Kino

"Im Westen nichts Neues" Felix Kammerer war es "fast schon unheimlich"

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Für "Im Westen nichts Neues" wurde Felix Kammerer zu Paul Bäumer.

(Foto: picture alliance / Everett Collection)

Im Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" liefert der Österreicher Felix Kammerer sein beeindruckendes Spielfilmdebüt ab. ntv.de verrät er im Interview, wie er zu der Rolle kam, wann es ihm am Set kalt den Rücken heruntergelaufen ist und ob er eigentlich selbst gedient hat.

ntv.de: Herr Kammerer, Sie sind Österreicher. Anders als in Deutschland ist die Wehrpflicht in Österreich nicht abgeschafft. Zumindest einen Grundwehrdienst müssen junge Männer hier ableisten. Haben Sie also gedient?

Felix Kammerer: Nein! Ich habe - mit Glück - nicht gedient. Ich bin zum Zivildienst gegangen.

Diese Möglichkeit gibt es also ...

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Bisher sah man den 27-Jährigen nur am Theater - doch das soll sich ändern.

(Foto: picture alliance /)

Ja, die gibt es. Krass ist, dass der Zivildienst neun Monate dauert - im Gegensatz zu sechs Monaten Grundwehrdienst beim Heer. Sich gegen das Heer zu entscheiden, wird also immer noch bestraft, indem man länger bleiben muss. Und man muss unterschreiben, dass man ein Problem damit hat, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Wahrscheinlich gibt es nicht viele, die nicht zum Militär, aber zur Polizei wollen. Aber wenn das doch der Fall sein sollte, kann einem das zum Problem werden.

In Deutschland haben sich viele Kriegsdienstverweigerer früher auf die Lektüre von "Im Westen nichts Neues" berufen. Hatten Sie das Buch auch bereits vor der Vorbereitung auf Ihre jetzige Rolle als Paul Bäumer gelesen?

Viele haben das Buch ja in der Schule durchgenommen. Das war bei mir leider nicht so. Ich habe es aus eigenem Interesse erst während des Studiums überflogen. Aber wirklich damit zu tun bekam ich dann doch erst, als die Vorbereitung auf den Film losging. Da habe ich mich dann aber natürlich ordentlich eingefuchst.

Sie geben in dem Streifen Ihr Spielfilmdebüt. Bisher waren Sie als Theaterschauspieler aktiv, nicht zuletzt am Wiener Burgtheater. Wie sind Sie nun zu der Film-Rolle gekommen?

Das ist eine super Story: Meine zweite Arbeit am Burgtheater war "Schwarzwasser" von Elfriede Jelinek mit Robert Borgmann in der Regie. Die damalige Dramaturgin Sabrina Zwach wiederum ist die Ehefrau von Malte Grunert, dem Produzenten von "Im Westen nichts Neues". Ihretwegen kam er nach Wien, um sich das Stück anzugucken. Auch bei den Proben war er dabei. Nach der Premiere kam er zu mir und sagte: "Das hat mir ganz gut gefallen. Ich glaube, ich hätte da mal was für dich. Guck in der nächsten Zeit mal auf dein Telefon."

Und das hat dann irgendwann geklingelt ...

Ja, ich saß gerade auf dem Sofa, als mich nach ein paar Wochen tatsächlich die Casterin Simone Bär anrief. Es folgten drei Video-Castings und nochmal drei Live-Castings in Berlin. Dann saß ich im September mit ein paar Freunden in einem Garten irgendwo in Wien beim Picknick, als der nächste Anruf kam. Diesmal waren es Malte Grunert und (der Regisseur) Edward Berger, die meinten: "Wir sehen uns in Prag!" (Ort der Dreharbeiten) Da haben wir erstmal gefeiert.

Theaterschauspieler hadern ja manchmal ein wenig mit den Medien Film und Fernsehen. War "Im Westen nichts Neues" für Sie eher die Ausnahme oder sind Sie jetzt auf den Geschmack gekommen?

Letzteres. Und zwar richtig. Aber auch, weil ich es als Riesenglück empfinde, dass ich meinen ersten Film mit Edward Berger machen durfte. Er hat mir während der Arbeit so viel Vertrauen, Wärme und Unterstützung gegeben, dass ich glaube, ohne ihn hätte ich den Film gar nicht richtig machen können. Auch der Cast, Malte Grunert und alle anderen waren unglaublich liebevoll. Trotzdem ist es natürlich richtig, dass es ein ziemlich langer Weg vom Theater zum Film ist.

Inwiefern?

Hauptsächlich habe ich mir wegen der Kontinuität Sorgen gemacht. Im Theater geht man von A nach B - fertig. Beim Film fängt man dagegen vielleicht auch mal mit Y an. Mein erster Drehtag zum Beispiel bestand aus einer der letzten Szenen des Films. Da wusste ich: Wenn ich mich nicht richtig vorbereite und für mich kein gutes System finde, damit umzugehen, ist es aus. Aber ich glaube, es hat alles ganz gut geklappt.

"Im Westen nichts Neues" ist ein ikonisches Buch. Und sein Leinwand-Debüt mit einem Kriegsfilm zu feiern, ist wahrscheinlich auch nicht gerade alltäglich. Trotz der Freude über die Rolle - hatten Sie auch Zweifel?

Ich hatte natürlich schon Respekt davor. Als ich "Wir sehen uns in Prag" hörte ... juchhu! Da war natürlich alles eine Riesenfreude, Euphorie, Spannung und Spaß. Aber dann kam auch sehr schnell der Moment, in dem mir bewusst wurde: "Ich muss das ja auch spielen!" Dann kamen der Druck und die Aufregung. Ich bin aber zum Glück relativ pragmatisch und rational. Ich habe deshalb erst einmal damit begonnen, die Dinge zu strukturieren: Was brauche ich dafür? Wie gehe ich an die Rolle ran? Wie bereite ich mich vor? Nervosität ist in Ordnung. Man darf sich von ihr nur nicht überrollen lassen, sondern muss sie positiv nutzen, um Nägel mit Köpfen zu machen.

Es hat bereits zwei Verfilmungen von "Im Westen nichts Neues" gegeben. Die haben Sie sicher auch geguckt ...

Ja, klar.

Für die vorherigen Verfilmungen zeichneten allerdings US-Regisseure verantwortlich. Was ist denn anders, wenn ein deutscher Regisseur wie Edward Berger und ein österreichischer Hauptdarsteller wie Sie an die Sache herangehen?

Ich glaube, wir tragen einfach dieses Vermächtnis in uns. Denn: Es ist ein deutsches Buch und eine deutsche Historie. Es ist eine deutsche Scham, eine deutsche Trauer und vor allem auch eine deutsche Verantwortung. Diese Dinge werden hier in Europa, in Deutschland und Österreich quasi vererbt: Erinnerungen, aber auch ganz zu Recht ein Schuldgefühl. Es ist eine unglaubliche Chance, das aus deutscher Perspektive mit einer deutschen Produktion, mit einem deutschen Cast und in deutscher Sprache noch einmal erzählen zu können. So kann man nicht nur von dem Horror erzählen, sondern auch die Wurzel des Horrors zusammen anpacken. Es ist - nicht im positiven Sinne, sondern ganz sachlich gemeint - sozusagen ein Heimspiel mit dem Ziel, einen wirklich deutschen Antikriegsfilm zu machen.

Auch viele andere Darsteller in dem Film haben noch nicht allzu viel Leinwand-Erfahrung gesammelt. Bekannte Stars sind dagegen Devid Striesow und Daniel Brühl, mit denen Sie aber kaum gemeinsame Szenen haben. Haben Sie die beiden am Set überhaupt kennengelernt?

Devid Striesow habe ich einmal getroffen. Wir stapften gerade durch diese Lagerhallen am Set und plötzlich lief da an der Seite dieser General vorbei. (lacht) An dem Tag saßen wir auch mal bei der Pause nebeneinander im Zelt. Aber sonst sind wir uns tatsächlich nicht begegnet. Mit Daniel Brühl hatte ich ein bisschen mehr zu tun, obwohl wir keine Szenen miteinander hatten und von der Geschichte her noch weiter auseinanderliegen. Da er auch Executive Producer war, gab es zu ihm nochmal eine andere Verbindung. Ich habe ihn in Prag häufiger gesehen - und natürlich auch in Zürich bei der Premiere.

Auf die Zuschauerinnen und Zuschauer wirkt der Film mit all den gezeigten Kriegsgräueln natürlich sehr intensiv. Versinkt man eigentlich beim Dreh solcher Szenen auch als Schauspieler mal darin oder bekommt man sich bei all der Filmtechnik am Set davon leicht abgegrenzt?

Das kommt auf die konkreten Szenen an. Ein Beispiel: Es gibt diese Szene in einem Camp im Hinterland, als die Französinnen mit dem Karren vorbeigehen und die Jungs Kartoffeln schälen. Das war ein relativ entspannter und extrem technischer Tag, denn ich habe die ganze Szene mit fünf Marken gedreht - so Klebeband-Kreuze, die einem anzeigen, wo die anderen Personen sitzen. Das heißt: Ich habe die gesamte Szene nur mit fünf Klebeband-Kreuzen gespielt! Da wird es echt so krass technisch, dass man fast nicht glauben kann, dass am Ende noch etwas Gutes dabei herauskommt.

Und ein anderes Beispiel?

Da gibt es etwa die Szene, in der ich mit dem Franzosen im Krater liege. Das war so realistisch, dass es fast schon unheimlich war. Unter der Erde waren Schläuche verlegt, aus denen das Blut kam, das der Franzose verlor. Aber man sah nicht, wo das Blut herkommt. Man sah in diesem Trichter auch niemanden von der Crew, keine Lichter und keine Komparsen. Wir haben die gesamte Szene sieben oder acht Mal von Anfang bis Ende durchgedreht - als Oneshot von elf Minuten. Das elf Minuten durchzuspielen und dabei jedes Mal wieder jemanden umzubringen, ging einem schon nah. Um davon wieder Abstand zu nehmen, braucht man dann auch wirklich Kraft.

"Im Westen nichts Neues" handelt vom Ersten Weltkrieg. Dennoch hat die Erzählung vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs plötzlich noch einmal eine andere Brisanz und in gewisser Weise auch Aktualität erlangt. Das haben Sie sich während der Dreharbeiten im vergangenen Jahr sicher nicht träumen lassen ...

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Der Film soll für Kammerer verdeutlichen, wie "menschenfeindlich, desaströs, grausam und fürchterlich" Krieg ist.

(Foto: picture alliance / Everett Collection)

Nein, das ist natürlich total absurd. Man macht einen Antikriegsfilm, weil man damit etwas bewegen und zeigen möchte, wie furchtbar Krieg ist - und dann schlage ich die "New York Times" auf und sehe Fotos aus der Ukraine, die aussehen wie kolorierte Bilder aus dem Ersten Weltkrieg. Da dachte ich schon, ich werde wahnsinnig. Zugleich glaube ich aber nicht, dass der Film erst dadurch Relevanz bekommen hat. Die Relevanz hatte er immer. Es gab unzählige Kriege seit dem Ersten Weltkrieg. Die haben wir in Europa nur nicht wahrgenommen oder haben uns davor versteckt, weil das natürlich leichter ist. Die Ukraine liegt uns dagegen nicht nur geografisch näher als etwa Syrien oder der Irak. Als Deutscher oder Österreicher kann man sich mit etwas, das aussieht wie unsere Landschaften, auch leichter identifizieren. Deshalb wird uns die Relevanz gerade nur noch stärker bewusst.

In einer US-Kritik zu dem Film wurde hervorgehoben, er verdeutliche einfach auch nochmal, dass Krieg kein Videospiel ist. Was ist für Sie die wichtigste Aussage des Films?

Die Gleiche wie schon beim Buch und auch in den ersten beiden Verfilmungen. Auf der einen Seite gibt es natürlich eine Ebene, die sich mit Opfern, Tätern, Handlungen und ihre Wirkungen befasst - politische Themen, die wichtig zu besprechen sind. Aber auf der anderen Seite gibt es auch einfach die Menschen, die dann an der Front stehen und sterben. Es gibt die Vernichtung, das Leid, die Verwüstung und all das, was auch für nachfolgende Generationen daraus folgt. Ich hoffe, dass der Film diese existenziellen Aspekte auf den Punkt bringt und zeigt, wie absolut menschenfeindlich, desaströs, grausam und fürchterlich das ist.

"Im Westen nichts Neues" geht als deutscher Beitrag bei der kommenden Oscar-Verleihung ins Rennen. Was wäre wohl Ihre erste Reaktion, wenn er tatsächlich den Preis gewinnen sollte?

Mal sehen, wo ich dann gerade bin. Aber ich denke, dann mache ich mir erstmal ein Bier auf.

Mit Felix Kammerer sprach Volker Probst

"Im Westen nichts Neues" läuft derzeit in den deutschen Kinos und ist ab 28. Oktober auf Netflix abrufbar.

Quelle: ntv.de

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