China diktiert Solarausbau Sollten wir kleine Fische wie Meyer Burger retten?
01.02.2024, 16:05 Uhr Artikel anhören
Meyer Burger beschäftigt im sächsischen Freiberg 500 Menschen.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
China dominiert den Bau von Elektroautos, den Markt für wichtige Rohstoffe wie Lithium und inzwischen auch die Solarbranche: Die Volksrepublik stellt so viele Solarmodule her, dass die Preise dafür vergangenes Jahr um fast 50 Prozent gefallen sind. Die deutsche Energiewende wird dadurch deutlich günstiger, doch die chinesische PV-Flut wird zum Problem für europäische Unternehmen wie Meyer Burger. Der Schweizer Solarausrüster droht, sein Werk im sächsischen Freiberg zu schließen, wenn die Bundesregierung nicht für einen fairen Wettbewerb sorgt. Julia Hammelehle von der Münchner Sicherheitskonferenz spricht sich für staatliche Unterstützung aus, auch wenn Meyer Burger im globalen Wettbewerb nur ein kleiner Fisch ist: "Besser ein Unternehmen als gar keins", sagt die Politologin im "Klima-Labor" von ntv. Denn bei Solarsubventionen gehe es nicht um "Wettbewerbsfähigkeit" im klassischen Sinne, sondern darum, sich vor dem Einsatz der Technologie als politisches Druckmittel zu schützen.
ntv.de: Meyer Burger wünscht sich einen fairen Wettbewerb, was eigentlich nur bedeuten kann: Man hätte gerne Staatshilfe, um mit günstigen chinesischen Konkurrenten mithalten zu können, aber auch amerikanischen, die ebenfalls massiv von Subventionen profitieren. Wäre das eine gute Idee?
Julia Hammelehle: Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eher weniger, aus geopolitischen sehe ich aber durchaus eine Notwendigkeit, die Solarbranche in Europa zu stärken. Nicht nur Produzenten von Solarmodulen und Solarzellen wie Meyer Burger, sondern auch Hersteller vorgelagerter Produkte. Aber natürlich sollte man darauf achten, ob Kosten und Nutzen im Einklang stehen und schauen, wie sich die Branche entwickelt und wie sie über Subventionen hinaus in Bereichen wie Digitalisierung und Entbürokratisierung gestärkt werden kann.
Die Energiewende würde für Deutschland damit aber teurer, denn die Subventionen müssten irgendwo herkommen. Das werden Steuergelder sein. Sollten wir nicht dankbar sein für die günstige chinesische Produktion?
Eigentlich schon. Der Solarausbau in China hat massiv dazu beigetragen, dass die Preise gesunken sind. Aber es sind eben enorme Abhängigkeiten. Das birgt aus geopolitischer Sicht Risiken, dennoch haben Sie recht: Für den deutschen Staat bedeutet dies zusätzliche Kosten. Im Moment werden sogenannte Resilienzausschreibungen und Resilienzboni diskutiert, damit es wenigstens für die Verbraucher nicht teurer wird.
Was ist denn das konkrete Risiko? Dass wir irgendwann keine Solarpanels mehr aus China bekommen und dann keine eigene Industrie mehr haben?

Julia Hammelehle betreut bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) schwerpunktmäßig die deutsche, britische sowie die EU-Außen- und Sicherheitspolitik, die transatlantischen Beziehungen und Energie- und Klimasicherheit.
Aktuell macht China rund 80 Prozent der gesamten Wertschöpfungskette aus, nicht nur beim finalen Produkt, sondern auch bei den Vorprodukten. Teilweise sehen wir sogar chinesische Anteile von fast 100 Prozent. In Europa kommen über 90 Prozent der Importe aus China. Das bedeutet, dass unser Ziel, Solar auszubauen, von chinesischen Importen abhängt und damit auch unsere Fähigkeit, fossile Abhängigkeiten zu reduzieren. Der zweite kritische Punkt ist die Befürchtung, dass China genau diese Abhängigkeiten einsetzt, um über die Androhung oder die tatsächliche Umsetzung von Exportrestriktionen politisch Druck auszuüben.
Aber China braucht doch Absatzmärkte für seine Produkte. Deutschland ist wahrscheinlich einer der zahlungskräftigsten Kunden, Europa insgesamt auch. Besteht tatsächlich ein reales Risiko, dass China sagt, "wir liefern nicht mehr"?
Wenn China mit Exportrestriktionen droht, birgt das tatsächlich auch für China Risiken, weil es unsere Bemühungen befeuert, zu diversifizieren. Aber man kann das Problem an Russland erkennen: Russisches Gas ist trotz Krieg nicht sanktioniert. Russland hat für Öl und Gas durchaus neue Absatzmärkte gefunden. Auch China würde mutmaßlich andere Absatzmärkte finden und hat selbst ebenfalls großen Solarbedarf. Bei Russland sieht man auch: Ab einem gewissen Punkt greifen rein wirtschaftliche Gesichtspunkte in einem geopolitischen Wettbewerb nicht mehr. Deswegen würde ich sagen: Mit Blick auf die starken Abhängigkeiten und unser großes Interesse, Solar auszubauen, ist es wichtig, zumindest einen gewissen Grundstock in Europa zu halten.
Meyer Burger ist aber nur ein vergleichsweise kleines Unternehmen. Das wird ja nicht reichen ...
Es wäre schön, wenn es mehr Unternehmen wären, aber: besser eins als gar keins. Und wie gesagt, man muss auf die gesamte Branche und Wertschöpfungskette blicken. Wir haben massive Probleme bei Vorprodukten wie Wafern. Wir müssen schauen, wo wir auf europäischer Ebene besser zusammenarbeiten und - ganz wichtig - in Forschung und Entwicklung investieren können, um Nischen zu finden, die wir besetzen und wo wir selbst einen Wettbewerbsvorteil entwickeln können.
Aber warum bestellen wir denn nicht jetzt, wo sie so günstig sind, sehr viele Solarmodule, füllen unsere Lagerhäuser und verbauen sie in den kommenden Jahren. Dann ist egal, ob China in fünf Jahren noch liefern möchte, denn die Solarmodule halten 20 bis 25 Jahre. Man muss nicht wie Öl oder Erdgas kontinuierlich Nachschub bestellen.
Die Lagerhäuser sind schon gut gefüllt, einen gewissen Puffer haben wir also. Es gibt auch Stimmen, die fordern, dass diese Bestände von staatlicher Hand aufgefüllt werden.
So wie die strategischen Ölreserven der USA?
Genau. Das wird diskutiert, aber eine Reserve reicht nicht aus, wenn wir langfristig denken und uns die Ausbauziele anschauen: Allein in den kommenden Jahren sollen sich unsere Solarkapazitäten verdreifachen.
Aber das Problem sind ja nicht nur die Subventionen. China kann einfach deutlich günstiger produzieren. Die Lohnstückkosten sind geringer als in Deutschland, man muss keine Lieferketten kontrollieren, unsere Umweltstandards sind strenger. Jetzt fördern die USA ihre lokale Produktion massiv mit dem Inflation Reduction Act. Können wir bei diesem Wettlauf wirklich mithalten? Ist dieser Versuch sinnvoll?
Zu den Standards möchte ich die problematische Menschenrechtslage hinzufügen. Das wäre ein weiteres Argument für Diversifikation. Polysilizium ist ein Grundbaustein von Solarmodulen. Rund 30 bis 40 Prozent werden in Xinjiang hergestellt, wo massive Zwangsarbeit von Uiguren nachgewiesen wurde.
Aber nicht von VW …
Ja, merkwürdig … die US-Regierung hat jedenfalls mit dem Uyghur Forced Labor Prevention Act reagiert und die Einfuhr von Waren verboten, die ganz oder teilweise in Xinjiang hergestellt wurden. Aber zurück zum Subventionswettlauf: Das sind ja nicht nur die USA und China, sondern auch Indien. Es ist eine globale Entwicklung, bei der Europa allein aufgrund der Volumina nur bedingt mithalten kann. Auch, weil wir kein gemeinsames Finanzierungsinstrument haben.
Wäre Indien ein sinnvoller Partner, dem wir im Gegenzug für eine günstige Produktion unser Know-how anbieten könnten?
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Das wird schwierig, weil die USA und Indien einen großen heimischen Bedarf für Solar haben. Inwieweit sich tatsächlich Exportpotenziale entwickeln, ist fraglich.
Aber sollte man es nicht versuchen? Wenn Europa beim Solarwettlauf der USA und China nicht mithalten kann, wäre es nicht strategisch cleverer, denen das Feld zu überlassen, Solar im Ausland einzukaufen und stattdessen unsere Windbranche zu fördern, die trotz aller Probleme gut funktioniert, und dort zu dominieren?
In Anbetracht der knappen Ressourcen stimme ich zu, dass man dort investieren sollte, wo unsere Wettbewerbsvorteile liegen und unbedingt schauen sollte, wo wir neue Partnerschaften aufbauen und auch die Produktion in anderen Ländern fördern können. Deswegen würde ich auch ein Fragezeichen an das Ziel des Net Zero Industry Acts der EU-Kommission machen. Der sieht vor, dass 40 Prozent sämtlicher grüner Technologien in Europa hergestellt werden sollen. Ich bin trotzdem überzeugt, dass es wichtig ist, auch im Solarbereich zumindest einen Grundstock bei uns zu haben. Das bedeutet nicht, im klassischen Sinne "wettbewerbsfähig" zu sein, sondern meint "langfristige Unterstützung", weil kurzfristige Anschubfinanzierung nicht ausreicht.
Falls China tatsächlich sagt: Für Europa gibt es nichts mehr. Dann wären wir in der Lage, die Produktion einigermaßen schnell hochzufahren? Eine Lehre aus der Corona-Pandemie?
Ganz genau. Wir sollten zumindest einen Grundstock haben, um die Produktion schneller ausbauen, aber auch um China signalisieren zu können: Wir haben das!
Mit Julia Hammelehle sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de