David Bowies Leben als Comic Vom Drogensumpf in die Freiheit West-Berlins


David Bowie an der Mauer - ausgerechnet in West-Berlin fand er Freiheit.
(Foto: Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024)
Mit Drogen vollgepumpt, nicht mehr Herr seiner selbst. Mitte der 70er-Jahre ist David Bowie ein Wrack. Doch er macht eine Entziehungskur und zieht nach West-Berlin. Hier findet er zu sich selbst und neue Inspiration. Reinhard Kleist macht daraus einen Comic.
Vor fast 50 Jahren lebte David Bowie in Berlin. Die Stadt liebt ihre Mythen und die Musikikone nimmt dabei immer noch einen besonderen Platz ein. Ausgerechnet im eingemauerten West-Berlin suchte Bowie Mitte der 70er-Jahre nach Freiheit. Er hatte so drogenberauschte wie kräftezehrende Jahre als Ziggy Stardust, Halloween Jack oder Thin White Duke hinter sich, die mit Paranoia und Depression, Okkultismus und Nazi-Fetisch endeten.

Bowie besichtigt das Hansa-Studio, das direkt an der Mauer liegt.
(Foto: Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024)
Im Westen Berlins, im Schatten der Mauer, findet Bowie nach all den Alter Egos wieder zu sich selbst. Hier kann er sich einigermaßen unerkannt bewegen, hier bekommt er nach den Drogenexzessen in Los Angeles wieder Boden unter den Füßen - und findet neue Inspirationen, neue Klänge und einen neuen Stil.
"Low" heißt Bowies erstes Album der sogenannten Berlin-Trilogie. Diesen Namen leiht sich Comiczeichner Reinhard Kleist für den zweiten und letzten Teil seiner Bowie-Biografie: "Low. David Bowie's Berlin Years", erschienen bei Carlsen, schließt an "Starman. David Bowie's Ziggy Stardust Years" an.
Es beginnt mit der Wohnungssuche, ein leidiges Thema in Berlin. Von 1976 bis 1978 wohnt der Weltstar in Schöneberg in einer Sieben-Zimmer-Wohnung an der Hauptstraße. Zeitweiliger Mitbewohner: Punk-Legende Iggy Pop. Noch wichtiger fast ist aber der erste Besuch in den Hansa-Studios, die direkt an der Mauer liegen, im damaligen Niemandsland. Im dortigen Meistersaal wird Musikgeschichte geschrieben.

In Rückblicken wird Bowies Zeit in den USA gezeigt - und die Dreharbeiten zu "Der Mann, der vom Himmel fiel".
(Foto: Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024)
Was hat er mit Iggy Pop in Ost-Berlin gemacht?
Doch in den Mittelpunkt stellt Zeichner Kleist etwas anderes: Bowies Auseinandersetzung mit Berlin und seiner kulturellen Geschichte. Zu Fuß und per Fahrrad durchstreift der Brite die geteilte Stadt, erkundet Museen und das Nachtleben. Er setzt sich mit dem deutschen Expressionismus auseinander, mit dem Berlin der 1920er-Jahre, mit "Cabaret"-Autor Christopher Isherwood und Bertolt Brecht. Und deutschen Krautrock- und Elektro-Bands wie Kraftwerk, Neu! und Tangerine Dream.
Anekdotisch flicht Kleist Details aus Bowies Berlin-Zeit ein. Welche Fahrradmarke ist er gefahren? Welche Gemälde haben ihn inspiriert? Wo hat er seine Platten gekauft? Was hat er mit Iggy Pop in Ost-Berlin gemacht? Und mit welchen Leuten nahm er seine Musik auf und zog um die Häuser? Teils sind es nur kleine Anspielungen, teils ist es das Kaleidoskop einer vergangenen Epoche der Stadt, eines untergegangenen Milieus.

Mit Iggy Pop nahm Bowie in Berlin dessen Alben "The Idiot" und "Lust for Life" auf - und spielte für ihn Klavier.
(Foto: Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024)
Auf einer tieferen Ebene versucht Kleist, sich der Persönlichkeit Bowies zu nähern. Es ist eine kaum zu lösende Aufgabe, gerade in der ungemein produktiven Schaffensphase der 70er Jahre. Zum besseren Verständnis wird in zwei langen Rückblenden Bowies Zeit in den USA dargestellt: die Zusammenarbeit mit John Lennon, die Entstehung von Alben wie "Diamond Dogs" und "Young Americans" sowie der Dreh zum Film "Der Mann, der vom Himmel fiel", in dem Bowie die Hauptrolle spielt. Hinzu kommen private Auseinandersetzungen und der Bruch mit seinem Manager und alten Partnern. Das alles zerrt an Bowie und Drogen sind auch keine Hilfe.
Das stellt Kleist so detailversessen dar, dass es mitunter schwer ist, den Zusammenhängen zu folgen. Gleichzeitig wird so jedoch die Bedeutung der Berlin-Jahre für Bowie hervorgehoben. Hier entkam er dem totalen Absturz. "Berlin hat mich verändert, es hat mich geerdet", sagt er am Ende, als er schon wieder Abschied nimmt und zu neuen Ufern aufbricht.

Mit grafischen Mitteln versucht Kleist, die Musik darzustellen, hier den Song "Heroes".
(Foto: Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2024)
Treffen mit den Alter Egos
Zeichnerisch bleibt Kleist auf seinem gewohnt hohen Niveau. Das ist routiniert, gerade in der Darstellung der Drogen-Jahre aber zu zaghaft. Ins Auge sticht dagegen die Kolorierung. Die Rückblenden sind monochrom gehalten, es gibt nur wenige Akzente. Bowies brüchiger mentaler Zustand spiegelt sich hier in kleinteiliger Seitenstruktur oder in wie Glas zersprungenen Bildern. Die Berliner Zeit dagegen ist vielfarbig, wenn auch zurückhaltend koloriert - vergleichsweise bodenständig, wie Bowies Leben. Immer wieder setzt aber Kleist - wie auf dem Cover - markante Rottöne ein.
Erst zum Ende des Bandes spielt Kleist verstärkt mit grafischen Mitteln. Etwa wenn er Melodien als Bänder darstellt, die sich durch den Raum winden, aneinanderschmiegen und immer wieder neue Richtungen einschlagen - hier spürt man die experimentelle Rockmusik, die Alben wie "Low" und "Heroes" prägt. Gegen Ende schließlich wird auch der Vorhang der Realität durchbrochen. In einer traumhaften Sequenz bebildert Kleist die Darbietung von "Heroes", dem Welthit aus Berlin.
Schließlich endet der Comic mit der stärksten Erzählung der beiden Bände: Da besteigt Bowie sein Raumschiff aus "Major Tom" und verlässt Berlin. Rückblick und Ausblick, Vergangenheit und Zukunft treffen sich in einem Raum, der Stanley Kubricks Film "2001" nachempfunden ist. Hier trifft der Sänger seine Alter Egos wieder, reflektiert seine verschiedenen Persönlichkeiten und findet darin seinen Frieden - ein gelungener Abschluss für Kleists Bowie-Bände. Der Sänger trifft hier auch den Propheten, in dessen Rolle er für sein letztes Album "Blackstar" schlüpft. Es ist seine letzte Inkarnation. Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung, am 10. Januar 2016, stirbt Bowie.
Quelle: ntv.de