Wirtschaft

Huthi-Angriffe auf Schiffe Drohen jetzt Lieferengpässe wie zu Corona-Zeiten?

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Huthi-Angriffe sorgen für Chaos: Die Containerzahl auf der kürzesten Route zwischen Asien und Nordeuropa durch das Rote Meer ist laut IfW um die Hälfte eingebrochen.

Huthi-Angriffe sorgen für Chaos: Die Containerzahl auf der kürzesten Route zwischen Asien und Nordeuropa durch das Rote Meer ist laut IfW um die Hälfte eingebrochen.

(Foto: Sayed Hassan/dpa)

Die Angriffe durch die Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer zwingen Reedereien zu großen Umwegen. Verzögerungen und hohe Kosten sind die Folge. Tesla muss die Fertigung in Deutschland vorübergehend stoppen. Böse Erinnerungen werden wach.

Die wiederholten Attacken der vom Iran unterstützten Huthi-Miliz auf internationale Schiffe im Roten Meer könnten möglicherweise größere Auswirkungen auf die Lieferketten und die Weltwirtschaft haben als bislang erwartet - vor allem, wenn sich der Konflikt noch über Monate hinzieht. Tesla teilte diesen Freitag mit, die Produktion seiner E-Autofabrik in Grünheide zwischenzeitlich einstellen zu müssen, weil Nachschub an Teilen fehlt. Mehrere Wirtschaftsverbände warnen bereits vor Lieferverzögerungen, die Kosten für den Warentransport auf dem Seeweg steigen. Und auch die Ölpreise klettern aus Angst vor einem größeren regionalen Krieg, der die Versorgung unterbrechen könnte. Erinnerungen an gesprengte Lieferketten in der Pandemie werden wach.

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Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges zwischen Israel und der islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 greift die im Jemen agierende Miliz immer wieder Schiffe mit angeblicher Verbindung zu Israel im Roten Meer an. Bisher gab es 27 Angriffe auf internationale Handelsschiffe. Sechs der zehn größten Containerschifffahrtsunternehmen - Maersk, MSC, Hapag-Lloyd, CMA CGM, ZIM und ONE - meiden das Rote Meer deshalb weitgehend oder vollständig. Statt durch das Rote Meer fahren die Schiffe nun um Afrika und das Kap der Guten Hoffnung. Der Umweg nimmt sieben bis 20 Tage in Anspruch, was nicht nur für Verspätungen sorgt, sondern auch zusätzliche Kosten verursacht.

Autobauer mit Logistikpartnern im Austausch

Tesla sei wegen erheblich längerer Transportzeiten und Lücken in der Lieferkette gezwungen, die Fertigung größtenteils zwischen dem 29. Januar und dem 11. Februar ruhen zu lassen, heißt es in einer Mitteilung des US-Autobauers. Auch die europäische Konkurrenz leitet ihre Lieferungen wegen der Angriffe um das Kap der Guten Hoffnung herum und nimmt notgedrungen höhere Kosten sowie Verzögerungen von zwei Wochen in Kauf. Bei ihnen scheint der Nachschub bislang jedoch gesichert. BMW teilte auf Anfrage von ntv.de mit, dass die Situation im Roten Meer "keinerlei Beeinträchtigungen auf die Produktion der BMW Group" habe. "Die Versorgung unserer Werke ist sichergestellt", heißt es. Auch Sprecher von Volkswagen und Mercedes gaben auf Nachfrage an, dass die Produktion "nahezu uneingeschränkt laufe". Alle drei Hersteller betonten aber auch, "im engen Austausch" mit Reedereien und Logistikdienstleistern zu sein. Die Situation werde kontinuierlich beobachtet.

Der Suezkanal, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, gilt als Tor Europas. Durch ihn transportieren Reedereien einen Großteil der Waren von und nach Asien, normalerweise sind das Tausende Tonnen täglich. Jüngste Zahlen des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung (IfW) zeigen, dass die auf dieser Route transportierte Menge an Containern aber zuletzt um über die Hälfte eingebrochen ist. Aktuell beträgt das Transportvolumen noch rund 200.000 Container pro Tag. Im November 2023 waren es 500.000 Container. "Damit liegt das aktuelle Aufkommen 66 Prozent unter dem eigentlich zu erwartenden Volumen, berechnet aus dem Frachtaufkommen der Jahre 2017 bis 2019", schreibt das Institut.

Die Hin- und Rückfahrt zwischen Asien und Europa ist durch den Umweg ums Kap rund 13.000 Kilometer länger. Das treibt die Kosten. Hapag-Lloyd entstehen dadurch nach eigenen Angaben Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe. Die Höhe der Zuschläge hänge vom Fahrtgebiet ab, heißt es. Zahlen müssten die höheren Preise die Kunden. Das IfW liefert konkrete Zahlen: Demnach liegen die Preise für einen Containertransport - im Branchenjargon Frachtraten genannt - für einen 40-Fuß-Standardcontainer zwischen China und Nordeuropa bei aktuell "über 4000 US-Dollar". "Noch im November waren es rund 1500 US-Dollar", so das IfW.

IfW: Kein Vergleich mit der Lage in der Pandemie

Das sei zwar deutlich mehr, aber noch kein Anlass, ähnliche Szenarien wie in der Pandemie aufleben zu lassen, fügte das Kölner Institut hinzu. "Der aktuelle Preis ist noch weit entfernt von den drastischen Ausschlägen während der Corona-Pandemie, als der Transport eines Containers auf dieser Route bis zu 14.000 US-Dollar kostete." Größere Verwerfungen in den Lieferketten und Folgen für die Verbraucherpreise in Europa erwartet Handelspolitik-Experte Julian Hinz vom IfW deshalb auch nicht. "Die Situation heute ist nicht mit dem Umfeld während des Ever-Given-Unglücks im Suezkanal und der Corona-Pandemie vergleichbar, als Lockdowns zu einem drastischen Rückgang des Warenangebots führten und gleichzeitig die Nachfrage in Europa nach oben schnellte."

Entscheidend für die weitere Entwicklung dürfte sein, wie lange die Krise anhält. Hierüber kann angesichts der schwierigen politischen Lage aber nur spekuliert werden. Der Chef des Schifffahrtsgiganten AP Møller-Maersk, Vincent Clerc, warnte in der "Financial Times" davor, dass es durchaus noch Monate dauern könnte, bis die wichtige Handelsroute am Roten Meer wieder geöffnet werde, was zu wirtschaftlichen und inflationären Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, Unternehmen und Verbraucher führen könnte. Es gebe angesichts der schwierigen Lage "keine Gewinner", zitiert ihn das Blatt. Maersk befördert etwa ein Fünftel der weltweiten Seefracht.

Kritisch äußerte sich auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer. Das DIHK warnte wegen der Attacken auf die Schifffahrt im Roten Meer bereits vor Engpässen in den Lieferketten. Längere Lieferzeiten, steigende Transportkosten sowie zunehmende Versicherungskosten würden beginnen sich auszuwirken, heißt es. Wichtige Vorprodukte für die deutsche Industrie würden schon "aktuell nicht rechtzeitig ankommen", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Erste Lager würden leerlaufen und Produktionsbeeinträchtigungen deutscher Unternehmen sichtbar werden. Auch die Abläufe in den Häfen dürften sich verschärfen, ergänzte er, weil die Schiffe später als geplant ankommen und Container für den Export auf Abholung warten. Als offenste Volkswirtschaft der großen Industrienationen (G7) sei Deutschland besonders auf funktionierende Lieferketten angewiesen, warnte er.

Engpässe möglicherweise ab April?

Der Handelsverband (HDE) und der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) rechnen "kurz- und mittelfristig" dagegen nicht mit schlimmeren Auswirkungen und leeren Regalen. Zur Begründung heißt es von beiden, die Lieferketten seien in der Corona-Pandemie sowie während des russischen Kriegs gegen die Ukraine robuster geworden. "Es wird höchstens in Einzelfällen zu kurzen Lieferverzögerungen kommen", ist BGA-Präsident Dirk Jandura überzeugt.

Unsicherheiten bleiben: Die Lage verschärfen könnten beispielsweise die bevorstehenden wochenlangen Werkschließungen in China wegen des Neujahrsfestes. Zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar geht in China nichts mehr. Das, plus die Blockaden im Roten Meer, könnte die Lage kippen lassen. Logistikexperten berichteten bereits von einem Containerengpass im Hafen von Ningbo. Erwartet wird, dass es bei für April oder Mai erwartete Waren zu deutlichen Verzögerungen kommen wird. Der Discounter Aldi Nord rechnet mit einer möglichen Knappheit bei Haushaltswaren, Spielzeug und Dekoration. Vorsorglich hat der Handelsriese Werbekampagnen für bestimmte Produkte verschoben, um die Vorräte zu sichern.

BDI: Bundesmarine soll Handelsrouten mit schützen

Maersk-Chef Clerc forderte angesichts der Lage die internationale Gemeinschaft - angeführt von den USA - auf, mehr zu tun, damit das Rote Meer wieder für Schiffe geöffnet werden kann. Und auch hierzulande mehren sich die Stimmen, die fordern, der Bund möge vorsorglich Verantwortung übernehmen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach sich diese Woche beispielsweise für eine Beteiligung der Bundesmarine an Einsätzen zum Schutz der Handelsrouten aus. "Die angespannte Situation im Roten Meer führt zu Verunsicherung", klagte das Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, Wolfgang Niedermark. Zu schaffen mache die Krise insbesondere Branchen, die auf Rohstoff- oder Bauteillieferungen aus Asien angewiesen seien.

Das Problem dabei ist, dass die schwächelnde Konjunktur dem Welthandel in diesem Jahr ohnehin zugesetzt hat. Nach Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird er in diesem Jahr lediglich um knapp ein Prozent zulegen. Der Schnitt von 2010 bis 2020 lag noch bei 3,5 Prozent. Die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen im Roten Meer wirkten sich zusätzlich negativ auf die internationale Arbeitsteilung sowie konjunkturelle Entwicklung aus, so DIHK-Außenwirtschaftschef Treier.

Quelle: ntv.de, mit Agenturen

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