Redelings Nachspielzeit

"Ertrage das einfach nicht mehr" Der ehrlichste Star, den die Bundesliga je hatte

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Von 408 möglichen Partien verpasste "Ennatz" beim MSV nur 14.

(Foto: imago images / Kicker/Eissner)

Der Mann, den sie alle nur "Ennatz" rufen, feiert seinen 75. Geburtstag. Franz Beckenbauer nannte Bernard Dietz einst einen "feinen Kerl". Seine Karriere als Profi-Trainer beendete er, weil er vieles im Fußball nicht mehr ertrug. Doch ein Leben ohne Fußball kann er sich nicht vorstellen.

"Das kann ich nicht. Ich habe von meinen Eltern gelernt: Wenn ich etwas bekomme, muss ich etwas zurückgeben." Viele erklärten Bernard "Ennatz" Dietz damals für verrückt, als er seinen gut dotierten Posten als Cheftrainer bei einem Bundesligisten aufgab. Sie fragten ihn irritiert, warum er sich nicht - wie alle anderen auch - habe feuern lassen, um die Abfindung zu kassieren? Dietz antwortete ihnen mit diesem Satz - und sorgte so für noch mehr Erstaunen bei seinen Zuhörern.

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Als Kapitän führte "Ennatz" die DFB-Auswahl 1980 zum EM-Titel.

Es waren damals schon Sätze aus einer anderen Zeit von einem Mann, den es so im heutigen Fußball nicht mehr geben könnte. Und das sagt viel über den "feinen Kerl", wie Franz Beckenbauer den Europameister-Kapitän von 1980 einst nannte, aber leider noch viel mehr über den Fußball dieser Tage aus. Denn Dietz meinte stets ehrlich und völlig ohne falsches Pathos, was er sagte: "Ich würde auch Fußball spielen, wenn ich dabei nicht viel verdienen könnte. Ohne Fußball könnte ich gar nicht mehr auskommen." Der ehemalige Bundesligaspieler des MSV Duisburg und des FC Schalke 04 sagte auch einmal den wunderschönen Satz, den jeder Fußball-Liebhaber emotional nachempfinden kann: "Ich habe davon geträumt, einmal ein Kopfballduell gegen Uwe Seeler zu gewinnen." Am Ende seiner langen Karriere hatte er nicht nur das geschafft, sondern so viel mehr.

Schon in jungen Jahren war Dietz ein glühender Fußballfan und selbst Spieler bei Bockum-Hövel: "Für mich war Fußball alles. Spielten wir nicht, fuhr ich nach Dortmund oder Schalke. Um ja nichts zu verpassen, habe ich in der Kampfbahn Rote Erde in den Bäumen gesessen." Er war und ist ein Fußballfanatiker, genau wie die Fans auf der Tribüne, und das sah man auch stets unten auf dem Platz. Sein Motto: "Ich versuche immer, mein Bestes zu geben, und kämpfe in jedem Spiel bis zur Erschöpfung. Das bin ich den Leuten schuldig, die ihr Eintrittsgeld dafür bezahlen. Auch nach einem verlorenen Spiel muss man guten Gewissens sagen dürfen: An mir kann es nicht gelegen haben."

Erst Schande von Cordoba, dann Triumph in Rom

Wenn jemand an diesen Grundfesten seines Denkens rüttelte, konnte auch der ansonsten eher zurückhaltende Ennatz Dietz aufbrausend werden. Eines Tages regte er sich einmal fürchterlich über das Urteil seines Trainers Kuno Klötzer auf: "Er kann sagen, ich hätte schlecht gespielt. Er kann sagen, ich hätte dumm gespielt. Aber mangelnder Einsatz? Für einen wie mich ist das ein Todesurteil." Denn auf Bernard Dietz konnten sich seine Mitspieler verlassen. Noch während seiner laufenden Karriere meinte er einmal: "Im Spiel habe ich immer Angst, dass ich die zehn anderen in die Pfanne haue, wenn ich nicht vor meinem Gewissen mein Bestes gegeben habe."

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Bernard Dietz ist gelernter Schmied, der seine Kindheit in Bockum-Hövel verbrachte. "Es war eine herrliche Jugend für uns Kinder und ein Elternhaus, in dem wir zu Fleiß, Ehrlichkeit und Bescheidenheit erzogen wurden", erinnerte sich Dietz einst und verriet mit dieser Beschreibung seiner Herkunft und Kindheit bereits viel über den Charakter des späteren Spielers und Trainers Bernard Dietz.

Ennatz war immer jemand, der sich alles hart erarbeiten musste und deshalb dasselbe Engagement auch von seinen Mitspielern einforderte. Jemand, der auch Rückschläge verkraftete und daraus die Energie für neue Taten zog. Dem Tiefpunkt seiner Karriere im legendären Spiel 1978 mit der deutschen Nationalmannschaft in Cordoba gegen Österreich (2:3) folgte zwei Jahre später der größte Triumph seiner aktiven Laufbahn. Angeführt vom Kapitän Bernard Dietz gewann die deutsche Elf 1980 in Rom den Europameistertitel. Sicherlich zu überwiegenden Teilen auch das Verdienst eines Spielers, der viel auf die alten Tugenden wie Solidarität und Gemeinsinn hielt und deshalb der nach der Weltmeisterschaft 1974 immer mehr strauchelnden deutschen Mannschaft Ende der 70er Jahre endlich wieder ein neues, einheitliches Gesicht verlieh.

Tennisbälle gegen Trikot-Zerren

Eine weitere persönliche Sternstunde erlebte Dietz am 14. Spieltag der Saison 1977/78. Beim legendären 6:3 des MSV gegen die Bayern schoss Ennatz vier Tore. Eine souveräne Leistung. Doch es ging auch anders. In der Spielzeit 1981/82 verwandelte Dietz zwar den entscheidenden Foulelfmeter gegen Nationalkeeper Schumacher bei einem 1:0-Sieg der Duisburger gegen Köln. Doch hinterher verblüffte der MSV-Profi die Journalisten mit einer erstaunlich ehrlichen, wie komischen Aussage: "Der Toni hat mir nur in die Augen geguckt, aber nervös konnte er mich damit nicht machen. Das große Flattern hatte ich ja schon vorher!"

Zum Autor
  • Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
  • Sein aktuelles Buch "60 Jahre Bundesliga. Das Jubiläumsalbum" ist ein moderner Klassiker aus dem Verlag "Die Werkstatt"

  • Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.

Beim VfL Bochum werden sie nie die Jahre vergessen, als Bernard Dietz dem Nachwuchs und schließlich den Profis als Trainer den rechten Weg wies. Eine seiner ersten Maßnahmen: "Ich ärgere mich immer über dieses Trikot-Zerren. Also habe ich in Bochum einmal 30, 40 Tennisbälle gekauft. Dann mussten die in jede Hand einen nehmen, und wir haben gespielt."

Einer seiner Spieler damals beim VfL ist der heutige Sportdirektor des VfL Wolfsburg, Sebastian Schindzielorz. Eine Szene mit ihm aus dem Jahr 1998 hat Dietz nie vergessen - und sie zeigt auf eine ganz natürliche Weise die Einstellung von Dietz zum Fußball und zu seinen Spielern auf: "Ach, hör mir auf mit dem Schindzielorz. Der hat sich doch in die Hose gemacht. Der wollte nie in seinem Leben einen Elfmeter schießen. Meine Frau ist fast in Ohnmacht gefallen, als der Reporter damals beim Pokalspiel in Lautern nach der Verlängerung seinen Namen genannt hat. Zwei Wochen vorher hat der sich noch in meiner Wade verbissen, als er bei den Amateuren dran sollte: 'Bitte, Trainer, nehmen Sie einen anderen. Bitte, ich kann das nicht!' Und dann macht der im DFB-Pokal mit der ersten Mannschaft die Bude. Eiskaltes Ding! Meiner Frau sind die Tränen gekommen. Wir sind dann voller Rührung gleich ab ins Bett. War ja spät geworden. Mitten in der Tiefschlafphase klingelt um drei Uhr morgens das Telefon. Schindzi am Apparat - ganz cool: 'Trainer, war das so richtig?!' Wirklich ein feiner Junge!"

Eigentlich wollte er nicht wieder Trainer werden

Bernard Dietz ist selbst ein Bundesliga-Profi vom Typ "Dauerbrenner" gewesen. In seinen zwölf Erstliga-Jahren für den MSV Duisburg verpasste er von möglichen 408 Partien gerade einmal 14. Seit der Saison 1970/71 gehörte der damals schon 22-Jährige immer zur Startbesetzung des Meidericher Teams. In Duisburg hat der Name Dietz deshalb auch noch heute Kultstatus und wird immer dann von den Fans und Offiziellen ins Spiel gebracht, wenn es darum geht, das "alte" Duisburg zu feiern. Seine Eigenschaften wie Aufopferungsbereitschaft, Kampfeswille und bedingungsloser Einsatz bis zum Schluss ließen ihn zu dem überragenden Spieler des MSV aufsteigen.

Zur Saison 1982/83 wechselte er dann schließlich zu den Schalker Knappen, wo er in gewohnter Manier seine Tugenden einbrachte. Und auch hier wird ein Spiel gegen FC Bayern München den meisten im Zusammenhang mit dem Namen Dietz in Erinnerung bleiben. Denn als am 2. Mai 1984 ein Spieler namens Olaf Thon seinen viel umjubelten großen Auftritt mit drei Toren im Pokalhalbfinale im Gelsenkirchener Parkstadion feierte, war es ausgerechnet der alternde Dietz, der dafür sorgte, dass die Spannung aufrechterhalten wurde. Sein 5:5 in der 115. Minute ermöglichte erst das legendäre 6:6 in allerletzter Sekunde durch den damals gerade 18 Jahre alt gewordenen Olaf Thon. Dietz selbst blieb noch bis zum Ende der Saison 1986/87 auf Schalke und beendete nach nur acht Einsätzen in der letzten Spielzeit seine Karriere als Profi nach insgesamt 495 BL-Spielen.

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Nach seiner aktiven Laufbahn wurde Bernard Dietz zuerst Cheftrainer der Oberligisten ASC Schöppingen und SC Verl, bevor er sich beim VfL Bochum lange Jahre um die Jugendarbeit verdient machte. Als in Bochum eines Tages allerdings Not am Mann war, überredete Präsident Werner Altegoer Dietz zu einem Comeback als Trainer der Profis. Eine Aufgabe, die Bernard Dietz eigentlich nie wieder übernehmen wollte, hatte er doch einmal gemeint: "Wenn ein 16-Jähriger, der mit Ach und Krach unfallfrei den Ball stoppen kann, mit drei Beratern erscheint, um einen Millionenvertrag auszuhandeln, ertrage ich das einfach nicht." Diese Aussage passt wunderbar zu einem anderen typischen Satz von Bernard Dietz: "Profifußball lenkt mich ab von dem, was mir am Fußball eigentlich Spaß macht."

Heute feiert einer der sympathischsten und in jedem Fall ehrlichsten Bundesliga-Profis aller Zeiten seinen 75. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber Ennatz Dietz!

Quelle: ntv.de

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