Ersatz für russische Rohstoffe Scholz und Habeck auf Schatzsuche in Kanada
23.08.2022, 10:45 Uhr (aktualisiert)Kanada ist reich an Bodenschätzen. Für Bundeskanzler Scholz ist der dreitägige Besuch im zweitgrößten Flächenland der Welt deshalb besonders wichtig. Mit Unterstützung von Vizekanzler Habeck will er deswegen die Zusammenarbeit bei der Erschließung von Rohstoffen deutlich ausbauen.
In etwa zwei Dutzend Ländern auf vier Kontinenten hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz seit seiner Vereidigung im Dezember schon vorgestellt. Für kein einziges davon hat er bei seinen Antrittsbesuchen so viel Aufwand betrieben wie jetzt für Kanada. Drei Tage nimmt er sich Zeit für das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt, das aber noch nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie Deutschland. Zum Vergleich: Im deutlich mächtigeren und wirtschaftsstärkeren Nachbarland USA war er im Februar nur halb so lange zum Antrittsbesuch.
Das ist aber noch nicht alles: Scholz hat sich für diese Reise Verstärkung geholt. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen flog am Sonntagabend mit ihm nach Montreal, der ersten von drei Reisestationen. Die beiden waren zuvor erst einmal zusammen unterwegs, im Mai bei einem Nordsee-Gipfel in Dänemark. Außerdem wird Scholz erstmals von einer größeren Wirtschaftsdelegation begleitet, die von Industriepräsident Siegfried Rußwurm angeführt wird und der ein Dutzend Spitzenmanager angehören, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Bayer, Siemens Energy und Uniper. Insgesamt flogen mehr als 80 Passagiere in der Regierungsmaschine mit.
Aber wofür betreiben Scholz und Habeck den ganzen Aufwand? Es gibt wirtschaftliche und politische Gründe dafür: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt Deutschland, sich in seinen Wirtschaftsbeziehungen breiter aufzustellen. Das gilt ganz akut für den Energiebereich, in dem man sich von russischen Gaslieferungen unabhängig machen will. "Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland - mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist", sagte Scholz am Sonntagabend (Ortszeit) nach seiner Ankunft in Montreal. "So eröffnen sich neue Felder der Zusammenarbeit. Insbesondere beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft wollen wir eng kooperieren."
Kanada hat zwar Flüssiggas zu bieten, davon kann Deutschland aber erst mittelfristig profitieren, weil für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Bei der Reise liegt der Fokus deswegen auf der Wasserstoffproduktion. Außerdem hat die deutsche Wirtschaft an kanadischen Mineralien und Metallen Interesse, unter anderem an Kobalt, Nickel, Lithium und Grafit, die für die Batterieproduktion wichtig sind.
Habeck: Deutschland findet genug Flüssiggas auf Weltmarkt
Kanada hat also im Prinzip wirtschaftlich das zu bieten, was Russland auch hat - und das als verlässliche Demokratie. Das ist der zweite Grund, warum Scholz diese Reise so viel bedeutet. Der Kanzler hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Zusammenarbeit der Demokratien zu stärken, um im Systemwettbewerb mit Autokratien wie China und Russland bestehen zu können. Deswegen hat er auch demonstrativ Japan vor dem wirtschaftlich für Deutschland bedeutenderen China besucht - anders als seine Vorgänger.
Zudem zeigt die Reise: Die transatlantischen Beziehungen sind mehr als nur ein guter Draht zu den USA. Auch Kanada ist ein wichtiger Partner in der G7 wirtschaftsstarker Demokratien und in der NATO. Mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau versteht sich Scholz dem Anschein nach jedenfalls schon mal blendend. Der 50-Jährige hat ihn bereits in Berlin besucht, die beiden haben sich auch beim G7-Gipfel in Elmau und beim NATO-Gipfel in Madrid getroffen. Bei dem Besuch wird Trudeau kaum von der Seite des Kanzlers weichen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat der Annahme widersprochen, Deutschland finde nicht genug Flüssiggas auf dem Weltmarkt. Das Problem in Deutschland sei das Fehlen der Infrastruktur, um Flüssiggas (LNG) als Alternative zu russischem Gas einzusetzen, sagte Habeck im ZDF-Interview. Deshalb würden an der deutschen Küste LNG-Anladeterminals gebaut. "Aber für diese gibt es Gas." Die Firmen hätten genug Gas auf dem Weltmarkt eingekauft. "Wo kommt unser Gas her, ist gar nicht die Frage. Sondern wie kommt das Gas ins Land", fügte er hinzu.
Exporte von bis zu 30 Millionen Tonnen Wasserstoff
"Selbstverständlich haben wir immer noch einen sehr kritischen Winter vor der Nase", betonte der Grünen-Politiker zugleich. Volle Gasspeicher schafften zwar mehr Sicherheit, aber Russland könne seine Lieferungen weiter reduzieren. Deshalb bedürfe es einer Kraftanstrengung, 20 Prozent beim Gasverbrauch einzusparen, damit es zu keiner Gaskrise komme. Dabei helfen soll eine Verordnung, die für öffentliche Gebäude und Schaufenster Vorgaben zur Energieeinsparung ab dem 1. September vorsehe. Diese sei "auf den letzten Metern", sagte Habeck.
Scholz betonte, dass Deutschland mit kaum einem anderen Land außerhalb der Europäischen Union so eng und freundschaftlich verbunden sei wie mit Kanada. "Wir teilen nicht nur gemeinsame Werte, sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt", sagte er. In Montreal, wo Trudeau seinen Wahlkreis hat, führt der kanadische Ministerpräsident an diesem Montag seine politischen Gespräche mit Scholz. Am Dienstag geht es weiter in die Wirtschaftsmetropole Toronto und schließlich in das entlegene Stephenville, einen kleinen Ort im nur dünn besiedelten Neufundland.
Von dort wollen Kanzler und Ministerpräsident dann auch etwas Handfestes mit nach Hause nehmen: Ein Abkommen zur Kooperation bei Herstellung und Transport von grünem Wasserstoff, der mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird. Langfristig rechnet Kanada damit, 25 bis 30 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr exportieren zu können. Allerdings müssen auch hier noch Transportkapazitäten geschaffen werden.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 22. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, vmi/dpa/rts