CO2 mit Steinen binden? "Das wäre Bergbau so groß wie die Kohleindustrie"
14.10.2022, 15:27 Uhr
Will man vier Milliarden Tonnen CO2 binden, braucht man eine vergleichbare Menge Gestein.
(Foto: picture alliance / Rolf Kosecki)
Das US-amerikanische Klima-Startup Vesta will CO2 aus der Atmosphäre saugen, indem es den natürlichen Verwitterungsprozess von Gestein beschleunigt. Eine verlockende Idee mit prominenten Geldgebern: Unter anderem Google, Facebook, Shopify und Stripe gehören zu einer Klima-Allianz, die im Frühjahr eine Milliarde US-Dollar in Startups wie Vesta investiert hat. Magie? Noch eher Fantasie, sagt Mark Lawrence im "Klima-Labor" von ntv. "Keine dieser Technologien wird einen wesentlichen Beitrag leisten, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen." Dennoch ist der wissenschaftliche Direktor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam dafür, diese und andere Methoden zu erforschen, denn nur so können wir herausfinden, wie wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts tatsächlich große Mengen CO2 aus der Atmosphäre herausziehen können. Aber insbesondere die industrielle Verwitterung hat einen großen Haken: Wir bräuchten eine riesige neue Bergbauindustrie.
ntv.de: Es gibt einige Ideen im Kampf gegen die Klimakrise, die klingen nach Zauberei. Ein Startup zum Beispiel heißt Vesta. Dort will man den Klimawandel rückgängig machen oder umkehren, indem man den Verwitterungsprozess beschleunigt. Was bedeutet das?
Mark Lawrence: Es gibt sehr viele Ideen und Vorschläge, wie CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden könnte. Das ist nichts Neues, das wird seit etwa 30 Jahren erforscht. Soweit wir wissen, gibt es derzeit keine Technik, die einen wesentlichen Beitrag zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens von zwei Grad leisten könnte - sei es die beschleunigte Verwitterung oder etwas anderes. Das ist Fantasie.
Dann haben Sie den Zaubertrick direkt entzaubert.
Ja, aber auch wenn keine dieser Techniken in den nächsten 20 oder 30 Jahren helfen wird, ist es absolut essenziell, dass man sie erforscht. Denn wir werden dieses Wissen brauchen, wenn wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts große Mengen CO2 vernünftig aus der Atmosphäre herausziehen wollen.
Also sollten sich die Unternehmen, die viel Geld in solche Techniken pumpen, mit allzu großen Versprechen zurückhalten? Wäre das Geld kurzfristig sogar an anderer Stelle besser aufgehoben?
Das sehe ich gemischt. Es ist absolut richtig, dass Unternehmen sich einmischen, versuchen, neue Märkte zu entdecken und untersuchen, wie die entsprechende Infrastruktur funktionieren könnte. Es kann aber schädlich sein, wenn Unternehmen Versprechen machen, die sie nicht erfüllen können oder die dem entgegenstehen, was die Forschung über Ressourcen-, Material- und Energiebedarfe weiß oder über Komplexitäten mit anderen Natur- oder Gesellschaftssystemen. Wenn die Menschen immer wieder hören, dass diese Ideen das Pariser Klimaabkommen retten werden, denken sie vielleicht: Warum soll ich auf meinen SUV, meinen Urlaub oder meinen Fleischkonsum verzichten, wenn es diese Technologie gibt?
Vesta schreibt bei sich auf der Homepage, dass man die "Kraft der Ozeane einfangen will, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen". Das ist vermutlich die Art von großen Versprechen, die Sie riskant finden.
Wenn sie es so darstellen, dass sie im nächsten Jahrzehnt eine große Menge CO2 aus der Atmosphäre ziehen werden, finde ich das wirklich riskant. Wenn sie sagen, dass wir Techniken erforschen, damit wir in 30 oder 40 Jahren marktreif wissen, welche Ökosysteme darunter leiden, wie sie mit anderen Marktsektoren wechselwirken und so weiter, dann ist es vernünftig.
Ein Zeitplan wird leider nicht genannt. Das hätte es vermutlich schwieriger gemacht, Investoren zu finden.
Das ist das Problem.
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Können Sie trotzdem einmal erklären, was es mit dieser verlockend klingenden Idee auf sich hat? Es geht um den Verwitterungsprozess, der in der Natur sowieso immer stattfindet und CO2 bindet. Der soll beschleunigt werden. Was bedeutet das?
CO2 wird in der Tat durch Verwitterungsprozesse natürlich aus der Atmosphäre entnommen - in einem Tempo, das etwas unter einem Prozent unserer jährlichen anthropogenen Emissionen entspricht.
Die Natur entfernt durch Verwitterung also jedes Jahr etwa ein Prozent des CO2, das wir in die Atmosphäre pusten?
Ja. Und die Idee ist, diesen Prozess zu beschleunigen. Das ist an sich ein vernünftiger Gedanke, wie CO2 zusätzlich aus der Atmosphäre entfernt werden könnte. Aber um diese Verwitterung zu beschleunigen, muss man Bergbau betreiben, weil man Substanzen wie Olivin gewinnen muss.
Basalt wird auch genannt.
Mit denen reagiert das CO2 aus der Atmosphäre auf natürliche Weise. Diese Substanzen müssen ausgegraben, pulverisiert und über große Flächen verbreitet werden.
Um den Verwitterungsprozess zu beschleunigen, braucht man bröseliges Gestein?

Mark Lawrence promovierte 1996 am Georgia Institute for Technology in den USA. Von 2000 bis 2011 leitete er verschiedene Forschungsgruppen am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Seitdem ist er Direktor des IASS in Potsdam.
(Foto: picture alliance / dpa)
In einem natürlichen Verwitterungsprozess reagiert das CO2 mit den aufnehmenden Oberflächen, sei es Basalt, Olivin oder etwas anderes. Wenn man diesen Prozess beschleunigen will, muss man die Fläche vergrößern, mit der das CO2 reagieren kann: Die Reaktionsgeschwindigkeit ist mit der Fläche verbunden. Je mehr Fläche wir haben, desto mehr CO2 kann darauf stoßen, desto mehr wird aufgenommen. Das kann sowohl an Land als auch in Gewässern passieren. Bei Vesta wird versucht, solche Substanzen ins Wasser einzubringen. Aber wenn man das beschleunigen will, kann man nicht einfach ein paar große Steine dort hinstellen, denn die haben kaum Fläche. Man muss sie erst pulverisieren.
Man könnte also probieren, die Alpen auszuhöhlen, um die Gesteinsoberfläche der Erde zu vergrößern?
Ungefähr so. Aber wenn wir überlegen, wie viel Kohlenstoff mit dieser Technik aus der Atmosphäre entfernt werden müsste, um klimarelevant zu sein: Wir emittieren 40 Milliarden Tonnen pro Jahr. Das sind 1000 Tonnen CO2 pro Sekunde oder als Vergleich: Das wäre ein mit CO2 gefüllter Ballon so groß wie ein Fußballstadion - pro Sekunde!
Eine schöne Veranschaulichung.
Unsere aktuellen Emissionen entsprechen etwa 0,5 Grad Erderwärmung alle 15 Jahre. Wenn wir zehn Prozent unserer aktuellen jährlichen Emission aus der Atmosphäre entnehmen würden, bräuchten wir 150 Jahre, um die Erde wieder um 0,5 Grad abzukühlen. Das wäre für mich die Untergrenze, damit eine Technik "relevant" ist. Und bei diesen 10 Prozent reden wir von vier Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Das wäre eine ungeheure Menge Gestein, die man ausgraben und pulverisieren müsste. Wir reden von einem Bergbau-Vorhaben, das in etwa so groß wäre wie die Kohleindustrie.
Ist das Gestein das zentrale Problem? Könnten wir überhaupt so viel abbauen?
Wir können schon, wir haben ja auch die Kohleindustrie und viel anderen Bergbau. Das Problem ist vor allem die Infrastruktur. Die Kohleindustrie wurde nicht von heute auf morgen aufgebaut. Wenn man ein Abbauprojekt vergleichbarer Größe aufbauen will, reden wir von Jahrzehnten. Und das wäre ein Prozess, der immer wieder getestet und auf seine Umweltauswirkungen geprüft werden müsste. Wir wollen ja nicht Problem A mit Problem B ersetzen und mit dieser Technik riesengroße Flächen Land zerstören oder Gewässer verschmutzen.
Das Gestein müsste vermutlich mit Sprengstoff aus den Alpen oder sonst wo herausgesprengt werden? Ansonsten wäre der Ertrag doch vermutlich viel zu gering.
Ich bin kein Bergbau-Ingenieur, aber bei den Mengen, von denen wir reden, fällt mir keine Alternative ein. In der Chemie gibt die Stöchiometrie das Verhältnis von zwei Stoffen an, die miteinander reagieren. Bei Kohlenstoff, der aus der Atmosphäre entnommen wird, ist das Verhältnis ungefähr eins zu eins. Wenn wir 4 Milliarden Tonnen CO2 binden wollen, bräuchten wir also eine vergleichbare Menge Gestein. Es spricht einiges dafür, diese Technik zu erforschen, weil es sich um einen annähernd natürlichen Prozess handelt, der um das Hundertfache beschleunigt werden soll. Es spricht aber nichts dafür, lautstark zu versprechen, dass diese Technik uns bei der Nettonull helfen wird.
Die Frage wäre auch, ob man diesen neuen Bergbau will. Das ist ja nicht unbedingt die "gesündeste" Industrie für Umwelt und diejenigen, die dort arbeiten.
Daher auch meine Sorge, wenn solche Versprechen gemacht werden. Sicher, es ist durchaus möglich, dass wir unseren Strombedarf zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie decken können. Punkt. Kein Problem. Wir müssen aber akzeptieren, dass Windräder und Solarzellen dann deutlich mehr Fläche abdecken als im Moment.
Also wäre es am Ende vielleicht doch besser, wir würden eine Milliarde US-Dollar in Windräder investieren. Denn eigentlich haben wir ja ausreichend Technologien, von denen wir sehr genau wissen, dass sie helfen und einen sehr großen Beitrag leisten können. Nur fehlt es dort oft massiv an Investitionen.
Das ist der Kernpunkt: Es ist wichtig, dass wir erforschen, wie wir CO2 in Zukunft effektiv aus der Atmosphäre entziehen werden. Denn bei der aktuellen Entwicklung unserer Emissionen landen wir 2080 etwa bei drei Grad Erderwärmung. Dass wir als globale Gesellschaft uns deshalb Techniken wünschen, die das leisten können, ist nachvollziehbar. Aber wir müssen verstehen, welche davon am sinnvollsten sind - wissenschaftlich und wirtschaftlich. Was würde es kosten, eine Tonne CO2 zu entfernen? Welche Auswirkungen hätte das auf die Umwelt? Diese Forschung muss gemacht werden. Aber natürlich haben Sie recht: Jeder Cent, der in diese Forschung geht, fehlt in der Erforschung von effektiveren Solarzellen oder stärkeren Motoren für Windräder. Leider ist das oft in der Wissenschaftsförderung ein Nullsummenspiel.
Mit Mark Lawrence sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de