Wirtschaft

Reformen für den Klimaschutz "Ein Finanzmarkt, der crasht, ist nicht nachhaltig"

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Klimaschädliche Assets wie Anteile an Ölkonzernen könnten über Nacht weitgehend wertlos werden und eine Finanzkrise auslösen.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Als wichtige Stellschraube, um die Wirtschaft klimaneutral umzubauen, gilt der Finanzmarkt. Doch bislang fließen weiter Milliardeninvestitionen in Öl und Kohle, selbst aus angeblichen Nachhaltigkeitsfonds. Warum das nicht nur dem Klima schadet, sondern auch die Finanzstabilität gefährdet, erklärt Expertin Magdalena Senn von der Bürgerbewegung Finanzwende im ntv.de-Interview.

ntv.de: Warum ist das Verhalten des Finanzmarktes und der Akteure dort überhaupt so ein wichtiges Thema für den Klimaschutz? Sollte nicht die Politik die Klimaziele und den Weg dorthin, etwa den Zeitpunkt für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern, festlegen? Warum brauchen wir komplizierte Extra-Regeln für den Finanzmarkt?

Magdalena Senn: Die Politik schafft es ja eben bislang nicht, einen verbindlichen Weg zum Erreichen der Klimaschutzziele festzulegen. Mit Investitionen in fossile Energieträger wie Öl oder sogar Kohle lässt sich weiter viel Geld verdienen. Diese Investitionen haben dann gerne einen Horizont von mehreren Jahrzehnten. Die Projekte legen uns mitunter langfristig auf Öl fest, aber die Zeit haben wir nicht mehr. Und ein solches Agieren schadet nicht nur dem Klima, sondern es führt auch zu Risiken für Banken und andere Investoren. Denn diese Investitionen könnten - etwa durch einen Ausstiegsbeschluss der Regierenden auf dem Weltklimagipfel - über Nacht weitgehend wertlos werden. Die Folge wäre wohl eine neue Finanzkrise. Und auch ohne politisches Handeln könnten Anlagen durch Klimafolgen wertlos werden. Außerdem ist Nachhaltigkeit auf dem Finanzmarkt auch ein Verbraucherschutzthema. Denn Privatanlegern werden unzählige grüne Fonds und andere Anlageprodukte angeboten, die oft nicht halten, was sie versprechen.

Es sollte doch im Interesse von Banken und anderen Finanzinstitutionen sein, solche Risiken korrekt einzupreisen. Warum passiert das nicht?

Mir scheinen da enorme Beharrungskräfte am Werk zu sein. Kurzfristig sind ja auch noch satte Profite mit klimaschädlichen Investitionen zu verdienen. Im Moment sehen wir, dass Investoren wie große Pensionsfonds sich unter öffentlichem Druck bereits aus manchen klimaschädlichen Anlagen zurückziehen. Dann stehen jedoch weniger transparente Investoren wie zum Beispiel Hedgefonds bereit, diese Investitionen fortzuführen. Deshalb brauchen wir Transparenz, um zu wissen, wo die Klimarisiken für die Finanzstabilität liegen und wie sie abgebaut werden können.

Bedeutet das aber nicht auch, dass es kaum möglich ist, mithilfe von Regeln für grünes Investieren et cetera über den Finanzmarkt Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu nehmen?

Mit Klein-Klein kommen wir hier auf jeden Fall nicht weiter. Selbst wenn wir Banken und andere Investoren entsprechend regulieren - etwa, indem endlich Klimarisiken ausreichend abgesichert werden müssen, sodass Banken im Krisenfall nicht mit Steuergeldern gerettet werden müssen - bleiben immer andere Akteure, sogenannte Schattenbanken, die sich solcher Regulierung teils entziehen. Deshalb vertreten wir bei Finanzwende die Position, dass man die Finanzbranche nur mit umfassenden Reformen wirklich nachhaltig aufstellen kann. Das heißt, die extreme Kurzfristigkeit und die Spekulation müssten angegangen werden. Ein Finanzmarkt, der alle zehn Jahre crasht, kann doch nicht nachhaltig sein. Neue grüne Regeln allein reichen da nicht.

Vertreter von Banken und anderen großen Versicherungen betonen zuletzt, dass in den vergangenen Monaten doch vieles in Bewegung gekommen ist, vor allem durch neue Regeln in der EU?

Bewegung ist da, aber eher in Trippelschritten. So kommen wir aber nicht rechtzeitig ins Ziel. Die EU hat als Gesetzgeber zuletzt einiges auf den Weg gebracht. Die EZB hat für kommendes Jahr einen Klimastresstest angekündigt, bei dem sie entsprechende Risiken bewerten wird. Auch die Versicherungsaufsicht erarbeitet dazu Vorschläge für ihre Branche. Wir beobachten ein Umdenken. Investoren verstehen, dass Nachhaltigkeit wichtig ist und dass es sie betrifft. Aber praktisch ändert sich noch nicht viel. Denn mit klimaschädlichen Geschäftsmodellen kann eben immer noch so viel Geld verdient werden, genauso wie mit angeblich nachhaltigen Fonds für Privatanleger, auf denen zwar das Label ESG draufsteht, in denen aber beispielsweise Aktien von Ölkonzernen drin sind.

Worum geht es bei ESG-Anlagen und was ist das Problem daran für Privatanleger?

ESG ist die englische Abkürzung für ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Kriterien bei der Geldanlage. Das Label wird von vielen Fonds verwendet, die bei der Kapitalanlage ESG-Faktoren in irgendeiner Form berücksichtigen. Es gibt jedoch keine einheitlichen Regeln, wie das zu geschehen hat. Manche Anbieter nutzen etwa den sogenannten Best-in-Class-Ansatz. Das bedeutet, dass sie aus verschiedenen Branchen jeweils in das Unternehmen investieren, das unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten am besten abschneidet. Dann landen aber oft sogar Ölfirmen in Nachhaltigkeitsfonds. Andere schließen vielleicht ganz schlimme Klimasünder aus, finden aber etwa die Gasförderung noch akzeptabel. Bei der Fondstochter der Deutschen Bank steht der Vorwurf im Raum, dass allein der Zugang von Fondsmanagern zu ESG-Daten der Unternehmen genügte, damit die Geldanlagen als nachhaltig gewertet wurden. Dabei wurden die Daten anscheinend gar nicht ausgewertet. Sollte sich das alles bewahrheiten, wäre das Greenwashing in Reinform.

Was können Verbraucher tun, die ihr Geld wirklich nachhaltig anlegen möchten?

Sie müssen selbst aktiv werden und das ist bisher leider etwas aufwendig. Es gibt zwar Datenbanken wie "Faire Fonds", in denen man sich gut über nachhaltige Fonds informieren kann. Da es aber bisher keine verbindlichen Standards für nachhaltige Anlagen gibt, bleibt es dem Anleger selbst überlassen, sich mithilfe einer Vielzahl privater Standards und Labels ein Bild zu machen und letztlich bei jedem Produkt genau hinzuschauen.

Hat die EU nicht in diesem Jahr ihre Taxonomie, verbindliche Standards, für ESG-Anlagen verabschiedet?

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Diese sogenannte Taxonomie, in der verbindliche Regeln festgelegt werden, könnte tatsächlich in Zukunft die Basis für Verbraucherlabels und damit Klarheit für Anleger bringen. Bisher steht allerdings nur das Grundgerüst dieser Regeln. Um die Details tobt noch eine wilde Debatte. Deutschland etwa setzt sich bei der EU-Kommission dafür ein, dass auch Energieerzeugung aus Erdgas als nachhaltig qualifiziert wird. Frankreich dagegen pocht vehement darauf, dass Atomenergie eingeschlossen wird. Und zuletzt sah es so aus, dass sich beide durchsetzen. Dabei lehnen einer aktuellen Umfrage zufolge 82 Prozent der Deutschen Kernenergie in nachhaltigen Finanzprodukten ab. Das heißt, die EU-Taxonomie und darauf aufbauende Labels haben möglicherweise von Anfang an ein Glaubwürdigkeitsproblem in Deutschland. Die Bundesregierung muss verhindern, dass es dazu kommt, sonst sind wir kaum einen Schritt weiter.

Mit Magdalena Senn sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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