Panorama

Queer-Hass von rechts "Es beginnt bei Minderheiten, aber endet in der Mitte"

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Die CSD-Veranstalter in Köln und Berlin beklagen wegbrechende Sponsorengelder durch Trumps Anti-Diversity-Agenda.

Die CSD-Veranstalter in Köln und Berlin beklagen wegbrechende Sponsorengelder durch Trumps Anti-Diversity-Agenda.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

In den USA beschneidet Trump die Rechte der LGBTQIA+-Community. Derweil nehmen in Deutschland Hassverbrechen gegen queere Personen zu. Experten warnen, dass die Gewalt von den Rändern der Gesellschaft schon bald Richtung Mitte wandern könnte.

Regenbogenflaggen, Seifenblasen, schillernde Outfits: Am 17. Mai wird in gleich mehreren Städten Deutschlands mit CSD-Paraden die sogenannte "Pride"-Saison eröffnet. Vor genau 35 Jahren - am 17. Mai 1990 - strich die WHO Homosexualität aus der Liste psychischer Erkrankungen. Seit 2005 wird das Datum auf der ganzen Welt als Aktionstag IDAHOBIT begangen (kurz für International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia).

Doch während bunt geschmückte Pride-Trucks durch die Straßen rollen, zeichnet sich laut Michael Hunklinger eine "autoritäre Wende" in Deutschland ab. "Die Faschisierung schreitet voran", sagt der Politologe und Autor im ntv.de-Interview. Dazu gehörten unter anderem zunehmende Angriffe gegen queere Menschen und weniger Unterstützung für Veranstaltungen wie den Christopher Street Day.

Dass nicht allen nach glitzernder Pride-Party ist, zeigt etwa ein Blick nach Köln. Dort haben sich zuletzt mehrere US-amerikanische Unternehmen als Sponsoren des CSD-Umzugs zurückgezogen - nach jahrelanger Unterstützung. Ähnlich sieht es in Berlin aus. Wie die "taz" berichtet, brechen der Veranstaltung in der Hauptstadt Sponsorengelder in Höhe von 200.000 Euro weg. Der Vorstand habe erklärt, der Grund sei unter anderem Ansagen aus den USA.

Seit Beginn seiner zweiten Präsidentschaft macht Trump massiv Stimmung gegen die sogenannte "Wokeness". Trans Menschen werden aus dem US-Militär ausgeschlossen, geschlechtsneutrale Reisepässe verboten. Direkt nach seinem Amtsantritt beendete er die Programme der Bundesbehörden zur Förderung von Diversität. Angestellte in den Programmen wurden entlassen.

Und auch die Wirtschaft gerät ins Visier. Unternehmen, die Geschäfte mit US-Bundesbehörden betreiben, stehen zunehmend unter Druck, ihre Diversitätsprogramme einzuschränken. Auch deutsche Firmen bekommen Post aus Washington. Das scheint bei den CSD-Paraden in Köln und Berlin nun Wirkung zu zeigen.

Hasskriminalität nimmt zu

Gleichzeitig nehmen auch in Deutschland queerfeindliche Stimmungen zu. Vergangenes Jahr wurde der CSD im sächsischen Bautzen von rechtsextremen Protesten begleitet. Teilnehmenden wurde geraten, sich bei der An- und Abreise nur in Gruppen durch die Stadt zu bewegen. Die geplante Abschlussparty der Veranstaltung musste wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden.

In Baden-Württemberg verzeichnete das Innenministerium 2024 einen deutlichen Anstieg von Hasskriminalität aufgrund sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität. Die Zahl der Delikte erhöhte sich um knapp 30 Prozent von 165 im Jahr 2023 auf 212 im Jahr 2024. Deutlich angestiegen ist demnach auch die Zahl der Straftaten gegen transsexuelle oder nicht binäre Menschen. 91 Straftaten seien unter dem Themenfeld "geschlechtsbezogene Diversität" erfasst worden. 2023 waren es 65.

Wie Zahlen des BKA zeigen, handelt es sich um einen bundesweiten Trend: Den Angaben zufolge erfasste die Polizei 2023 insgesamt 17.007 Fälle von Hasskriminalität bundesweit. Mehr als jeder Zehnte dieser Fälle - 1.785 Straftaten - richtete sich laut BKA gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen.

Transfeindlichkeit als "Scharnierideologie"

Laut Gabriel_Nox Koenig vom Bundesverband Trans* e.V. gehen Trans- und Queerfeindlichekit Hand in Hand mit der zunehmenden Mobilisierung von rechtsextremer Seite. Sie seien eine "Scharnierideologie", mit der Rechtsextreme Zugriff auf Personen in der Mitte der Gesellschaft erlangen wollten.

"Wenn rechtsradikale Akteure Aussagen über queere Menschen treffen, die eventuell auch in der konservativen Mitte gedacht werden, ist es leichter für sie, dort weitere rechtsextreme Narrative zu streuen", so Koenig im Gespräch mit ntv.de. Dazu zählten etwa auch Erzählungen über "angebliche Gefahren durch Migrantinnen und Migranten", ergänzt Hunklinger.

Doch das angepeilte Ziel rechter Kräfte sei nicht bloß die Abschaffung der Ehe für alle oder Massenabschiebungen. Sondern letztlich der Abbau von demokratischen Grundrechten. "Faschismus ist nicht nur die politische Forderung einer bestimmten Gruppe, er bedroht uns alle."

Viele Menschen in der Mitte der Gesellschaft würden sich für die Diskriminierung an den Rändern allerdings nicht oder nur sehr wenig interessieren. Weil sie sich selbst nicht betroffen fühlten. "Sie verstehen nicht, dass, wenn eine Gruppierung einfach so entrechtet werden kann, sie die nächsten sein könnten", so Koenig.

"Wenn die Menschenrechte einer Gruppe in Gefahr sind, sind die Menschenrechte aller in Gefahr. Erst geht man gegen Migrant*innen vor, dann gegen trans Personen, dann gegen arme Menschen und Menschen mit Behinderung."

Hunklinger schließt sich dem an: "Nur weil manche Menschen noch nicht betroffen sind, heißt das nicht, dass es in zehn Jahren immer noch so ist. Es beginnt bei den Minderheiten, aber es endet in der Mitte der Gesellschaft."

Jeder könnte betroffen sein

Umso mehr komme es darauf an, Räume zu schaffen und zu bewahren, "in denen Menschen sie selbst sein können" - sei es durch Offenheit am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis. Dazu gehöre auch, diskriminierende Äußerungen "nicht über sich ergehen zu lassen und die betreffenden Personen darauf hinzuweisen".

Es könne auch helfen, sich selbst zu befragen: "Darf ich heiraten, wen ich will? Kann ich arbeiten, was ich will? Kann ich mich im öffentlichen Raum bewegen, wie ich will? Wenn ich das alles mit Ja beantworten kann, schön. Aber ich muss auch darüber nachdenken, was passiert, wenn all das nicht so wäre", so Hunklinger.

Trotz des Rechtsrucks und erstarkenden Demokratiefeinden sei es vor allem wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. "Ob in einer politischen Organisation, in einer Partei oder Gewerkschaft oder auf Social Media" - es gebe viele Bereiche, in denen man sich zusammentun und gemeinsam aktiv werden kann. Wichtig sei vor allem, der Spaltung der Gesellschaft geschlossen entgegenzutreten.

Auch Koenig appelliert, dass Menschen wieder näher zusammenrücken und sich auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen, statt auf Unterschiede. "Denn Demokratie funktioniert nur mit Zusammenhalt."

Quelle: ntv.de

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