
Die Erde ist nicht genug für Ziggy Stardust.
(Foto: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021)
Aus dem tristen Bromley vor den Toren Londons in den Rockolymp. Es war ein steiniger Weg der Befreiung und Selbstfindung, ehe David Bowie vor 50 Jahren als Ziggy Stardust den großen Durchbruch erlebte. Reinhard Kleist hat diese exzentrische Phase als Comic nachgezeichnet.
1972, vor 50 Jahren, erblickte er das Licht der Rockwelt. Schnell sammelte er eine große Fangemeinde um sich, feierte ausschweifende Partys, predigte Liebe und Frieden, wurde als Messias gehuldigt - und starb nur wenig später, im Juli 1973, völlig überraschend den Bühnentod. Die Rede ist von Ziggy Stardust, jener Kunstfigur, für die ihr Schöpfer David Bowie bis heute berühmt ist.

Letzte Grenzen durchbrechen, so wie Major Tom.
(Foto: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021)
Als vor fünf Jahrzehnten das Album "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" erschien, begann für Bowie der Aufstieg zum Ruhm. Die Musik, aber mehr noch die dazugehörige Tour mit ihrer extravaganten Bühnenshow und Kostümen, mit Bowies androgynem Auftreten, seinen roten Haaren und Schminke, seinem homoerotischen Spiel, öffnete vielen Fans die Türen zu einer neuen Welt.
In seinem Comic "Starman" (Carlsen Verlag) findet der vielfach preisgekrönte Zeichner Reinhard Kleist dafür eine passende bildliche Entsprechung: Da explodiert in einer grauen Vorstadt mit immergleichen Reihenhäusern geradezu die Farbe aus dem Radio. Der Erlöser Ziggy Stardust erscheint und berührt den jungen Hörer, für den die Welt nie mehr dieselbe sein wird.
"Rolemodel für einen Teenager wie mich"

Bowies Halbbruder Terry führt ihn in die Szene der Jazz-Clubs ein.
(Foto: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021)
Jener junge Hörer, das könnte Bowie sein, der im tristen Bromley bei London aufwächst und durch die Musik - Rock'n'Roll und Jazz - seine Befreiung erlebt. Oder es ist Kleist selbst. "Bowie war Rolemodel für einen Teenager wie mich, der in einem Dorf im Rheinland aufwächst und merkt, dass er anders ist als die anderen", sagt der in Berlin lebende Künstler. Und weil Bowie eben auch anders war, habe er sich prompt in ihn verschossen.
Diese Befreiung aus dem muffigen Elternhaus, die Überwindung innerer und äußerer Grenzen ist ein roter Faden in Kleists Graphic Novel über Bowie. Sei es der junge David Robert Jones aus Bromley, dem sein Bruder den Jazz nahebringt. Sei es der Musiker David Bowie, der seine musikalische Sprache und künstlerische Ausdrucksform findet, sei es Major Tom, der die letzte Verbindung zur Erde kappt und ins Weltall entschwindet - "Space Oddity" war Bowies erster großer Hit.

Die umjubelte Figur Ziggy Stardust wird für Bowie bald zur Bürde.
(Foto: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021)
Der Comic nähert sich Bowie auf diesen drei Ebenen: Da ist die Biografie, die Kleist grafisch eher zurückhaltend erzählt - meist in klar abgegrenzten Bildern und gedeckten Farben, in Braun oder hellem Rosa und Blau. Auffallend ist der erzählerische wie grafische Detailreichtum, in dem auch auf nebensächliche Aspekte aus Bowies Leben angespielt wird, auf seine vielen Einflüsse und Begegnungen. Vor allem sein Verhältnis zum an Schizophrenie leidenden Halbbruder Terry nimmt viel Raum ein, zeigt aber eben auch einen eher unbekannten Aspekt in Bowies Biografie auf. Sehr deutlich wird hier Kleists Leidenschaft für Bowie, sein Fantum, das diesen Comic zum Herzensprojekt werden lässt. Gleichzeitig wirken diese Passagen teils überfrachtet, gibt es immer wieder Handlungssprünge, weil so viele Aspekte zur Sprache kommen sollen, aber eben nur angekratzt werden.
Bis Künstler und Kunstfigur verschmelzen
Im Kontrast dazu wird Bowies Erfindung und Entwicklung der Figur Ziggy Stardust erzählt, mithin sein Aufstieg zum gefeierten Rockstar: mit einer gelockerten Panel-Struktur, vor allem aber in knalligen Farben - Unterstützung erhielt Kleist hier von Thomas Gilke. Wie anders sollte man auch erzählen von jenen Jahren, in denen Bowie zur Ikone des Glam Rock wird und zum Idol nicht nur der Schwulenszene, in denen er das Musikerleben bis zum Exzess auslebt und sich Künstler und Kunstfigur schließlich immer mehr annähern.

Bowie mit seiner Band, den Spiders from Mars.
(Foto: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021)
Hier kommt die dritte Ebene ins Spiel: Passagen, in denen die Kunstfigur selbst zum Protagonisten wird, in denen Zeichner Kleist die Musik zu Papier zu bringen versucht - mit ganzseitigen Bildern, begleitet von den Liedtexten. David Bowie und Ziggy Stardust verschmelzen und der Comic erlebt seinen dramatischen Höhepunkt.
Wer David Bowies Musik schätzt und mehr über sein Leben und Denken erfahren will, wird mit "Starman" sehr gut bedient. Das liegt nicht nur an Kleists dynamischem Strich, der die typischen Ziggy-Posen gekonnt umsetzt, sondern vor allem an der akribischen Recherche. Hier spielt Kleist seine Erfahrung mit Biografien aus - er hat bereits Werke über Johnny Cash, Fidel Castro oder Nick Cave vorgelegt. Den psychedelischen, ja spacigen Aspekt der Ziggy-Stardust-Phase sowie Bowies Exzesse dieser Zeit hat dagegen der bereits 2020 bei Cross Cult erschienene Comic "Bowie - Sternenstaub, Strahlenkanone und Tagträume" von Mike und Laura Allred sowie Steve Horten besser verarbeitet - als knallbunte, zeichnerisch aber etwas zu steif geratene Collage der 70er-Jahre.
"Starman" erscheint bei Carlsen als reguläre und als Deluxe-Ausgabe mit signiertem Druck, jeweils 176 Seiten im Hardcover. Die Fortsetzung "Low" über Bowies Berliner Jahre ist bereits in Arbeit.
Quelle: ntv.de