Lithium-Abbau in Deutschland? "Eine saubere Möglichkeit, das China-Risiko zu minimieren"
21.10.2022, 12:53 Uhr
Lithium ist für Akkus und Batterien so wertvoll, dass es unbedingt besser recycelt werden muss.
(Foto: imago images/AAP)
Wenn Smartphones, Laptops, E-Autos und Windräder gebaut werden, ist Lithium unverzichtbar. Das Alkalimetall ist das Herz der elektrifizierten Welt. Deutsche und europäische Unternehmen beziehen den Rohstoff bisher aber ausschließlich aus dem Ausland. Abgebaut wird es vor allem in Australien und Chile, bei der Weiterverarbeitung hat China ein Monopol. Für Franziska Brantner ist das ein unhaltbarer Zustand. "Das ist erstes Semester BWL: Risiko durch Diversifizierung minimieren", sagt die Parlamentarische Staatssekretärin im "Klima-Labor" von ntv. Deutschland müsse schauen, dass man bei Lithium nicht in ähnliche Abhängigkeiten gerate wie beim Erdgas. Die Grünen-Politikerin unterstützt deshalb mehrere Pilotprojekte, bei denen die Gewinnung von Lithium aus Wasser auch in Deutschland erprobt wird - ähnlich wie in Chile, nur sauber, umweltschonend und nachhaltig.
ntv.de: Sie sind im Bundeswirtschaftsministerium zuständig für die nicht-energetische Rohstoffstrategie Deutschland. Um welche Rohstoffe geht es?

Franziska Brantner sitzt für die Grünen im Bundestag und ist zudem Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. Dort plant sie unter anderem die nicht-energetische Rohstoffstrategie der Bundesregierung.
(Foto: picture alliance/dpa)
Franziska Brantner: Über die energetischen Rohstoffe sprechen wir täglich, das sind Gas, Öl und Kohle. Hinter den nicht-energetischen stehen klassische Metalle und Minerale, die zur Produktion von Computern, Windrädern, Batterien und Handys nötig sind. Bei denen müssen wir schauen, dass wir nicht in ähnliche Abhängigkeiten geraten wie beim Erdgas und dort, wo dies bereits der Fall ist, die Abhängigkeiten verringern. Wir haben ja gesehen, wie teuer uns das zu stehen kommen kann.
Wenn man sich bei der Deutschen Rohstoffagentur umschaut, sind wir in vielen Bereichen bereits zu mehr als 90 Prozent von China abhängig, gerade in der Windkraft und Solarkraft. Wie konnte es denn überhaupt so weit kommen?
Es stimmt, dass wir in einzelnen Bereichen abhängig sind, das ist vor allem die Weiterverarbeitung von Rohstoffen. Wenn man sich die reinen Rohstoffvorkommen anschaut, sieht es gar nicht so schlimm aus. Aber wenn man sich dann Weiterverarbeitung anschaut, findet diese häufig in China statt. Denn die ist sehr energieintensiv, manche würden auch sagen, dreckig. Das hat hohe Auswirkungen auf die Umwelt, den Wasserverbrauch und verursacht viele Emissionen. Außerdem hat man sich in Deutschland in den letzten Jahrzenten bei der Wertschöpfung immer mehr auf höhere Stufen konzentriert: Technologie, Erforschen von neuen Dingen, nicht auf die Weiterverarbeitung. Andererseits wird in China natürlich sehr billig produziert. Das kann in anderen Ländern kaum zum gleichen Preis hergestellt werden. Und drittens hat die chinesische Regierung einfach strategisch klug gesagt: Wir möchten in diesen Bereichen große Marktanteile haben. Es ist ein Mix aus allen drei Aspekten.
In Chile wird das Lithium aus Salzwüsten gewonnen, sogenannten Salaren. Dabei wird lithiumhaltiges Salzwasser aus unterirdischen Seen an die Oberfläche gepumpt, wo es in großen Becken verdunstet. Übrig bleibt eine Salzlösung, die nach weiteren Trocknungs- und Reinigungsvorgängen schließlich als Lithiumcarbonat an Batteriehersteller verschifft werden kann. In einem Smartphone-Akku finden sich wenige Gramm des wertvollen Rohstoffes wieder, in der Batterie eines E-Autos sind es mehrere Kilogramm. Seit 2016 hat sich der weltweite Lithiumabbau deshalb mehr als verdoppelt. Branchenexperten gehen davon aus, dass allein in der Automobilindustrie bis 2030 jedes Jahr mehr als 240.000 Tonnen Lithium gebraucht werden.
Was heißt denn, bei den einzelnen Rohstoffen "sieht es gar nicht so schlimm aus"?
Die Rohstoffvorkommen sind über die ganze Welt verteilt. Die Rohstoffe sind also durchaus in mehreren Ländern vorhanden, sie werden aber nicht überall abgebaut. Und dort, wo sie abgebaut werden, passiert das teilweise durch chinesische Firmen. Und dann ist es tatsächlich häufig so, dass sie in China weiterverarbeitet werden. Bei diesem Schritt der Weiterverarbeitung sind die Abhängigkeiten meist relevanter.
In der Elektro-Autoindustrie wird derzeit viel über Lithium gesprochen. Diesen Bedarf deckt Europa bisher ausschließlich über Importe ab.
Aktuell ist das so.
Könnte sich das ändern? In Europa und Deutschland werden mehrere Möglichkeiten diskutiert, Lithium abzubauen.
Man kann es in Europa an mehreren Stellen abbauen und gewinnen: Man findet Lithium in Gestein und in sehr salzigem Thermalwasser. In Deutschland ist das zum Beispiel im Rheingraben der Fall. Es laufen zwei Pilotprojekte, bei denen man es zur Nutzung von Geothermie hochpumpt und gleichzeitig Lithium extrahiert. Das ist also eine erweitere Nutzung schon existierender Geothermieanlagen. Ich finde es absolut richtig, dass wir prüfen und schauen, ob man das skalieren kann. Das wäre natürlich sinnvoll, wenn wir Geothermie in einigen Bereichen und Städten eh seit Jahren sauber für die Wärmeversorgung nutzen. Noch sind es aber kleinere Testanlagen. Wir sind weit von dem entfernt, was zum Beispiel in Chile gewonnen wird. Der zweite Punkt ist dann die Weiterverarbeitung und die Frage, ob das auch bei uns stattfinden sollte. Es gibt Überlegungen, das wieder in Europa anzusiedeln. Aber das sollte man getrennt betrachten.
Wäre der Abbau von Lithium in Europa sauberer als in Chile oder China zum Beispiel?
Ja. Die Geothermie-Anlagen pumpen das warme Wasser hoch und dann geht es wieder zurück. Das ist nicht schmutzig, sondern ein Prozess, bei dem bisher nur die Wärme genutzt wird. Jetzt versucht man, auch noch das Lithium aus dem Wasser herauszuholen. Das funktioniert in Chile ähnlich, aber dort bleibt das Wasser an der Oberfläche und verdunstet. Dort wird mit großem Interesse verfolgt, was wir in Deutschland machen, um zu gucken, ob man das technisch auch so hinbekommt, dass das Wasser nicht verdunstet und dadurch knapp wird.
Und wie sieht es mit dem Gesteinsabbau aus?
Das ist etwas schwieriger, aber die Australier arbeiten zum Beispiel an modernen Verfahren, bei denen Ressourcen, Wasser und Umwelt geschont werden.
Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
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Bis jetzt sieht es vielversprechend aus. Aber manchmal ist das, was im Kleinen klappt, nicht sofort im großen Maßstab möglich. Wir sind trotzdem zuversichtlich, dass diese Verfahren skaliert werden können, auch wenn ich keine Wissenschaftlerin bin, die sagen kann: Es klappt.
Wann rechnen Sie denn mit ersten Ergebnissen, und was heißt das für Ihre Strategie, genügend Lithium für Deutschland zu beschaffen?
Die Zeitpläne der Pilotprojekte sind ambitioniert. Das eine ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Beim anderen arbeitet eine Universität mit EnBW zusammen, da steht also Baden-Württemberg mit hinten dran. Die planen ein, zwei Jahre für ihre Testungen ein. Aber natürlich würden wir nie genügend Lithium für die gesamte Autoindustrie in Europa erhalten. Deshalb arbeiten wir noch an einem zweiten Punkt: Das Batterie-Recycling muss wesentlich besser werden. Auf der europäischen Ebene läuft das über die Batterie-Verordnung. Die schreibt vor, dass die Recycling-Anteile von Autobatterien erhöht werden müssen, damit das Lithium, das schon bei uns ist, wiederverwendet werden kann. Wir müssen mit Rohstoffen achtsamer umgehen und Batterien so designen, dass sie in ihre Einzelteile zerlegt und die Rohstoffe wiederverwertet werden können. Das nennt man Urban Mining. Das haben wir in anderen Bereichen wie beim Aluminium bereits geschafft.
Aber selbst wenn wir Lithium gut recyceln und sparsam damit umgehen, steigt die Nachfrage ja massiv an - auch bei anderen Rohstoffen. Können wir diese Nachfrage bedienen?
Wenn man einfach von der heutigen Batterie hochskaliert und Menschen weltweit E-Auto fahren, braucht man natürlich sehr viel mehr Lithium. Deswegen ist Recycling so wichtig. Es werden auch schon Substitutionsstoffe erforscht und erprobt für Batterien, die ohne Rohstoffe wie Lithium funktionieren. Das läuft parallel, deswegen ist es nicht ganz so einfach, zu sagen, wir brauchen so und so viel Lithium. Wer weiß, ob man die lithiumbasierte Batterie in ein paar Jahren in diesem Maße noch braucht? In dem Markt passiert gerade unglaublich viel.
Wenn diese Option besteht, ist es dann clever, jetzt in den Lithium-Abbau einzusteigen?
Wir werden Lithium zu einem gewissen Grad auch in anderen Stoffen und Produkten brauchen. Und selbst wenn wir alles Lithium in Deutschland nutzen, wären wir weit davon entfernt, unseren Eigenbedarf zu decken. Deswegen brauchen wir das Urban Mining und die Substitution. Und wenn wir eh Geothermie betreiben, wären wir ja blöd, das Lithium nicht zu nutzen. Das ist einfach ein Zweitprodukt. Von daher halte ich den Einstieg für absolut richtig. Auch, weil es gefährlich wäre, nur auf ein Pferd zu setzen.
Und auf internationale Partnerschaften? Sie waren erst vor Kurzem in Chile, wo große Vorkommen lagern. Wäre Chile ein guter Partner?
Chile hat große Vorkommen in der Atacama-Wüste im Norden, die schon seit Längerem abgebaut werden. Ich fand es sehr interessant, dass die chilenische Seite großes Interesse daran hat, einen Abbau zu ermöglichen, der wasserschonender ist. Das ist die große Problematik: Das Wasser wird aus der Tiefe nach oben gepumpt, verdunstet und fehlt dann im Ökosystem. Das war natürlich schon vorher eine Wüste, und das Wasser ist auch sehr salzhaltig, also kein Trinkwasser. Aber man muss aufpassen, dass man das Ökosystem nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht bringt. Deswegen interessiert sich die chilenische Regierung für wasserschonende Technologien. Das andere ist ein fairer Umgang mit den Indigenen vor Ort. Denn die leben schon seit Jahrtausenden in der Region, wo das abgebaut wird. Deutschland führt dort als Partnerland viele spannende Projekte mit Blick auf grüne Energien durch, die für den Abbau genutzt werden könnten. Wir arbeiten daran, dass auch deutsche Unternehmen zum Zuge kommen und als Technologie-Partner ihr Know-how einbringen können. Das ist aber nicht ganz so einfach, weil andere Länder natürlich ähnliche Interessen haben.
Welche Länder sind die großen Konkurrenten?
Meistens sind das die Chinesen.
Und welche anderen Länder hat Deutschland im Blick, um Lithium zu beschaffen?
Neben europäischen Ländern stehen wir vor allem mit Australien in Kontakt. Auch Chile steht uns besonders nahe.
Das Ziel ist also nicht, autark zu werden und zu sagen: Wir wollen Selbstversorger sein. Sie setzen nach wie vor auf die Globalisierung?
Als Deutschland können wir auf gar keinen Fall autark sein. Das schaffen wir nicht mal als Europa. Ich fände das auch persönlich schlimm. Wir möchten uns der ganzen Welt zuwenden, mit möglichst vielen Ländern im Austausch sein und ihnen einen Platz in der grünen Wertschöpfungskette geben. Damit diese Länder auch die Möglichkeit erhalten, nachhaltig Wohlstand zu generieren.
Wie sehen Sie denn die unmittelbare Gefahr, dass China beginnt, die Weiterverarbeitung von Lithium und anderen Rohstoffen als Druckmittel einzusetzen?
Mir geht es nicht darum, einen Wirtschaftskampf mit China vom Zaun zu brechen, sondern unsere Risiken breiter zu streuen. Das ist erstes Semester BWL: Risiko durch Diversifizierung minimieren. Das klappt nicht von heute auf morgen, aber wir sollten diese Aufgabe jetzt angehen. Da sind natürlich auch die Unternehmen gefordert. Ich bin Staatssekretärin, nicht Rohstoffeinkäuferin. Aber es ist klar, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen müssen, weil die Kosten mittelfristig und langfristig sehr hoch sein könnten.
Wie ist denn der Kontakt zu den Unternehmen? Bekommen Sie Druck aus der Industrie? Wunschlisten?
Wir sind im regelmäßigen und guten Austausch mit der Industrie. Viele Unternehmen haben in den Corona-Jahren gemerkt, was es bedeutet, wenn Lieferketten nicht funktionieren oder, dass Unternehmen, die breiter aufgestellt waren, tendenziell besser durch die Krise gekommen sind. Deswegen wollen wir von Regierungsseite dort unterstützen, wo es nötig ist, um Diversifizierung, Einsparungen, Wiederverwertung und Substitution zu ermöglichen.
Mit Franziska Brantner sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de