Redelings Nachspielzeit

Neururer in Höchstform Die verrückteste Mannschaft der Bundesligageschichte

Kultig.

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Saison 1992/93: Im Saarland sorgt eine wilde Truppe unter der Leitung von Trainer Peter Neururer für Schlagzeilen. Eine solche Ansammlung von skurrilen Typen hat es in der Bundesliga nie wieder gegeben. Und was machen die Bayern? Die müssen die Siegertorte beschneiden - denn überraschend wird Bremen Meister!

Der Übungsleiter dieser verrückten Mannschaft des 1. FC Saarbrücken war in der Saison 1992/93 tatsächlich der junge Peter Neururer. Als der Mann aus dem Ruhrgebiet damals an seinem ersten Tag im Saarland etwas knapp in der Zeit mit quietschenden Reifen in seinem Porsche vorfuhr, sprach ein anwesender Reporter den mittlerweile legendären Satz: "Peter Neururer fährt kein Auto, Peter Neururer schleudert Auto!" Wie wahr.

Und so ist es wenig verwunderlich, dass diese Erkenntnis einige Monate später in der Tristesse des Abstiegskampfs zu einem kurzen Moment der Erheiterung führte, als man dem Coach während einer laufenden Pressekonferenz einen Brief aus Flensburg hereinreichte. Peter Neururer öffnete den Umschlag sogleich, riss nur Sekunden später jubelnd die Arme in die Höhe und rief dann grinsend: "Yippie, endlich mal wieder zwei Punkte geholt!"

Und weil es in dieser so speziellen Bundesliga-Saison für den 1.FC Saarbrücken so wenig zu feiern gab, zog sich Neururer sogar einmal während eines Jubelsprungs bei einem Treffer für seine Mannschaft einen Bänderriss zu. Sein Körper war auf ein Tor einfach nicht mehr vorbereitet gewesen. Es war aber auch ein zu verrücktes Jahr - und das lag vor allem an den unglaublichen Typen, die der "Verbalerotiker" Neururer um sich herum versammelt hatte. Wolfram Wuttke, Stefan Brasas, Thomas Stickroth, Arno Glesius, Stephan Beckenbauer, Michael "Balu" Kostner und den ersten US-Amerikaner in der Bundesliga, Eric Wynalda, musste man erst einmal in einem einzigen Team unterbringen.

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Dazu gesellte sich noch der Co-Trainer Rüdiger "Flankengott" Abramczik, den Neururer einmal während einer Pressekonferenz mit den Worten losschickte: "Abi, geh mit der Mannschaft in den Wald, ne Runde laufen. Aber immer schön im lockeren aeroben Bereich bleiben!" Als die Truppe über eine Stunde später wieder am Vereinsheim ankam, übergaben sich einige Spieler direkt vor Neururers Füßen. Abramczik lächelte den kopfschüttelnden Chef-Trainer an und sagte zufrieden: "Die hab' ich mal richtig schön langgemacht!" Anschließend sollen sich die beiden Übungsleiter noch einmal kurz, aber heftig über aerobes und anaerobes Training ausgetauscht haben.

Wolfram Wuttke sorgte auch damals in Saarbrücken für viel Heiterkeit. Neururer erzählt noch heute gerne und mit viel Vergnügen von dem damaligen Trainingslager in Guatemala. Naiverweise hatte der Coach vor den Übungseinheiten gesagt, wer den Fitnesstest nicht bestünde, der könne auch nicht in der Anfangsformation beim Bundesligastart stehen. Seine Leistungsträger Michael Kostner und Wolfram Wuttke fielen aber beim ersten Versuch durch. Einige Kilos zu viel auf den Rippen wogen offensichtlich zu schwer.

Und so zog Wuttke seine berühmte "Schwitzjacke" über und rannte sich in einer einzigen Einheit bei Temperaturen um die vierzig Grad fünf Kilo hinunter. Der Test wurde bestanden und beim anschließenden Rückflug schlief der ansonsten immer so quirlige Wuttke erschöpft, aber glücklich durch. Dass er dann hier und da doch in der Startformation fehlte, lag an anderen Dingen, wie Neururer es damals so schön formulierte: "Ich muss erst abwarten, wie er drauf ist. Vielleicht hat er sich eine Gehirnzerrung zugezogen."

"Trainer, ich Idiot!"

Es war eine launige und vor allem sehr sprachbegabte Runde damals in Saarbrücken. Über seinen Torwart Stefan Brasas sagte der Trainer etwa: "Der ist so lang, der kann aus der Dachrinne saufen." Und auch der US-Amerikaner Eric Wynalda wusste mit dem einen oder anderen Spruch zu begeistern. Zum SPD-Landtags-Fraktionsvorsitzenden Reinhard Klimmt sagte er: "Ah, du bist also der Indianer-Häuptling. Wo ist deine Feder?" Und den Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine schlug er bei der ersten Begegnung jovial auf die Schulter und meinte: "Na, was machen Sie denn so beruflich?"

Alles übertroffen hat aber damals ein Mann: Arno Glesius. Mit Tränen in den Augen erzählt Neururer heute noch von dem Morgen, als Glesius zu ihm in die Kabine kam und meinte: "Trainer, ich muss mal eben für drei Stunden weg: von 8 bis 10!" Kurz darauf war Neururer so sehr von seinem Team enttäuscht, dass er vor dem Auswärtsspiel in München anordnete: Jeder muss sich selbst um seine Schuhe kümmern! Das taten auch alle. Doch als der Bus vor dem Olympiastadion an einem herrlich-warmen Frühlingstag vorfuhr, erwachte Glesius gerade aus dem Schlaf, schaute aus dem Fenster und blickte auf riesige Eisberge. Sofort lief er zu Neururer nach vorne und schrie verzweifelt: "Trainer, ich Idiot habe nur Sommerschuhe eingepackt!"

Neururer schaute hinaus und sah verzweifelt auf die Arbeiter, die gerade die Eisbahn am Olympiastadion für den Sommer abtauten. Die Partie ging übrigens 6:0 verloren. Nur Trainer Neururer schaffte es, sich auch nach dieser Begegnung etwas von seinem Galgenhumor zu erhalten: "Ausgesehen haben wir wie die Brasilianer, gespielt haben wir wie Barfuß Kairo." Kurz vor Ende seiner Zeit im Saarland ließ Trainer Peter Neururer schließlich die zurückliegenden, kuriosen Ereignisse noch einmal sehr treffend Revue passieren: "Wenn neben mir eine Bombe einschlägt, zucke ich nicht einmal zusammen. Immerhin bin ich schon eineinhalb Jahre beim 1. FC Saarbrücken." Ein besseres Schlusswort über diese verrückte Saison kann man kaum fällen.

Die einzige Frau, die in die Kabine darf

Wieder gefangen hatte sich in dieser Spielzeit der FC Bayern München. Mit Lothar Matthäus hatte der deutsche Rekordmeister einen absoluten Topspieler aus Italien in die Bundesliga zurückgeholt. Bayern-Vizepräsident Franz Beckenbauer schwärmte von dem Neuzugang: "Auch wenn die Mannschaft 14:0 vorne liegt, der Lothar kann sie immer noch verstärken."

Nach einem packenden Duell mit Werder Bremen hatten die Bayern und Lothar Matthäus aber schließlich das Nachsehen in der Titelfrage - und das, obwohl sie eine sehr souveräne Saison gespielt hatten, wie der zweite Vizepräsident des FC Bayern, Karl-Heinz Rummenigge, anschließend betonte: "Es ist grausam, wenn man 32 Spieltage führt und dann nur Zweiter wird." Am Abend des letzten Spieltags wurde bei "Feinkost Käfer" der Nachtisch festlich arrangiert präsentiert. In Marzipan-Buchstaben stand auf der Eistorte: "1993 FC Bayern". Das Ganze sah etwas seltsam aus. Ein Ober gab schließlich offenherzig zu: "Das Wort 'Meister' haben wir einfach weggeschnitten."

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Werder Bremen holte sich also den Titel. Nach dem entscheidenden 3:0-Sieg in der allerletzten Partie in Stuttgart und dem gleichzeitigen Titelgewinn ging die Frau des Trainers, Beate Rehhagel, in die Kabine des neuen Deutschen Meisters. Sat1-Reporter Jörg Wontorra kommentierte das süffisant so: "Beate Rehhagel gelüstet es nach Männerschweiß."

Ihr Mann Otto selbst sagte dazu: "Beate ist die einzige Frau, die nach Spielen in unsere Kabine darf. Sie holt mich dann ab, und es interessiert überhaupt keinen, wenn die Jungs da nackt rumstehen - sie gehört einfach dazu." Am Abend der Feierlichkeiten nahm Rehhagel schließlich seinen Mittelfeldregisseur Andy Herzog in den Arm und sagte zu ihm: "Schau her, das hätten wir nie gedacht, dass wir mit einem Wiener mal Meister werden." Vor der Saison hatte Rehhagel seine Frau Beate alleine nach Österreich geschickt, um "den Andreas zu beobachten". Das hatte sich nun am Ende der Spielzeit 1992/93 mehr als ausgezahlt.

Quelle: ntv.de

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