konsequent die Leerstelle im Zentrum besetzt, ist eigentlich nicht vorstellbar. Dort braucht es einen Mann mit dauerhafter Präsenz. Bisweilen herrschte dort, wo Kane sonst ist, eine große Leere samt panischer Suche.
Bekommt Tel noch eine Bewährungschance?
Übernimmt also erneut Müller? In Dortmund bemühte er sich, die Räume fest zu besetzen, durch die er sonst hindurchschleicht, was auch eher seine Stärke ist. In der ersten Halbzeit hatte er zwei Halbchancen, kurz nach dem Seitenwechsel eine riesige. Doch nach einem brillanten Dribbling von Musiala scheiterte Müller aus kurzer Distanz am herausragend reagierenden BVB-Keeper Gregor Kobel. Die große Torgefahr der vergangenen anderthalb Jahrzehnte strahlt er derzeit nicht mehr aus, seine Rolle auf dem Feld schmilzt immer rasanter. Aber wenn Spiele für Müller wie gemacht sind, dann eben diese, in denen es um alles geht.
Von der Ausbildung her wäre Mathys Tel die vermutlich beste Option. In Dortmund bekam das Talent, das immer noch auf seinen großen Durchbruch wartet und im Winter womöglich verliehen wird, überraschend mal wieder eine Chance. Auf der linken Außenbahn konnte er diese aber nicht für sich nutzen. Das Duell ging haushoch an seinen Gegenspieler Julian Ryerson. Tel spielte ohne großen Mut, ohne Selbstvertrauen. Aber woher sollte das kommen? In dieser Saison kommt er gerade mal auf 286 Minuten, verteilt auf acht Spiele und alle Wettbewerbe.
Gibt's die ganz große Überraschung?
Bleiben noch Serge Gnabry und Leroy Sané, die aber eigentlich auch auf den Flügeln beheimatet sind. Gnabry hat die Rolle im Zentrum indes schon häufiger gespielt und dabei vor allem in der Nationalmannschaft Punkte sammeln können. In Dortmund fehlte er aber verletzt, ob er für Leverkusen fit ist, ist noch nicht klar. Immerhin stimmt nach schwierigen Monaten die Form des 29-Jährigen. Zuletzt war er wieder Teil des DFB-Teams. Mit Gnabry würde sich das Spiel der Münchner verändern, flacher werden. Flanken auf den kleinen Außenspieler sind gegen die Hünen von Bayer kein vielversprechendes Stilmittel. Gleiches gilt für Sané, auch er hat schon vorne gespielt, aber auch mit ihm wäre das Spiel flach und vor allem von Läufen in die Tiefe geprägt.
Das betonte auch Kompany in der Medienrunde vor dem Pokal-Highlight. Ohne Kane werde das Offensivspiel "anders aussehen". Konkrete Einblicke in seine Pläne gab er indes wenig überraschend nicht. "Wir haben viele Optionen." Erwartbar nannte er Müller, Tel, Sané und Gnabry. Aber auch Michael Olise, Kingsley Coman und doch Musiala. "Wir haben Spieler, die torgefährlich sind. Das hilft uns, die Situation zu lösen." Und womöglich muss die Alternative ein bisschen länger durchhalten, als die Münchner sich das wünschen würden. "Es gibt die Möglichkeit, dass Harry dieses Jahr noch spielt, aber er wird schon ein paar Spiele ausfallen", so Kompany. Wird im Winter womöglich sogar nachjustiert? Mit einer großen Lösung? Sportdirektor Christoph Freund sieht da keine Möglichkeiten: "Harry ist ein ganz spezieller Spieler mit einer unglaublichen Torquote. Aber einen zweiten Harry Kane zu verpflichten, werden wir uns nicht leisten können, das wäre für den Kader auch nicht gesund."
Kommt es womöglich gegen Bayer zur ganz großen Überraschung? Rückt der kopfball- und schussstarke Box-zu-Box-Spieler Leon Goretzka in die Spitze. In Dortmund war das zumindest in manchen Momenten der Fall. Und bei Goretzka scheint in dieser Saison ohnehin nichts unmöglich. Vom Spieler, der den Verein unbedingt verlassen sollte, ist er wegen Verletzungsproblemen im Kader, wieder zu einem Mister Wichtig und Zuverlässig geworden. Im Mittelfeld an der Seite von Joshua Kimmich, oder in der Schlussphase in Dortmund als Innenverteidiger an der Seite von Dayot Upamecano. Minjae Kim hatte mit einem Cut am Kopf rausgemusst. "Wir spielen sehr variabel. Vorne verstehen wir uns alle gut und wir wissen alle, was der andere macht", sagt Müller. Nur wer macht's?
Quelle: ntv.de, tno