Leben mit dem Nobelpreis Zur Hausen kaum noch im Labor
06.11.2008, 10:54 UhrSein Büro atmet Bescheidenheit. Maximal 14 Quadratmeter groß, schlichtes Holz. Statt Urkunden der zahlreichen Auszeichnungen hängen selbst gemachte Fotos von Tiersafaris an den Wänden. Akten stapeln sich auf dem Schreibtisch, die Luft ist ein wenig stickig, das Telefon klingelt fast im Sekundentakt. Von der Welt der Wissenschaft ist Harald zur Hausen, frisch gekürter Nobelpreisträger und derzeit wohl bekanntester Krebsforscher der Welt, in diesen Tagen und Wochen meilenweit entfernt. "Grundlegend" habe sich sein Leben seit der Bekanntgabe der renommierten Auszeichnung am 6. Oktober verändert, gesteht der 72-Jährige im Gespräch.
Er trägt keinen weißen Kittel, sondern Zwirn und Fliege, er sieht müde aus, und sein Arbeitsalltag im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg gleicht derzeit einem Staffellauf - Interviews, Preisverleihungen und Telefonate von morgens bis abends, bevor er in etwa einem Monat, am 10. Dezember, den begehrtesten Wissenschaftspreis der Welt erhält. Der Forscher bekommt die Auszeichnung für die Entdeckung, dass Papillomviren Gebärmutterhalskrebs auslösen können.
Brummende Postfächer und heiße Drähte
Rund 100 Gespräche hat zur Hausen in den vergangenen vier Wochen mit Journalisten aus Japan, Schweden, den USA und natürlich aus Deutschland geführt. Immer wieder steht er Rede und Antwort zu Fragen über Papillomviren, über die deutsche Forschungslandschaft, über seine Karriere, über Gott und die Welt. "Gelegentlich ist das etwas ermüdend", sagt zur Hausen, er sei zunehmend gestresst. "Und ich komme nicht mehr ins Labor", bedauert der Vollblutforscher.
Von der Ehrung waren der gebürtige Westfale und sein Heidelberger Team überrascht. "Er stand wohl auf der Liste", erinnert sich DKFZ- Sprecherin Stefanie Seltmann. "Aber es hieß im Vorfeld, in diesem Jahr wird das nichts." Natürlich sei sie jedoch neugierig gewesen, immer wieder habe sie das Internet im Blick gehabt und ständig auf die Taste "aktualisieren" gedrückt. Endlich blitzte der Name des neuen Preisträgers auf - und das Leben von zur Hausen änderte sich schlagartig. "Seitdem ist nichts mehr wie zuvor", erzählt Seltmann. Sie traue sich kaum noch, in ihr Email-Fach zu schauen. "Da finden sich nur noch mit einem roten Ausrufungszeichen gekennzeichnete eilige Mails."
"Für Gespräche mit Prof. Harald zur Hausen bitte im Sekretariat melden", steht auf einem Schild an der Tür seines Büros im Erdgeschoss des Gebäudes für angewandte Tumorvirologie, das künftig den Namen "Harald zur Hausen Laboratorium" tragen wird. Eifrig versuchen zwei Sekretärinnen die Flut von Briefen und Anfragen zu bewältigen. "Aber sie kommen nicht mehr nach - obwohl sie sehr tüchtig sind", sagt zur Hausen, während in seinem Sekretariat ein italienischer Rundfunksender um ein Interview anfragt.
Sehnsucht nach Normalität
Mitunter wundere er sich schon sehr, zu welchen Themen er plötzlich Stellung beziehen solle, meint der Virologe. "Es ist wirklich erstaunlich, dass man von anderen fast als ein anderer Mensch gesehen wird, als man es vorher war", sagt zur Hausen mit hörbarem Unwillen. Ein Nobelpreisträger sei aber nicht allwissend, er lehne es deshalb ab, sich zu jedem Thema zu äußern. "Ich lege großen Wert darauf, mein Leben sobald wie möglich wieder normal führen zu können", sagt er.
Eines wird sich aber wohl in jedem Fall ändern: die tägliche Fahrt zwischen seinem Heimatort Wald-Michelbach in Hessen und dem Büro in Heidelberg. Das Pendeln zwischen Odenwald und Neckarufer kostet den Mediziner täglich rund zwei Stunden. Das werde zunehmend anstrengend - wenngleich die Zeit auf der Straße auch nicht immer ganz nutzlos ist. Denn hinter dem Steuer hatte zur Hausen in den vergangenen Jahren auch immer wieder die eine oder andere gute Idee zu seiner Forschung.
Dennoch: War ein Umzug nach Heidelberg für seine Frau, die DKFZ-Wissenschaftlerin Ethel-Michele de Villiers, und ihn wegen der Immobilienpreise früher undenkbar, so spielt das Paar nun mit dem Gedanken, die Koffer zu packen. Vielleicht investieren sie dabei ein wenig von dem Preisgeld von umgerechnet rund einer halben Million Euro, verrät zur Hausen. "Man wird auch nicht jünger bei der Fahrerei." Und es huscht ihm ein Lächeln über sein Gesicht.
Marion van der Kraats und Martin Oversohl, dpa
Quelle: ntv.de