Etikettenschwindel bei ESG-Fonds Wer grün investieren will, ist verloren
13.01.2022, 15:37 Uhr
Auch bei grünen Anlagen muss die Rendite stimmen.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Mehr als 335 Milliarden Euro haben die Deutschen inzwischen in grüne Geldanlagen investiert. Jedes Jahr steigt diese Summe um etwa 25 Prozent, vor allem nachhaltige Fonds sind als Anlage beliebt. Ihr Volumen hat sich in den vergangenen beiden Jahren fast verdoppelt. Oftmals handelt es sich aber um einen Etikettenschwindel, erzählt Magdalena Senn im "Klima-Labor". Die Finanzmarktexpertin von Finanzwende Recherche hat 314 vermeintlich grüne und nachhaltige Fonds untersucht und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Viele ESG-Fonds betreiben "Greenwashing im großen Stil".
ntv.de: Wenn man sich die Ergebnisse Ihrer Untersuchung anguckt, muss man festhalten: Wer grün investieren will, ist hoffnungslos verloren, korrekt?
Magdalena Senn: Das kann man so sagen. Wer grün und nachhaltig investieren will, muss aufpassen, dass er nicht auf Greenwashing reinfällt. Sonst investiert man nachher in Unternehmen, die man selber nicht für nachhaltig hält.
Um welche Fonds geht es denn? Was ist das Problem mit denen?

Magdalena Senn ist studierte Ökonomin und hat unter anderem im Europaparlament die Arbeit von Sven Giegold im Wirtschafts- und Währungsausschuss begleitet.
Wir haben Daten aus einer Fonds-Datenbank ausgewertet und geschaut: Welche davon kann ich in Deutschland kaufen? Welche sagen in ihrer Anlagestrategie, sie wählen nachhaltige Unternehmen aus? Die haben wir genommen und untersucht, wo dieses nachhaltige Kapital angelegt und in welche Unternehmen es investiert wird. Da sind wir schnell draufgekommen, dass das Geld nicht so anders investiert ist als das Kapital von konventionellen Fonds.
ESG ist das bekannteste Label, das es in diesem Bereich gibt. Worum geht es da eigentlich?
Ich würde es nicht "Label" nennen, weil nirgendwo definiert oder festgeschrieben ist, was das bedeutet. ESG steht einfach nur für Environmental, Social und Governance, also für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Das sind die drei großen Faktoren, auf die Fonds gucken, wenn sie in besonders nachhaltige Unternehmen investieren wollen. Wie sie das aber genau machen und wie streng sie dabei sind, ist ihnen selbst überlassen. Deswegen ist die Information "ESG" mit Vorsicht zu genießen. Sie reicht nicht aus, um einzuordnen, ob es wirklich nachhaltig ist oder ob man es mit Greenwashing zu tun hat.
Und das große Problem an dieser Geschichte ist, dass tatsächlich viele Menschen gerne grün investieren wollen und deshalb auch immer mehr Geld in solche Fonds fließt?
Es gibt einen gigantischen Boom, die Nachfrage ist riesig. Allein seit 2020 hat sich das Vermögen von nachhaltigen Fonds verdoppelt. Natürlich muss man sich dann überlegen, ob es überhaupt genug Investitionsmöglichkeiten für diese ganzen nachhaltigen Fonds gibt. Da ist die zentrale Frage: Wie weit ist denn die Realwirtschaft auf dem Pfad der Transformation? Ich denke, das ist der Knackpunkt, weshalb es zu viel Greenwashing kommt. Die Wirtschaft ist einfach noch nicht so weit, dass sie die Nachfrage an sauberen Investments decken kann.
Aber die Menschen wollen dann wahrscheinlich einfach das Beste nehmen, was es unter den gegebenen Umständen zu kriegen gibt.
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Klar. Aber dann sollte man eben trotzdem nur als Grün verkaufen, was das Versprechen halten kann. Wenn die Wirtschaft noch nicht so weit ist, gibt es halt weniger nachhaltige Anlagemöglichkeiten, aber gleichzeitig einen Anreiz für Unternehmen, sich zu verändern, weil die Finanzierungsbedingungen für sie günstiger ausfallen, wenn Menschen bei ihnen nachhaltig anlegen können.
Wo klebt denn überall der grüne Sticker drauf? In einigen Fonds sind Ölunternehmen wie Shell oder Exxon drin - wie kann das sein?
Auf die unterschiedlichen Fonds verteilt, sind alle Ölunternehmen drin - und das auch nicht mit geringem Umfang. Das sind einfach Investment-Ansätze, die nicht besonders streng sind. Wenn ein Fonds ein paar ganz böse Sachen wie Waffen oder Kohlekonzerne ausschließt, lässt er die Tür offen für andere Dinge. Häufig nutzen die Fonds "Best in Class"-Ansätze. Das heißt, sie nehmen sich eine Branche und picken sich das vorbildlichste Unternehmen dieser Branche raus. In der Ölbranche ist es dann immer noch ein Ölunternehmen. Das Problem ist auch, dass die ESG-Bewertungen von verschiedenen Anbietern unterschiedlich ausfallen. Dann ist jeweils ein anderer Ölkonzern der Beste.
Aber Ölunternehmen können ja nichts dafür, dass sie Öl fördern. Das brauchen wir, sonst funktioniert unsere Weltwirtschaft nicht. Ist es nicht verständlich, dass man sagt, wir suchen uns wenigstens das Beste von diesen Ölunternehmen raus und belohnen, dass es sich mit Wind- und Solarkraft als Energieunternehmen neu aufstellen will?
Das mag im Einzelfall stimmen, aber für Anleger ist das nicht transparent. Sie denken, sie investieren nachhaltig, aber stattdessen in einen Ölkonzern. Ich finde, da muss man sich ehrlich machen und entweder sagen, wir investieren nur in Unternehmen, die jetzt schon nachhaltig sind. Oder wir sagen offen, dass wir auch in Unternehmen reingehen, die ein problematisches Geschäftsmodell haben, aber auf dem Pfad der Besserung sind. Und dann muss auch klar gesagt werden, was Besserung eigentlich bedeutet.
Sie kritisieren in Ihrer Studie auch Amazon, aber die wollen gemeinsam mit Rivian elektronische Lieferwagen für die eigene Flotte entwickeln und ab diesem Jahr beim Versand auf Plastikverpackungen verzichten. Um Umweltschutz geht es bei der Kritik also nicht.
Der Nachhaltigkeitsansatz mit ESG ist ja breiter als Klima oder Umwelt. Da soll durchaus Soziales Berücksichtigung finden und in Firmen, die sich sozial besonders gut verhalten, investiert werden. Amazon ist ein Extremfall, weil es sehr viele Vorwürfe gibt, in denen Arbeitnehmerrechte verletzt oder Gewerkschaften unterdrückt wurden. Wir haben das als Beispiel reingenommen, weil in den letzten Jahren wahnsinnig viel Kapital in Amazon geflossen ist. ESG drauf zu schreiben und im großen Stil in Amazon zu investieren, ist also ein gewisser Widerspruch. Natürlich kann man aus CO2-Perspektive sagen, die sind nicht die Schlimmsten. Aber das ist bei ESG zu eindimensional.
Aber wie wird das gewichtet? Gehört ein Ölunternehmen, das ein super Arbeitgeber ist, in einen ESG-Fonds?
Das ist die Crux bei diesen Nachhaltigkeitsratings, weil das alle unterschiedlich bewerten und oft nicht bekannt ist, wie das gewichtet wird. Dann werden mitunter verschiedene Faktoren gegeneinander aufgerechnet und es kann passieren, dass der klimaschädliche Ölkonzern, der nett zu seinen Mitarbeitern ist, gar nicht so schlecht bewertet ist. Genauso wie Amazon, das Arbeitnehmerrecht mit Füßen tritt. Aber das kann ja nicht unser Verständnis von Nachhaltigkeit sein, dass, wenn ich in der einen Dimensionen mies und in der anderen gut bin, ich in Summe so Mittel bin und in einem nachhaltigen Fonds lande.
Als Anlegerin stehe ich aber vor dem Problem, dass ich mein Geld auch irgendwie vermehren will. Wenn ich abwägen muss, was bleibt mir denn übrig?
Klar, wenn man nur auf die Rendite schaut, ist es ein anderes Bild. Wobei man auch sagen muss, dass nachhaltigen Fonds im Schnitt nicht schlechter abschneiden als konventionelle Anlagen. Aber wenn jemand sagt, mir ist Nachhaltigkeit wichtig, sollte das die Hauptbedingung sein. Es gibt bestimmt Menschen, die lieber durch nachhaltigen Konsum und soziales Engagement einen Unterschied machen und bei der Geldanlage einfach eine hübsche Rendite erzielen wollen. Das ist eine individuelle Entscheidung. Uns geht es im Endeffekt darum, dass drauf steht, was drin steckt.
Gibt es denn Fonds, die wirklich alle Ihre Bedingungen erfüllen?
Es gibt Anbieter für nachhaltige Geldanlagen, die sehr streng bei den Auswahlkriterien sind. Da muss man natürlich ein bisschen suchen, um die zu finden, aber manche Anbieter nehmen diesen Ansatz durchaus ernster als andere. Aber natürlich gibt es auch einen großen Graubereich, in dem man auch ein paar ganz schlimme findet. Das ist ein großes Spektrum.
Einer Ihrer Lösungsvorschläge ist, ein einheitliches Label zu kreieren. Aber wir sehen ja bei ESG, dass das Label eigentlich das Problem zu sein scheint. Erst recht, wenn die EU jetzt auch noch Atomkraft unter bestimmten Umständen als grün deklarieren will.
Die Labels, die es schon gibt, sind so transparent, dass ich deren Kriterien nachlesen kann. Schwierig ist die Vielzahl der verschiedenen Ansätze. Der europäische Ansatz, nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren, ist super, weil das eine breite Grundlage schafft. Es ist auch vorgesehen, dass Fonds offenlegen müssen, welcher Anteil damit übereinstimmt, dann sehe ich schnell: Okay, dieser Fonds stimmt zu 40 Prozent mit der Klassifizierung überein, jener nur drei Prozent. Dann weiß ich grob, welcher nachhaltiger ist.
Der Haken ist aber, wie Sie sagen, dass die EU-Kommission auf Druck der Mitgliedstaaten Ausnahmen für Atomkraft und fossiles Gas macht. Dann wird es absurd, weil sie ihre eigenen Standards grün wäscht.
Das scheint sie auch mit der EU-Offenlegungsverordnung zu machen. Danach darf man sich quasi schon "ESG" nennen, wenn man schlicht und einfach offenlegt, in welche Unternehmen man investiert. Wie kann das sein?
Die Idee ist, dass man Greenwashing bekämpft, indem Menschen nachvollziehen können, warum sich dieser Fonds "ESG" nennt und wie er das einhalten will. Wenn das aber im Ergebnis nicht zu besonders nachhaltigen Fonds führt, wirft es zu Recht Fragen auf.
Dann schließt sich der Kreis aber an dem Punkt, an dem wir begonnen haben: Irgendwer entscheidet, was als "grün" oder "nachhaltig" gilt, das greifen die Fondsanbieter dann auf.
Die Finanzindustrie hat die Aufgabe, die Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen zu decken und das so zu tun, dass dabei keine falschen Versprechen gemacht werden, die in die Irre führen. Ich kann durchaus einen Fonds bauen und sagen: Hier sind Unternehmen aus besonders CO2-intensiven Branchen drin, aber die haben erfolgversprechende Modelle, sich zu transformieren. Dann ist es auch okay. Es muss nur ersichtlich werden, was drinsteckt.
Aber wenn der Gesetzgeber diese Möglichkeiten einräumt? Fondsanbieter wollen genauso Geld verdienen wie Anleger. Und wenn die EU sagt, Atomstrom darf jetzt auch grün sein, dann machen sie halt einen nachhaltigen Atomfonds auf.
Sie werden lachen, aber es gab kürzlich die Veröffentlichung von Urgewald und Facing Finance, die eine Datenbank haben, in der man Fonds nach kontroversen Investments durchleuchten kann. Die haben einen Energiefonds gefunden, der tatsächlich genau in solche Bereiche investiert und sich Grün nennt. Das ist doch der Wahnsinn.
Sie haben vorhin gesagt, dass es Anbieter gibt, die sehr streng bei ihren Auswahlkriterien sind. Wenn ich mich dafür interessiere, wo kann ich mich informieren?
Einmal gibt es bestehende Siegel wie das FNG-Siegel. Da kann ich mich informieren, was sind deren Kriterien? Wenn ich das auf einem Fonds finde, habe ich einen Anhaltspunkt. Dann gibt es immer die Möglichkeit, sich selbst schlau zu machen, zum Beispiel mit der erwähnten Datenbank von Facing Finance und Urgewald. Da kann man die Nummer des Fonds eingeben und es werden übersichtlich alle kontroversen Investitionen aufgelistet. Wenn der Wunschfonds nicht drin ist, kann ich in den Jahres- und Halbjahresberichten des Fonds mit sehr viel Kleingedrucktem nachlesen, welche Unternehmen drin sind. Das ist ein bisschen mehr Arbeit, aber transparent sind die.
Und als Leitlinie kann man festhalten, dass man bei ESG skeptisch ist.
Wenn ESG drüber steht, sollte man sich nicht von grünen Versprechen einlullen lassen, sondern eine Ebene weiter schauen.
Mit Magdalena Senn sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de