Kaffee ist vor allem Handarbeit Sebastião Salgados "Duft der Träume"
14.09.2015, 11:56 Uhr
Die Schönheit und Würde der Arbeit beim Kaffeeanbau hat Sebastião Salgado in seinem Bildband "Duft der Träume" festgehalten. (im Bild: Selektion hochwertigen Kaffees für den Export, Allana Coffee Curing Works, Indien, Bundesstaat Karnataka, 2003)
(Foto: Sebastião Salgado/Knesebeck)
Jeder Deutsche trinkt jährlich 162 Liter Kaffee, viel mehr als jedes andere Getränk. Aber wie wird Kaffee angebaut, von wem und wo? Salgado, weltberühmt durch seine Reportagen über das Elend dieser Welt, hat das in berückend schönen Bildern festgehalten.
Kaffee ist das absolute Lieblingsgetränk der Deutschen - im Jahr 2014 trank laut Deutschem Kaffeeverband jeder von ihnen 162 Liter davon, weit mehr als Mineralwasser (143,5 Liter) und Bier (107 Liter). Der heiße Wachmacher ist schon lange kein Luxusprodukt mehr - es ist zum Allerweltsgetränk geworden, das man sogar "to go" nebenher im Laufen konsumiert. Aber wie er angebaut wird, von wem, wo und unter welchen Umständen, das ist weniger bekannt. Die idyllischen Bilder aus der Werbung von glücklich lächelnden Afrikanerinnen, die entspannt Kaffeebohnen durch ihre Finger rinnen lassen, zeigen wohl kaum die Realität.
In über 70 Ländern wird heute Kaffee angebaut, etwa 25 Millionen Menschen arbeiten im Anbau, der Verarbeitung und dem Vertrieb der Bohnen. Mit deutlichem Abstand größter Produzent weltweit ist Brasilien - umso erstaunlicher daher eigentlich, dass Sebastião Salgado, der ja aus dem Kaffeeland Nummer eins stammt, selbst gar keinen trinkt. Der Fotograf ist aber durch sein Elternhaus schon seit seiner Kindheit mit Kaffee verbunden - sein Vater war in der Kaffeeproduktion, Salgado verdiente sich als Kind bei der Ernte etwas Taschengeld.
Porträts voller Würde
Für das Fotoprojekt "Duft der Träume" in Zusammenarbeit mit dem Kaffeeproduzenten Illy besuchte Salgado mehr als zehn Jahre lang Kaffeeplantagen in zehn Ländern in Asien, Afrika, Mittel- und Südamerika: Brasilien, Costa Rica, Guatemala, Indien, China, Tansania, Indonesien, Kolumbien, Äthiopien und El Salvador. Ab 2002 porträtierte er Bauern und Pflücker, zudem hielt er in gewohnt wunderschönen Schwarz-Weiß-Fotos die malerischen Landschaften fest, in denen Kaffee angebaut wird. Die Porträts der Menschen - alte und junge, Männer und Frauen, Mütter mit Kleinkindern - sind von großer Würde. Oft zeugen die Bilder von Armut oder zumindest einfachen Lebensverhältnissen; selten sieht man Anzeichen von Wohlstand, häufig nackte Füße und zerrissene Kleidung.
Deutlich wird die Beschwerlichkeit und Härte des Kaffeeanbaus und der Ernte - die steilen Hänge, auf denen die Pflanzen oft wachsen, der anstrengende Weg nach oben. Was aber besonders auffällt, ist der übergroße Anteil an Handarbeit. Beim Pflücken, Trocknen und Aussortieren geht jede Bohne jedes Mal durch viele Hände. Selten sieht man Maschinen im Einsatz, am ehesten noch beim Transport.
Große Ähnlichkeit

"Duft der Träume" ist bei Knesebeck erschienen. Gebunden, 320 Seiten, 300 Abbildungen, 59 Euro.
(Foto: Sebastião Salgado/Knesebeck)
Durch die Beschränkung auf das Thema Kaffee sind Salgados Fotos in "Duft der Träume" nicht so vielfältig wie in seinen anderen Werken. Die Aufnahmen der Landschaften des Kaffeeanbaus ähneln sich, zudem verschwinden durch die Schwarz-Weiß-Technik auch Farbtonunterschiede einzelner Regionen. Salgado selbst stellte fest: "Manchmal ist die Kleidung der einzige Anhaltspunkt, um Kaffeepflücker einem bestimmten Gebiet auf einer Landkarte zuzuordnen." Was ihn aber am meisten überrascht habe, "war die Erkenntnis, wie sehr sich das Leben der Kaffeebauern überall ähnelt, selbst wenn zwischen ihnen Ozeane und Kontinente liegen".
Nachdem seine Arbeiten über Jahrzehnte Kriege, Leid und Elend, Ungerechtigkeiten und Verzweiflung zum Thema hatten, gönnte Salgado sich mit den Projekten Genesis und "Duft der Träume" Ausflüge in positivere Gefilde. Auch wenn dem Leser beziehungsweise Betrachter hier das kritische Nachdenken nicht erspart bleibt: über den Wert von Arbeit etwa oder nachhaltige Bewirtschaftung. Denn - darauf weist der Fotograf ausdrücklich hin - Kaffeeanbau ist häufig mit Abholzung verbunden.
Ursprünglich war der Anbau von Schattenkaffee (oben Bäume, unten Kaffeepflanzen) üblich, heute wird aus Gründen des größeren Ertrags Kaffee oft schattenlos angebaut. Dass sich die Familie Illy für die Umwelt und Fairtrade-Kaffee einsetzt und Mischkulturen aus Schattenbäumen und Kaffeepflanzen fördert (und damit auch Wiederaufforstungsprojekte), hatte Salgado begeistert und schließlich überzeugt, in das Projekt einzusteigen. Er erläutert seine Herangehensweise und die Zusammenarbeit auch in einem mehrseitigen Vorwort, gefolgt von einem Text von Andrea Illy, dem Geschäftsführer von Illycaffè.
Entstanden ist ein prachtvoller Bildband mit den von Salgado bekannten Fotos in außerordentlich hoher Qualität, wie immer in Schwarz-Weiß, wie immer von großer Schönheit. Mit Respekt vor den porträtierten Menschen und Interesse an ihrem Leben. Oder wie Salgado selbst es beschreibt: "Alle Kaffeebohnen für jede einzelne Tasse Kaffee sind zuvor durch die Hände von Menschen gegangen. Diesen Händen soll dieses Buch gewidmet sein."
Noch bis zum 27. September 2015 werden die Fotografien Salgados in der Stiftung Bevilacqua La Masa in Venedig ausgestellt. Am Ende des Bildbandes "Duft der Träume" gibt es einen Kommentar von Ausstellungskuratorin Angela Vettese.
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Quelle: ntv.de