"Expandieren oder sterben" Chinas Solarfirmen wollen jetzt auch westliche Staatshilfen


Chinesische Solarhersteller wollen in den USA und Europa expandieren.
(Foto: picture alliance/dpa/Xinhua)
China flutet die Welt mit günstigen, stark subventionierten Solarmodulen. Das verärgert europäische wie amerikanische Unternehmen. Die USA und die EU diskutieren Einfuhrverbote und Strafzölle, doch chinesische Solarfirmen sind längst einen Schritt weiter.
Elektroautos, Windkraft, Batterien oder Solarenergie: In Zukunftsbranchen subventioniert China alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, um weltweit führend zu werden. 2022 hätten mehr als 99 Prozent der börsennotierten Unternehmen in den neuen Schlüsseltechnologien direkte staatliche Subventionen von China erhalten, hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einer neuen Auswertung berechnet.
Das Ergebnis ist bekannt: BYD schreckt mit seinen Exporten andere Autobauer auf, die EU-Wettbewerbskommission nimmt chinesische Turbinen-Hersteller für Windparks unter die Lupe, die chinesische Solarindustrie produziert die westliche Konkurrenz mit ultragünstigen Modulen quasi aus dem Weltmarkt. China überschwemmt den europäischen Markt mit erneuerbaren Energien, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
Bei seinem dreitägigen China-Besuch hat Bundeskanzler Olaf Scholz Preisdumping, Urheberrechte, Überkapazitäten angesprochen und der Führung in Peking mitgeteilt: Wir brauchen fairen Wettbewerb oder die EU wird Strafzölle verhängen!
"Das sagt die Standard-Ökonomie"
Experten bezweifeln, dass diese Drohung ankommt. Für Verbraucher, Umwelt und Klima sind die günstigen chinesischen Angebote ohnehin ein Segen. Das weiß nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Janet Yellen. "Wenn jemand dir billige Güter schickt, solltest du einen Dankesbrief zurückschicken. Das sagt die Standard-Ökonomie", erklärte die US-Finanzministerin Anfang April in einem Interview mit dem "Wall Street Journal". Eigentlich.
Tatsächlich würde die 77-Jährige inzwischen "nie wieder" einen Dankesbrief schreiben, wie sie in dem Interview direkt hinterher schob. Denn auch Yellen findet die chinesische Industriepolitik hochproblematisch. Das stellte sie im April ebenfalls bei einem Besuch in Peking klar. Die chinesischen Billigimporte würden amerikanischen Arbeitern und Firmen schaden, sagte Yellen in der chinesischen Hauptstadt. China müsse seine Industrie- und Exportstrategie ändern, wenn es auch in Zukunft an guten Handelsbeziehungen interessiert sei. Die Volksrepublik sei inzwischen einfach zu groß, als dass der Rest der Welt die enormen Kapazitäten absorbieren könnte.
Die Vorwürfe von Yellen sind berechtigt. Denn während amerikanische Hersteller oder deutsche wie Meyer Burger wegen der ultragünstigen Konkurrenz aus der Volksrepublik in die Knie gehen und ganze Regionen Arbeitsplätze verlieren, können chinesische Firmen weiter produzieren und ihre Fertigungsziele trotz schwieriger Bedingungen sogar erhöhen. "Ihre Firmen müssen den Markt nicht verlassen", sagte Yellen in China. "Eher sind es unsere."
Solarbedarf bis 2023 gedeckt?
Die Kapazitäten, von denen Yellen redet, wirken abenteuerlich: 2023 waren chinesische Firmen in der Lage, Solarmodule mit einer Gesamtleistung von 861 Gigawatt (GW) herzustellen. In diesem Jahr sollen die Kapazitäten trotz der Ramschpreise um weitere 500 bis 600 GW steigen, wie Energieexperten der Analyseunternehmen Wood Mackenzie und Rystad Energy schätzen. Analysten von Climate Energy Finance in Sydney ordnen diese Mengen ein: Nur mit der diesjährigen Produktion könnte der gesamte globale Solarbedarf bis 2032 abgedeckt werden. Denn weltweit werden immer noch deutlich mehr Solarmodule hergestellt als installiert (390 GW). Durch das massive Überangebot fielen die Preise für Solarmodule vergangenes Jahr um fast 50 Prozent. Es sei an der Zeit für einen Strategiewechsel, stellte die US-Finanzministerin in Peking klar.
Solche Aussagen wird auch die chinesische Solarindustrie nicht ungern hören, denn die ist ebenfalls alles andere als glücklich darüber, ihre Module zu Ramschpreisen zu verschleudern. Selbst Marktführer wie Longi Energy streichen derzeit Tausende Stellen, wie das Finanz- und Wirtschaftsportal Bloomberg berichtet.
Ein Ende der Konsolidierung ist vorerst nicht in Sicht. Wer kann, versuche seinen Marktanteil mit günstigen Angeboten auszuweiten, um andere Hersteller aus dem Markt zu drängen, heißt es von der Analysefirma Rystad Energy. Die Experten von Wood Mackenzie ergänzen, dass einige chinesische Modulfertiger derzeit sogar Bestellungen mit Verlusten annehmen, um ihre Position zu verteidigen, wodurch die Preise weiter fallen. Die Experten sind sich einig: Auch chinesische Firmen werden bald Zahlungsunfähigkeit anmelden müssen.
"Expandieren oder sterben"
Die chinesische Solarbranche ist außerdem unzufrieden, weil sie durch den Preiskampf einen dauerhaften Imageschaden fürchtet, der ihr den Zugang zu vielen weiteren Märkten verbauen könnte. Indien etwa hat bisher 92 Prozent seiner Solarmodule in China eingekauft, deren Einfuhr jetzt aber verboten. Selbst chinesische Ökonomen warnen inzwischen davor, dass die Überkapazitäten die internationale Handelsordnung beeinträchtigen und zu einer Welle des Protektionismus mit Zöllen und Beschränkungen für chinesische Produkte führen könnten.
Ein chinesischer Industrievertreter hat deshalb in den letzten Wochen eine Marschroute ausgegeben: "Expandieren oder sterben". Statt die Welt mit Billigexporten zu fluten, sollten chinesische Firmen lieber Fabriken und Fertigungsstätten in Europa, aber auch den USA bauen, wo die Einfuhrbeschränkungen schon jetzt besonders streng sind.
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Für die chinesische Branche hätte das zwei Vorteile: Einerseits würde sie nicht länger Arbeitsplätze im Westen bedrohen, sondern neue schaffen. Zudem könnten Hersteller wie Longi Energy mit der Produktion vor Ort Einfuhrbeschränkungen umgehen - und wenn der Plan aufgeht, nach deutschem Vorbild in den USA plötzlich sogar auf zusätzliche amerikanische Staatshilfen aus dem Inflation Reduction Act (IRA) spekulieren.
Behält Yellen recht?
Die Wut deutscher und amerikanischer Solarunternehmen über die chinesischen Billigimporte ist verständlich. Einfuhrbeschränkungen, Strafzölle oder eigene Staatshilfen scheinen aber nicht mehr in der Lage, die chinesische Dominanz zu stoppen. Damit erreicht man primär eines: Die Energiewende wird für alle teurer. Eine komplizierte Botschaft zu einer Zeit, in der die Ampel jeden Euro im deutschen Haushalt dreimal umdrehen muss und jede fünfte Familie sagt: Wir haben kein Geld für eine Woche Urlaub.
Zu diesem Fazit kommt auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in seiner Analyse: "Zwar ist die europäische Industrie gegen die Konkurrenz aus China preislich oftmals nicht mehr konkurrenzfähig. Ohne Chinas subventionierte Technik würden aber auch Produkte teurer und knapper, die Deutschland für die grüne Transformation benötigt."
Auch die Kieler Ökonomen werben deswegen dafür, Subventionen, die besonders schädlich sind, abzuschaffen. Janet Yellen wird mit ihrer Einschätzung, dass die Führung in Peking die Botschaft aus den USA und Europa verstanden habe, hoffentlich recht behalten.
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Quelle: ntv.de