Redelings Nachspielzeit

"Wilhelm,deine Frau betrügt uns" Der lustigste Spieler der Bundesligageschichte

Willi "Ente" Lippens, der lustigste Bundesligaprofi.

Willi "Ente" Lippens, der lustigste Bundesligaprofi.

(Foto: picture alliance/United Archives)

Saison 1978/79: Was für herrliche Geschichten die Bundesliga schreibt! In Bielefeld lässt ein Keeper absichtlich ein Tor rein und beim VfL Bochum müssen sie einen Spieler vom Frühschoppen holen. Doch alles übertroffen wird von der berühmtesten "Ente" der Bundesligageschichte!

Im Fußball gibt es nichts, was es nicht gibt. Und so ließ in dieser Saison 1978/79 der Bielefelder Keeper Uli Stein am ersten Spieltag beim MSV Duisburg absichtlich einen Ball ins Tor gehen, weil er sich tierisch über seine unachtsamen Vorderleute aufregt hatte. Seine Begründung: "Ich wollte denen mal zeigen, wie das ist, wenn man Patzer macht!" Die Partie endete übrigens 1:1 - und Bielefeld stieg am Ende der Spielzeit ab.

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Noch eine kuriose Geschichte aus dieser Saison: Der VfL Bochum gewann 3:1 beim FC Schalke 04 - mit einer absoluten Notelf. So konnte man erst im allerletzten Moment den eigentlich bereits ausgemusterten Dieter Versen ausfindig machen - er saß mit Freunden gemütlich in einer Kneipe. Sichtlich erleichtert erzählte VfL-Trainer Heinz Höher spitzfindig nach dem Sieg: "Zum Frühschoppen hatte der Dieter, in Unkenntnis dessen, dass wir ihn noch mal benötigen könnten, zwei Bier getrunken. Mit der Folge, dass er sich in gewohnter Form befand!"

"Bälle halten, das kann jeder"

Und auch beim BVB ging es munter zu. Im Westfalenstadion stand am ersten Spieltag bei der Partie Borussia Dortmund gegen den FC Bayern München ein erst Siebzehnjähriger im Tor der Schwarz-Gelben und hielt glänzend. Die "Bild" titelte am nächsten Morgen gewohnt reimfest: "Immel flog in den Himmel". Und der junge Eike war nicht nur ehrgeizig, sondern zeigte schnell, dass er auch wusste, worauf es ankommt: "Bälle halten, das kann jeder, doch die Nerven behalten …" Und tatsächlich gelang das ihm und der Borussia in dieser Saison nicht immer. Dortmund schaffte es am Ende nur knapp, die Klasse zu halten.

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Besonders glücklich darüber war der junge Präsident Reinhard Rauball. Da er im Frühjahr entgegen der Meinung vieler Mahner bereits Willi "Ente" Lippens zu den Dallas Tornedos hatte ziehen lassen, bangte er nicht nur um den Klassenerhalt, sondern auch um seine Reputation als Vorsitzender. Rauball erinnert sich: "Das war eine sentimentale Handlung, die man sich in diesem knallharten Geschäft Bundesliga nicht erlauben dürfte. Wehe, wenn wir abgestiegen wären. Ich hätte den Rest meines Lebens um jede Ente einen weiten Bogen gemacht."

Und das wäre wirklich schade gewesen. Denn mit Willi "Ente" Lippens verließ in dieser Spielzeit einer der lustigsten Entertainer der Bundesliga seine Showbühne. Noch kurz zuvor hatte Lippens gewohnt pointiert gemeint: "Je älter ich werde, desto größer trumpfe ich auf. Wenn das so weitergeht, bin ich in einigen Jahren überhaupt nicht mehr zu bremsen."

Lippens war schon in jungen Jahren ein echtes Original, der immer wusste, für wen er auflief: "In jedem Zuschauer habe ich meinen besten Freund gesehen." Die Unterhaltung der Massen war sein Ding. Sein früherer Gegenspieler bei Werder Bremen, Jürgen Röber, erinnerte sich einmal an eine Geschichte, die seinem Mannschaftskameraden Karl-Heinz Kamp widerfahren war: "Ich werde nie vergessen, wie der Willi Lippens dem Kamp aus drei Metern anzeigte: Da kriegste ihn hin! Und dann schob er dem ohnmächtigen Kalli vergnügt den Ball durch die Beine."

"Ich verwarne Ihnen!"

Auch Frankfurts Keeper Peter Kunter konnte so eine Story erzählen. "Komm doch, komm doch!", rief Willi Lippens dem Torwart der Eintracht einmal zu. Nach einem Steilpass stand der Essener alleine am Strafraumeck und lockte den Torhüter aus dem Kasten. Und Dr. Peter Kunter tat ihm den Gefallen. Er lief der "Ente" drei, vier Schritte entgegen und musste mit ansehen, wie der "Knicker schön oben im langen Eck" versenkt wurde. Es war das Tor zum 2:1 für Rot-Weiss Essen. Spektakulär erzielt. Aber noch interessanter war: Am Ende stand es 6:3 für RWE, doch dem Eintracht-Keeper war es fast egal. Er konnte Lippens nicht böse sein. Kunter schwärmt noch heute von dem wendigen Essener: "Der war die halbe Bundesliga wert!"

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Immer wieder gerne zitiert wird die berühmte Geschichte mit Lippens und dem Schiri Zuchantke in Herne im Mai 1965, als Lippens nach einem Foulspiel vom Schiedsrichter mit einem Pfiff gestoppt und ermahnt wurde. Der Mann in Schwarz sagte: "Ich verwarne Ihnen!" Und Lippens antwortete mit einem breiten Grinsen auf den Lippen: "Ich danke Sie!" Der Spruch wurde zur Legende, und in späteren Jahren wusste die "Ente" ihn gut zu vermarkten. In seinem Lokal, das er in Bottrop zusammen mit seinem Sohn betreibt, tragen die Bedienungen auch heute noch genau diesen Spruch auf ihrer Gastro-Bekleidung.

Glänzende Augen bekam Lippens aber auch immer dann, wenn er von einer anderen Schiedsrichtergröße der Bundesliga erzählte. Mit dem rheinischen Diplomaten Walter Eschweiler hat der halbe Holländer aus dem Ruhrgebiet Lippens immer viel Spaß auf dem Platz gehabt, wie er gerne und lebhaft erzählt: "Wir haben uns oft unterhalten während des Spiels. Eckball für uns, bin ich raus zur Fahne, kam er hinterher: 'Na, Wilhelm, wie geht es zu Hause?' Sag ich: 'Danke, Walter, uns geht es sehr gut. Soll ich jetzt die Ecke schießen oder möchtest du, dass ich noch was erzähle?' Oder wenn du gefoult worden bist und hast auf dem Boden gelegen, da kam er dann vorbei - so in seiner Art mit den strammen Beinen und dem glatt gebügelten Oberkörper - und hat zu dir nach unten geschaut: 'Jung, suchst du was, hast du was verloren?'" Auch die ganz persönlichen Scherze ließ Schiri Walter Eschweiler in diesen Tagen nicht aus, wie sich Lippens mit einem schelmischen Grinsen erinnert: "Mir hat der immer gesagt: 'Ich glaub, Wilhelm, deine Frau betrügt uns!'"

"Merkel darf jahrelang gegen uns Dreck werfen"

Meister wurde übrigens der Hamburger SV. Trainer Branko Zebec und Manager Günter Netzer hatten eine tolle, aber nicht immer einfach zu führende Mannschaft zusammengestellt. Felix Magath, Manfred Kaltz, Horst Hrubesch und Jimmy Hartwig ragten aus diesem Team heraus, aber alles in den Schatten stellte Kevin "Mighty Mouse" Keegan. In seiner zweiten Saison in Hamburg spielte sich der Engländer in die Herzen der Fußballfans.

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Bei den Bayern hatten sie zum Ende der Spielzeit schließlich ein ganz anderes Problem. Die Führung des Klubs wollte Max Merkel zur nächsten Saison als neuen Trainer holen - doch das wollten die Spieler ganz und gar nicht. Torwart Sepp Maier: "Herr Neudecker machte mit mir und Paul Breitner letzte Woche eine Frist zur Hauptversammlung des Klubs am 2. April aus, bis dahin könne sich die Mannschaft vom 0:4 gegen Bielefeld rehabilitieren. Dann erfahren wir aus dem Fernsehen, dass mit Max Merkel bereits alles klar sei. Ja, wo gibt es denn so etwas? Ich habe in Braunschweig mit 38 Grad Fieber gespielt, für unseren Trainer Csernai, der Hervorragendes geleistet hat bisher. Der Paul Breitner hatte letzte Woche acht Kilo abgenommen nach einer Darmgrippe und spielte auch. Erst darf Merkel jahrelang gegen uns Dreck werfen - dann holt ihn unser Präsident. Niemals!"

Noch am Flughafen machten die Spieler eine Abstimmung - und alle stimmten gegen Merkel. Und was sagte der verhinderte Neu-Bayern-Trainer dazu? Max Merkel reagierte, wie man ihn kennt, gewohnt gelassen: "Wenn nicht, dann ist es auch egal!" ("Wenn ned, is aa egal!")

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 15. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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