
Florian und Martin Riegler als Reinhold und Günther Messner an der Peitlerkofel Nordwand. (nachgestellt)
(Foto: Movienet Film)
Ein Dokumentarfilm über Reinhold Messner? Ein großes Gähnen könnte einen befallen ob dieser Nachricht, meint man doch, schon alles über ihn zu wissen. Aber: Er ist spannend wie ein Thriller. Mit Bildern, die einem den Atem stocken und das Herz klopfen lassen. Und: Es ist kein Beweihräucherungsfilm, auch Kritiker kommen zu Wort.

Immer weiter, immer höher, die nächste "Wand machen": Messners Blick ging immer nach oben (Bild von 1969)
(Foto: Movienet Film)
Der Begriff "lebende Legende" ist schnell bei der Hand, aber wenn er auf jemanden zutrifft, dann wohl auf Reinhold Messner. Jedes Kind kennt ihn – das liegt einerseits an seinen spektakulären Leistungen und andererseits wohl auch daran, dass man ihn nicht gerade als medienscheu bezeichnen kann. Er wird bewundert, hat aber auch viele Kritiker – einige werfen ihm ebenjene häufige Medienpräsenz, seine "Mediengeilheit", vor. Aber was er geleistet hat – die Besteigung aller vierzehn Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff, die Beschreitung neuer Wege und Routen, die Durchquerung von Wüsten – all das ist ohne mediale Begleitung wohl kaum vorstell- und finanzierbar.
Aber was treibt ihn auf die Berge, in die Extreme? Was bringt ihn dazu, immer und immer wieder an die Grenze zu gehen, sein Leben zu gefährden? Diesen Fragen geht "Messner" nach, der zweite Film von Andreas Nickel. Der Regisseur kommt eigentlich aus dem Finanzbereich, arbeitete mehrere Jahre in leitender Funktion bei Credit Suisse und Lehman Brothers. Schon in seinem ersten (Fernseh-)Film im Jahr 2008 ging es ums Bergsteigen. Dabei arbeitete er mit Messner zusammen – die persönliche Begegnung beeindruckte Nickel sehr und brachte ihn auf die Idee, einen Film über "den Menschen Reinhold Messner" zu machen.
Elfköpfige Familie auf engem Raum
Daher kommen bei dieser Spurensuche auch Familienmitglieder zu Wort. Messner, 1944 geboren, stammt aus einer Familie mit neun Kindern, er ist der Zweitälteste. Sie wohnen auf hundert Quadratmetern, sechs Kinder in einem Zimmer. Obwohl sie in eher bescheidenen Verhältnissen leben – der Vater ist Dorflehrer und hat nebenbei noch eine Hühnerzucht, um die große Familie durchzubringen -, ist aus allen Kindern "was geworden". Hans-Jörg Messner etwa ist Psychoanalytiker, vier der neun Kinder tragen Doktoren- bzw. Professorentitel.
Sie wachsen in Villnöß auf, in der Enge eines Südtiroler Tales – und in der Enge eines strengen bürgerlichen Elternhauses. Beidem versucht schon der junge Reinhold zu entkommen – dem "strengen, kritisierenden Vater", unzufrieden mit seinen eher schlechten schulischen Leistungen (Messner fiel durchs Abitur), und der Enge des Tals. "Wir haben uns schon früh gefragt, wie es dahinter ausschauen mag", sagt Messner im Film. Seine erste Bergtour macht er dann schon mit Fünf, in nachgestellten Szenen zeigt der Film, wie er mit seinen Eltern auf den anspruchsvollen, etwa 3000 Meter hohen Geisler steigt. Der Blick in die Weite des Tals löst etwas in ihm aus, die Begeisterung für das Bergsteigen ist geweckt und hat bis heute – Messner ist inzwischen 68 – nicht aufgehört.
Größtes Glück, höchste Not
Dem folgt eine schier unglaubliche Karriere mit großen Erfolgen und ebenso schweren Rückschlägen. Reinhold Messner hat alle Höhen und Tiefen erlebt, höchstes (Gipfel-)Glück, aber auch größte Not und tragische Verluste. Er hat zwei Brüder an das Bergsteigen verloren; vor allem der Tod seines Bruders Günther auf ihrer gemeinsamen Nanga-Parbat-Expedition 1970 ist im allgemeinen Gedächtnis. Der Vorwurf, er hätte seinen Bruder damals im Stich gelassen, haftet ihm immer noch an; er versucht ihn immer wieder zu entkräften. Laut Reinhold Messner ist Günther in einer Lawine umgekommen - wie man sich in so einer Situation aus den Augen verlieren könne, sei "sehr schwierig verständlich", sagt sein Bruder Hubert. Reinhold Messner selbst kam auf Knien, am absoluten Ende seiner Kräfte, wieder unten in der normalen Welt an. Danach mussten ihm in einem Krankenhaus am Fuß des Himalaya sieben erfrorene Zehen und drei Fingerkuppen amputiert werden.

Spaltensturz während der Doppelbesteigung des Gasherbrum I+II, 1984 (Karakorum-Gebiet im Grenzgebiet von China und Pakistan), Maxime Belleville als Hans Kammerlander (nachgestellt)
(Foto: Movienet Film)
Danach ist nichts mehr wie vorher, aber weder der Tod des Bruders noch seine verstümmelten Füße halten ihn vom Bergsteigen ab. Im Gegenteil: er entwickelt einen geradezu verbissenen Ehrgeiz, wirft viele Bergsteigerregeln über Bord, macht vieles anders, schneller, als Erster, über andere Routen. Schwere Sauerstoffflaschen schleppen? Es geht auch ohne. Mit großem Tross, mit vielen Trägern auf den Berg? Er schafft es auch ohne. Er besteigt ab 1978 alle vierzehn Achttausender ohne Flaschensauerstoff, den Nanga Parbat 1978 und den Mount Everest 1980 im Alleingang.
Ein Verrückter?
Ein Extrembergsteiger, ein Grenzgänger – ein Verrückter? Für nicht Bergbesessene ist die Motivation schwer nachvollziehbar. Auf der einen Seite stehen die überwältigende, unvergleichliche Schönheit der Berge, das sicher ebenso unvergleichliche Gefühl, es geschafft zu haben, was kaum ein Mensch schafft, oben zu sein, sich selbst überwunden und den Berg bezwungen zu haben - "die Wand gemacht" zu haben, wie es Messner selbst eher nüchtern formuliert. Dem gegenüber stehen unermessliche körperliche Qualen, Schmerzen, Rückschläge, Scheitern und die Tatsache, dass man nie weiß, ob man die Tour überlebt. So erzählt Messner im Film schmunzelnd, wie er vor einer Expedition seinen Porsche verkaufen musste, um die Zehntausende von Dollar aufzubringen, die er für die Genehmigung von der chinesischen Regierung benötigte: "Ich wusste ja nicht, ob ich ihn danach nochmal brauche".
Auch für die Angehörigen eine schwer zu ertragende Ungewissheit – so flehte ihn seine Mutter an, das Bergsteigen aufzugeben, nachdem zwei ihrer Söhne dabei umgekommen waren. Für die Frauen und Kinder – Messner ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder - ist es jedesmal ein Zittern und Bangen, ob er wiederkommt und wenn ja, in welchem Zustand. Aber das Bergsteigen aufgeben? Für Messner unvorstellbar, zumindest bis vor wenigen Jahren. Seine letzte große Bergbesteigung wagte er 2002 (Cotopaxi in Ecuador, 5897 Meter hoch). Daneben probiert er sich an einem anderen Extrem (darunter machts ein Reinhold Messner wohl nicht): er durchquerte 2004 zu Fuß die Wüste Gobi. Der Länge nach, etwa 2000 Kilometer. Bereits 1989/1990 hatte er mit Arved Fuchs die Antarktis über den Südpol zu Fuß bezwungen: Laufstrecke 2800 Kilometer. Alles nichts für Ruheständler. Aber Ruhestand ist bei Messner auch nicht vorstellbar.
2006 eröffnete er ein Bergmuseum, das Messner Mountain Museum auf Schloss Sigmundskron bei Bozen, er hat unzählige Schriften und Bücher herausgebracht, saß als parteiloser Kandidat für die Südtiroler Grünen für fünf Jahre im Europa-Parlament. Ein Ruheloser, ein Hyperaktiver, ein Unermüdlicher. Das Leben dieses Extremmenschen zeichnet der Film "Messner" halbdokumentarisch nach, mit historischen Aufnahmen und beeindruckenden nachgestellten Szenen, Bildern von atemberaubender Schönheit und Dramatik. Was allerdings nervt: der häufig dreigeteilte Bildschirm mit ein- und ausgeblendeten Aufnahmen, die Kinoleinwand teilweise zu zwei Dritteln schwarz. Eine störende filmische Spielerei.
"Maßlose Eitelkeit"
Brüder und frühere Bergsteigergefährten kommen zu Wort – und eine andere Bergsteigerlegende: Luis Trenker, 1990 gestorben. Trenker findet durchaus lobende, anerkennende Worte für Messner, aber auch kritische: er sei ein "großartiger Bergsteiger, ein fabelhafter Techniker, intelligent, draufgängerisch". Was er ihm vorwirft: "Maßlose Eitelkeit, der Presse gegenüber zu viel Reklame, keine Ehrfurcht vor der Natur, glaubt nicht an den Herrgott – und das darf einem Bergsteiger nicht fehlen!"
Mangelnde Ehrfurcht vor der Natur – dem wird Messner wohl vehement widersprechen. Aber das mit dem Herrgott, das stimmt schon: Für ihn hat der Berg keine spirituelle Dimension, er "ist im Grunde nur eine geologische Formation", sagte er kürzlich der Zeitschrift "Freundin Donna", und weiter: "Ich bin nicht gläubig. Ich bin im weitesten Sinn des Wortes neugierig."
Neugier, Freiheitsdrang und der unerschütterliche Glaube an sich selbst – das zeichnet Messner aus, und zwar in ungewöhnlich starker Ausprägung. Ein spannender Mensch, ein spannender Film – spannend wie ein Krimi.
"Messner" läuft ab 27. September 2012 in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de