"Ganze Welt wird unversicherbar" Allianz und Co. ziehen Big Oil den Stecker
06.04.2023, 15:46 Uhr Artikel anhören
2017 ließ Hurrikan "Irma" eine Schneise der Verwüstung zurück, hier auf Key West in Florida.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Versicherungen sind der unsichtbare Kleber unserer Welt. Die gesetzliche Krankenversicherung, eine private Haftpflicht oder die Kfz-Versicherung gehören in Deutschland zum Alltag. Konzerne sichern zusätzlich ihre Manager ab, Reeder ihre Öltanker - und Hausbesitzer ihr Eigentum. Aber speziell der Schutz vor Elementarschäden und Naturkatastrophen wird allmählich unbezahlbar: "An der Küste von Florida werden Sie keine private Versicherung mehr abschließen können", sagt Peter Bosshard im "Klima-Labor" von ntv. Allein im vergangenen Jahr habe die Branche Klimaschäden von 120 Milliarden Dollar übernommen. Deswegen unterstützt der Schweizer die "Insure Our Future"-Kampagne, die Versicherungen drängt, der fossilen Industrie den Stecker zu ziehen. "Ohne Versicherung kann man kein Kohlekraftwerk, keine Pipeline und keine Ölplattform bauen", sagt Bosshard. Und dem Druck der europäischen Riesen müssen sich auch amerikanische Versicherer beugen.
ntv.de: Ist die Klimakrise ein Risiko für das Geschäft von Versicherungen oder eröffnet sie neue Geschäftsfelder?
Peter Bosshard: Naturkatastrophen sind ein großes Risiko, denn die Kosten nehmen seit Jahrzehnten massiv zu. Im vergangenen Jahr lag der Schaden weltweit bei 270 Milliarden Dollar. Ein erheblicher Teil davon war versichert: Versicherungen haben Klimaschäden von 120 Milliarden Dollar übernommen - und es nimmt jedes Jahr zu. Wobei "Naturkatastrophen" eigentlich der falsche Begriff ist, weil die meisten ja menschengemacht sind. Aber es gibt schon heute Regionen, die nicht mehr versicherbar sind. Das ist schwierig für die betroffene Bevölkerung, aber auch für die Versicherungen, denn je stärker der Klimawandel zunimmt, umso mehr Teile ihres Marktes brechen weg.
Es gibt Regionen, in denen das Risiko für Naturkatastrophen so groß ist, dass man keine Versicherung mehr abschließen kann?
Am Anfang steigen die Prämien. Daran sind die Versicherungen nicht uninteressiert, denn das sind neue Einnahmequellen. Aber wenn die Risiken zu hoch oder unberechenbar werden, wird es schwierig. In den Hurrikan-Gebieten in Florida oder in den Waldbrandgebieten von Kalifornien können Sie praktisch kein Haus mehr versichern. Zahlreiche Versicherungen und Rückversicherungen haben sich aus diesen Regionen zurückgezogen. Dadurch werden die Prämien irgendwann so hoch, dass sich Familien oder Unternehmen die Versicherung schlicht nicht mehr leisten können. Dann wird eine Region oder ein Geschäftszweig unversicherbar.
Aber in Florida leben ja nach wie vor sehr viele Menschen. Was zahlen die im Jahr, wenn sie sich gegen Naturkatastrophen versichern wollen?
An der Küste von Florida werden Sie keine private Versicherung mehr abschließen können. Diese Lücke muss der Staat schließen, aber das ist eine Minimallösung mit riesigen Defiziten. Da tut sich ein großes Problem auf. Bisher betrifft das nur vereinzelte Regionen, aber es werden immer mehr. Und die Versicherungen wissen: Wenn die Klimakatastrophe ein bestimmtes Ausmaß erreicht, wird irgendwann die ganze Welt unversicherbar.
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Und wenn der Staat für solche Katastrophen auch nicht länger aufkommt, bleiben die Menschen auf dem Schaden sitzen?
Das ist richtig. Das Versicherungsgeschäft beruht auf einer gewissen statistischen Vorhersagbarkeit. Niemand weiß, wo wann welcher Schaden eintritt. Aber wenn Versicherungen eine Million Häuser oder fünf Millionen Autos versichern, wissen sie, dass pro Jahr so und so viele Schäden eintreten. So werden die Prämien berechnet. Wenn die Klimakatastrophe aber immer chaotischer wird und gewisse Schwellen, an denen sich diese Auswirkungen kumulieren, überschritten werden, wird das Geschäft so unberechenbar wie die Corona-Pandemie. Bei der konnte niemand abschätzen, wie groß die Schäden werden würden. Wer soll diese Lücke auffüllen?
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?
Das wäre eine Möglichkeit. Unserer Meinung nach sollten die Versicherungen aber auch bei den großen Ölkonzernen und Kohlefirmen anklopfen und sagen: Ihr habt vom Klimawandel gewusst, ihn aber verleugnet. Jetzt müssen wir euch zur Kasse bitten. So haben das vor einigen Jahrzehnten die Krankenversicherungen bei den Tabakfirmen gemacht.
Haben die Versicherungen schon angeklopft?
Bisher nicht, noch wollen sie mit diesen Kunden Geschäfte treiben. Aber der Druck wird zunehmen, die Prämien werden steigen, einige Regionen werden schlicht nicht mehr versicherbar sein. Dann stellt sich schon die Frage, wer für diese Krise bezahlen soll.
Die US-Regierung hat jüngst das umstrittene Ölbohrprojekt Willow in Alaska genehmigt. Würden Sie das versichern?
Selbstverständlich nicht. Die Munich Re hat vor fast genau 50 Jahren zum ersten Mal vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Versicherungen waren neben der Wissenschaft die ersten Stimmen, die sehr eindringlich vor den Risiken gewarnt haben. Diesen Worten müssen Taten folgen. Wir wissen, dass wir uns keinerlei Ausbau von fossilen Brennstoffen mehr leisten können. Von daher sollten Versicherungen konsequent sein und ihre Geschäftstätigkeit mit der Klimawissenschaft in Einklang bringen.
Wie groß wäre denn der Hebel, wenn Versicherungen tatsächlich sagen, dass sie solche Projekte nicht mehr versichern?
Die Branche hat sehr großen Einfluss. Sie ist eine unabdingbare Stütze jedes Industriezweiges und damit auch der fossilen Brennstoffe. Ohne Versicherung kriegen wir keine Hypothek für ein Haus; ohne Versicherung können wir kein Auto fahren; ohne Versicherung kann man kein neues Kohlekraftwerk, keine Pipeline und keine Ölplattform bauen. Als Umweltorganisation üben wir deshalb Druck auf Versicherungen aus, solchen Projekten die Grundlage zu entziehen. Das hat im Kohlebereich gut funktioniert, neue Projekte sind bereits weitgehend unversicherbar geworden. Dieselbe Haltung müssen Versicherungen auch bei Erdöl und Gas einnehmen.
Weltweit werden keine Kohleprojekte mehr versichert?
Innerhalb Chinas sind solche Projekte nach wie vor möglich, es ist aber nicht so, dass chinesische Versicherungen nach Australien, in die USA oder nach Europa kommen und sagen: Wenn die europäische Konkurrenz das nicht mehr macht, machen wir's! Diese Tendenz hat sich außerhalb von China durchgesetzt, auch in den USA.
Wie stehen die denn zu diesem Wandel? In Ihrem Jahresbericht werden ja vor allem europäische Versicherungen als Vorreiter genannt.
Im Unterschied zum Bankenbereich sind die größten Versicherer in Europa und nicht in den USA ansässig. Von daher ist es durchaus sinnvoll, wenn die Allianz, die Munich Re, die Swiss Re, die französische AXA oder die Hannover Rück eine Vorreiterrolle übernehmen. Ich will aber nicht verschweigen, dass die Unternehmensphilosophie in den USA und auch Asien anders ist. Dort stehen Profite ganz klar an erster Stelle. Bei den Kohleversicherungen konnten wir den Druck aber trotzdem so stark erhöhen, dass amerikanische, aber auch japanische und südkoreanische Versicherer nachgezogen sind.
Aber für das Ölbohrprojekt in Alaska scheint sich ja eine Versicherung gefunden zu haben, sonst würde das ja nicht umgesetzt.
Das ist richtig. Wir haben seit Beginn unserer Kampagne vor sechs Jahren große Fortschritte bei der Kohle gemacht, sehen aber erst jetzt die ersten Schritte im Öl- und Gasbereich. Daran beteiligen sich bisher nur australische und europäische Firmen. Vor allem die Allianz, die Munich Re und die Swiss Re haben sich selbst relativ starke Restriktionen auferlegt. Wir nehmen an, dass die Prämien für solche Projekte dadurch steigen werden. Es wird also teurer, ein Gaskraftwerk zu bauen statt ein Windkraftwerk oder Solarprojekt. Das ist positiv.
Von welchen Summen reden wir denn, wenn Sie sagen, dass es teurer wird?
Im Kohlenbereich sind die Versicherungsprämien neben den Löhnen der größte Kostenfaktor für die Unternehmen geworden. Und das gilt für die bestehenden Projekte. Bei neuen Projekten haben sich die Prämien in den vergangenen sechs Jahren wahrscheinlich verzehnfacht.
Und wie begründen die Versicherungen diese Erhöhungen ganz konkret?
Das ist schlicht Angebot und Nachfrage. Mehr als 40 größere Versicherungen haben gesagt, dass sie das nicht mehr machen. Für Kohlekraftwerke steht deswegen zehnmal weniger Versicherungskapazität zur Verfügung als für andere Kraftwerke. Und die wenigen Versicherungen, die noch einen Schutz für Kohlekraftwerke anbieten, verlangen sehr hohe Prämien.
Die Versicherungen sagen also vorausschauend, dass sie keine Kohlekraftwerke mehr versichern, weil dadurch das Risiko von Naturkatastrophen steigt, wodurch das Versicherungsgeschäft insgesamt zerstört wird?
Es geht um das langfristige Eigeninteresse, aber natürlich ist es auch sehr schlecht fürs Image, wenn man seit 50 Jahren vor den Klimarisiken warnt und gleichzeitig neue Kohlekraftwerke versichert. Das kommt bei Kundinnen und Kunden, aber auch beim eigenen Personal nicht gut an.
Spielen Klima- oder Schadensersatzklagen auch eine Rolle?
Möglich. Solche Klagen würden sich zwar an die Erdöl- oder Kohlefirmen richten, aber die haben sich natürlich mit einer Versicherung abgesichert. Von daher wäre es möglich, dass die Versicherungen zur Kasse gebeten werden. Und wer heute noch ein solches Projekt versichert, muss fast damit rechnen, dass deswegen irgendwann Rechtskosten anfallen.
Also beschneiden Versicherungen lieber gleich ihr Geschäft?
Versicherungen sind sehr wichtig für Kohle- und Erdölunternehmen, umgekehrt stimmt das nicht. Die Branche kommt sehr gut ohne die Prämien von diesen Firmen aus.
Und was sagen die Energieunternehmen? Ein aktuelles Argument ist ja, dass wir weiter neues Öl brauchen. Denn im vergangenen Jahr hat die Welt erlebt, was passiert, wenn ein Teil der Öl- und Gasversorgung plötzlich zusammenbricht.
Es verlangt niemand, dass die bestehende Produktion über Nacht eingestellt wird. Wir sprechen davon, den Ausbau zu stoppen und die bestehende Produktion herunterzufahren. Das wird für einzelne Firmen schmerzhaft werden. Aber Politik und Wirtschaft haben schon zu viel Zeit verschwendet, um eine schmerzlose Abwendung von diesen Energieträgern durchzuführen. Je länger wir warten, umso schmerzhafter wird es.
Mit Peter Bosshard sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
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Quelle: ntv.de