"Sie war so viel mehr" Max Mutzke will was klarstellen und schreibt ein Buch
26.10.2024, 18:40 Uhr Artikel anhören
Hat seine Mutter beim Schreiben neu entdeckt und die Sache mit der Polizei endlich verarbeitet: Max Mutzke.
(Foto: Gaby Gerster)
Max Mutzke ist ein glücklicher Familienvater, muss aber in die Abstellkammer zum Zoom-Interview, denn da ist es am ruhigsten. Er darf - mit ihrer Einwilligung - über seine ehemalige Lebensgefährtin sprechen und schreiben, weil sie inzwischen seine beste Freundin ist, über seine aktuelle Lebensgefährtin aber nicht, das hat Gründe. Außerdem ist er mit Barbara Schöneberger befreundet - vereinzelt kommt er sogar zu Wort. Wenn Sie ein Buch lesen wollen mit Wortwitz und voller Anekdoten, vor allem aber darüber, wie Mutzke sich seiner verstorbenen, alkoholabhängigen Mutter durch den Prozess des Schreibens und Redens mit seiner Familie wieder angenähert hat, wie man verzeiht und wie man ein deutscher Star sein kann, der nahbar ist aber nicht alles ausposaunt - dann dieses. Es geht übrigens nicht nur um Frauen. Und es geht auch nicht nur um seine Musik. Mit ntv.de spricht Max Mutzke über seine Autobiografie, die der Künstler selbst lieber "Anekdoten-Sammlung" nennt - eine wirklich gute Idee.
ntv.de: Du bist Anfang 40 - jetzt schon eine Autobiografie, hab' ich mich gefragt, warum denn das?
Max Mutzke: Die Entwicklung des Buches war für mich ein Auf und Ab. Mein Lebensmotto ist eigentlich "Im Zweifel einfach mal machen". Nicht erst dann, wenn man sich hundertprozentig sicher ist, sondern auch gern schon dann, wenn alles im Prozess ist und noch nicht so ganz ausgereift. Ich will wissen, ob das auch zu meinen Kompetenzen gehört, das Schreiben …
Ich darf mal kurz unterbrechen und sagen, ja.
(lacht) Danke. Dieses Herantasten an etwas Neues habe ich mit dem Kinderbuch schon ausprobiert - so kam ich auch zu der Sendung "Lebenslieder" oder zu "The Masked Singer" – alles Dinge, die ich nie gemacht hätte, wenn ich mich nicht einfach darauf eingelassen hätte. Ohne wirklich zu wissen, wie das wird. Aber wenn ich was mache, dann mit Vollgas, so halb geht bei mir nicht. Bei dem Buch war es jetzt so, dass andere das gern wollten, von mir was diese Idee nicht (lacht).
Andere wollten, dass du die Geschichten aufschreibst, die bis jetzt dein Leben geprägt haben …
Ja, genau, und als Biografie im klassischen Sinne würde ich das auch nicht sehen, es ist eher ein Anekdoten-Buch. Denn eigentlich war die Idee, dass die super tolle Autorin Kira Brück, mit der ich befreundet bin, meine Geschichten aufschreibt. Zu der Zeit wurde ich gerade wieder Vater, ich ging auf Tour, ich hatte eigentlich überhaupt keine Zeit. Aber es stellte sich dann doch heraus, dass es authentischer ist, wenn ich das selbst mache.
Warum?
Ein Beispiel: Ich werde oft gefragt, wie ich es geschafft habe, so bodenständig zu bleiben, nicht abzuheben. Dann sag' ich, na weil ich noch Abi gemacht habe damals, als der Erfolg mit der Stefan Raab-Geschichte über mich hereinbrach, weil ich im Schwarzwald geblieben bin und weil ich dann recht schnell eine Familie gegründet habe. Meine Leute haben mich zwar gefeiert, aber die haben mich jetzt nicht abheben lassen, die kennen mich ja schon immer. Und wenn jemand anderes nun über mich schreibt: "Warum Max Mutzke nie abheben konnte", dann klingt das für mich total falsch, weil es implizieren könnte, dass ich das gern getan hätte, und nur nicht konnte aus diversen Gründen. Das kann also nicht die Überschrift eines Kapitels sein, weil ich mich da nicht wiederfinde, und deswegen musste ich es dann doch selbst schreiben.
Klingt nach Arbeit ...
Allerdings. Ich bin jeden Morgen zwischen 5.30 Uhr und 6.30 Uhr aufgestanden und habe jeden einzelnen Satz selbst geschrieben.
Und mit dem Ergebnis bist du happy …
Ja! Ich habe morgens, wenn die Familie noch schlief, geschrieben, wenn ich backstage war, abends, während des Soundchecks, eigentlich bei jeder Gelegenheit. Ich hatte eine Abgabefrist, und die habe ich eingehalten (lacht). 10.000 Zeichen am Tag, wenn ich fünf Tage die Woche schreibe und 8000, wenn ich sieben Tage die Woche schreibe.
Wie hast du es geschafft, so persönlich zu werden, und den üblichen Klatsch und Tratsch rauszuhalten? Alle wollen schließlich wissen, wie es bei euch zu Hause zugeht, mit deiner Partnerin, mit den Kindern …
Mein Credo war und ist, das Privatleben privat zu halten. Dass du mein Buch trotzdem persönlich findest, freut mich, es war aber auch ein Ritt auf der Rasierklinge. Es ist, wie gesagt, ein Anekdoten-Buch, das heißt für mich, dass ich einzelne Storys aus meinem Leben preisgebe, aber nicht biografisch lückenlos Ross und Reiter nenne.
Ist es vielleicht einfacher, über die Vergangenheit zu schreiben, denn die Geschichten über deine Kindheit, deinen Großvater, hauptsächlich über deine Mutter, über die du zum ersten Mal überhaupt so offen sprichst, gehen richtig in die Tiefe …
Ich wollte den Fokus anfangs fast noch mehr auf meine Mutter lenken. Ich bin ja Schirmherr bei NACOA e.V., die die Interessen von Kindern aus Suchtfamilien vertreten, und ich kenn' mich aus, weil ich aus einer suchtbelasteten Familie komme. Ich habe das große Glück, dass es "nur" meine Mutter betraf und nicht auch noch meinen Vater, was nicht ungewöhnlich ist, dass beide Elternteile abhängig sind. Aber unsere Familie hatte diesen stabilen Anker in Form meines Vaters, und auf ihre Art war meine Mutter das auch, trotz allem. Für mich war das jetzt eine optimale Entwicklung während des Schreibens, weil ich mit meinem Vater über vieles geredet habe. Er hat mich oft gefragt: "Wirklich, das hast du echt so empfunden?", und ich: "Ja, so war das damals", und er hat dann gesagt, dass er das ganz anders in Erinnerung oder empfunden hat. Ich musste feststellen, dass meine Sicht auf meine Mutter total negativ war. Beim Schreiben hat sich das zum Glück geändert.
Haben deine Geschwister denn ein Wörtchen mitreden dürfen, es ist ja auch ihre Geschichte, ihre Kindheit …
Oh ja, die waren natürlich erst einmal skeptisch und haben gesagt, nein, das kannst du nicht machen. Bloß weil du der Einzige von uns bist, der sich in der Öffentlichkeit dazu positionieren kann. Sie wollten nicht von anderen darauf angesprochen werden, was für eine krasse Kindheit wir hatten, oder vielleicht mitleidig angeschaut werden. Ohne das Go meiner Geschwister hätte ich das nie geschrieben, meine Familie ist mir wichtiger als alles andere. Wir haben also Videokonferenzen abgehalten und uns darauf geeinigt, dass die Mama nur in einem Kapitel vorkommt.
Das hat es aber in sich …
Ja, denn sie war schließlich so viel mehr als eine Suchtkranke. Sie war sehr lange auch eine wunderbare Mutter, eine lustige, aufgedrehte, obszöne (lacht) Frau. Viel länger übrigens, als sie diese innerlich und äußerlich zerfallene Frau war, an die ich mich anscheinend lange als Letztes erinnert habe. Diese Gespräche mit meiner Familie haben für mich die Relationen noch einmal zurechtgerückt. Mein Privileg war nämlich, mit einer Mutter aufzuwachsen, die absurd lustig und ein offener, kreativer Geist war. Ich habe meine Mutter also neu entdeckt: Rückwärts, von ihrer schlimmsten Variante, die ich eben als Letztes gesehen habe, bis zu der tollen, jungen Frau, die sie mal war. Das war spannend. Ich konnte meine Mutter für mich wieder rehabilitieren. Allein das ist so wertvoll für mich, dass ich sehr dankbar bin, mich auf dieses Buch eingelassen zu haben.
Du hast deine Mutter nicht nur "rehabilitiert", sondern ihr auch ein Denkmal gesetzt – für deine Geschwister und vor allem auch für alle eure Kinder, die diese Oma nicht mehr kennenlernen konnten. Es wird total klar, dass man jemanden lieben kann, auch wenn die Person nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte.
Danke, dass du das sagst, ich hatte nämlich meine Zweifel beim Schreiben, wen das überhaupt interessieren sollte, so persönliche Geschichten. Ich dachte wirklich oft: "Ist das nicht wahnsinnig vermessen von mir zu denken, dass Leute das gut finden könnten, was ich da aufschreibe? Wer soll das denn lesen?" Denn, ganz ehrlich - in jedem Satz, den man über sich selbst schreibt, ist ein Mir, ein Mich, ein Mein, ein Ich drin, und das wirkt zunächst supernarzisstisch. Wie egoistisch ist das denn? Ich konnte das echt selbst nicht mehr lesen, was ich da verzapft habe. Aber jetzt bin ich froh, dass ich es gemacht habe. Mein Verlag hatte immer großes Verständnis, wenn ich gehadert habe.
Es gibt ja sehr viele gute Gründe für eine Autobiografie – oder in deinem Fall Anekdoten-Sammlung - wenn sie gut geschrieben ist: Dass die Menschen sich mit der Story eines anderen identifizieren können, dass sie etwas lernen, dass sie lachen oder weinen …
Eine ganz große Motivation für mich war übrigens, dass ich mal was klarstellen wollte - die Diskrepanz zwischen meinem Image und meinem wahren Ich (lacht). Wenn mein Umfeld, vor allem am Anfang, die Storys über mich gelesen hat, die damals geschrieben wurden, dann sind die fast immer erstickt vor Lachen. Meine Mitschüler, Lehrer, Freunde, die Band, aber vor allem meine Familie. Und auch die Nazu, meine damalige Lebensgefährtin. Dieses öffentliche Bild von mir war absurd. Dabei war ich doch der Typ mit dem nicht diagnostizierten ADHS (lacht) und ich bin überzeugt davon, dass ich das auch jetzt noch genießen darf, das spüre ich doch in mir.
Und wir erfahren, dass du gerne Steuern zahlst …
… ja, als Wiedergutmachung für die ganzen Polizeieinsätze, die ich als sehr junger Mensch ausgelöst habe. Die Kira hat mir davon abgeraten, jeden Polizeieinsatz aufzuschreiben, weil sie dachte, die Leute werden mich für vollkommen gestört halten. Aber ich fand, die Leser sollen das checken, dass ich eben nicht dieser intellektuelle, selbst-reflektierte und ausgeglichene Junge war, für den mich viele anfangs gehalten haben, bloß weil ich mit geschlossenen Augen gesungen habe (lacht). Also ein Kapitel ging nur über das, was ich alles verbockt habe. Das haben wir dann wieder rausgenommen. Aber ich hab' es jetzt für mich in der Schublade, und das fühlt sich gut an.
Eine Art Therapie vielleicht. Du schreibst über dein Vatersein, vor allem aber über dein Kindsein. Deine Kindheit war, in meinen Augen, sehr bunt, sehr frei, oft lustig, aber auch anstrengend. Wir sind viel freier aufgewachsen, weniger Regeln, mehr Freiheiten, Neugier – heute würden wir unseren Kindern einiges verbieten von dem, was wir früher gemacht haben, einfach, weil die Welt sich schneller dreht und anders, gefährlicher, geworden ist. Wie handhabst du das?
Das ist ein ewiger Spagat, da hast du recht. Ich habe das große Privileg, dass ich immer wieder in mein Heimatdorf im Schwarzwald, zurückkehren kann, weil zwei Brüder da leben, und dann nehm' ich die Kinder mit. Da steht ein Nussbaum, ein richtig hoher, so 17 Meter, darin bin ich als kleiner Junge wie ein Affe geklettert, ganz nach oben. Wenn ich runtergefallen wäre, wäre ich mindestens querschnittsgelähmt gewesen. Oder wir sind Strommasten hochgeklettert. Also vollkommen undenkbar, dass ich so etwas meinen Kindern gestatten würde.
Hat diese Vorsicht auch damit zu tun, dass wir inzwischen viel aufgeklärter sind, dass wir ständig mit Infos und Nachrichten zugeballert werden, vor allem schlechten Nachrichten …
Auf jeden Fall. Man hat ja so viele Bilder visualisiert, dass man nicht mehr lockerlassen kann. Ich habe meine Kinder neulich gefragt, ob sie mich beneiden, dass ich ohne Handy aufgewachsen bin, und alle haben gesagt "Total, Papa, total". Bei den Jüngeren habe ich gerade noch herausgezögert, wann sie ein Handy bekommen (lacht).
Dafür gehst du mit deinen Kindern wandern, auch wenn du sie dazu zwingen musst …
(lacht) Ja, und hinterher sagen sie, ach, das war ganz schön, Papa. Auch, wenn sie am nächsten Tag wieder motzen, obwohl sie gesagt haben, dass es das Beste am Tag war. Es ist der innere Schweinehund, der immer wieder überwunden werden muss. Man muss als Eltern aktiv dagegen steuern, Bildschirmzeiten einrichten, andere Angebote machen, man muss schon dranbleiben. Eins ist aber sicher – wir werden irgendwann wie unsere eigenen Eltern. Und Regeln sind wichtig. Oder Rituale: Handy am Tisch ist verboten, zusammen essen, sooft es geht, Weihnachten wird zusammen gefeiert und keiner verpisst sich an Heiligabend in die Disco, zu Geburtstagen werden Geschenke mitgebracht.
Hältst du dich daran?
Ja. Ich war im Sommer mit meiner Lebensgefährtin verreist, wir haben die Handys ausgemacht. Wir waren nur für Notfälle zu erreichen. Wir haben uns einen Reiseführer gekauft, eine Karte, und drauflos navigiert. Fotos hab' ich mit der Digitalkamera gemacht. (zögert) Aber Handyfotos sind voll okay!
Letzte Frage zu den Frauen in deinem Leben: Deine aktuelle Lebensgefährtin ist die Mutter deines jüngsten Kindes und du sagst nicht viel über sie, denn sie mag das nicht. Über deine ehemalige Lebensgefährtin schreibst du, ihr habt einen großen Teil des Lebens miteinander verbracht und einige gemeinsame Kinder – und Barbara Schöneberger. Zu jeder einen Satz, bitte.
(lacht) Über meine Lebensgefährtin sage ich tatsächlich nichts, weil ich sonst Tür und Tor öffne für etwas, was wir beide dann nicht mehr überblicken können. Zu Nazu, meiner Ex-Partnerin und besten Freundin: Ich hab' mir immer gewünscht, dass sie sich mal mehr Zeit für sich nimmt, weil sie einfach echt viel für die Kinder da war. Und natürlich immer noch ist. Aber jetzt macht sie wieder mehr ihr eigenes Ding, das freut mich so sehr. Und dass wir das alles so gut hinbekommen haben, das ist zu ganz großen Teilen wirklich ihr Verdienst. Und zu Barbara – wenn wir anfangen, uns Witze zu erzählen, lachen wir gar nicht mehr über den Witz des anderen, weil wir einander mit neuen Witzen immer überbieten wollen. Sie ist eine tolle Frau, sagt, was sie denkt, hat eine spezielle, stabile Energie, und sie kann verzeihen. Oder über Dinge hinwegsehen. Ich sehe sie viel zu selten.
Allerletzte Frage: Was macht dich am glücklichsten?
Meine Patchwork-Situation, die wir so super geregelt haben. Weil man immer weiß, wenn man nicht da ist, dass trotzdem alles läuft. Und wenn wir über den Tellerrand hinausblicken, in die Welt, dann kann ich dir auch sagen, was mich am unglücklichsten macht: Typen wie Trump, Putin und Erdogan. Nicht tolerante Menschen, die durch die Städte ziehen, mit bösen Blicken und gegen alles protestieren, was nicht in ihre winzige Weltanschauung passt. Ich setze meine Hoffnung auf Kamala Harris und darauf, dass das ein Anfang sein könnte für eine erneute Wende. Und ich weiß, dass in der Ukraine in den U-Bahn-Schächten Comedy gemacht wird, weil die Leute was Lustiges brauchen. Und Musik!
Mit Max Mutzke sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de