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Win-Win-Win mit Seegraswiesen Speichern 30 Mal mehr CO2 als die Tropen

Die Einpflanz-Technik ist "plump", wie Thorsten Reusch verrät.

Die Einpflanz-Technik ist "plump", wie Thorsten Reusch verrät.

(Foto: GEOMAR, Christian Howe)

Thorsten Reusch ist Unterwassergärtner. Sozusagen. In zwei deutschen Ostseeregionen drückt der Leiter für Marine-Ökologie am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR) seinen Tauchern Seegrasbündel in die Hand und schickt sie mit einem klaren Auftrag ins Wasser: Bitte einmal im Meeresboden anpflanzen. Warum? Seegraswiesen können unglaublich viel Kohlenstoff speichern. Sehr viel mehr sogar als tropische Regenwälder. Ist der Marine-Ökologe deshalb "Feuer und Flamme" für das Projekt namens "Sea Store"? Nicht nur, wie er im ntv-Podcast "Klima-Labor" verrät. Seegras ist ein Alleskönner: Es fördert die Biodiversität, schützt die Küsten und ist gut für die Badewasserqualität - eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Oder? Leider nein, noch mangelt es an der Akzeptanz bei der badenden Bevölkerung. Schuld sind kleine Krebse.

ntv.de: Sie leiten den Bereich Marine-Ökologie am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR). Flapsig formuliert kann man auch sagen, Sie sind leitender Gärtner. Erzählen Sie doch bitte mal, wie man Seegras unter Wasser anpflanzt.

Thorsten Reusch: Ja, schön gesagt. Wir "gärtnern" noch nicht so lange, das machen wir seit diesem Jahr. Die Idee ist, dass man auch unter Wasser versucht, wichtige Lebensräume wiederherzustellen. Das wird an Land mit Mooren gemacht oder im kleinen Maßstab auch mit einem Krötentümpel, damit die gefährdeten Amphibien wieder mehr Lebensraum haben. Und wir haben damit in den deutschen Ostseegewässern mit Seegras angefangen, und es sieht tatsächlich ein bisschen so aus, als ob man gärtnern würde: Die Taucher kriegen Bündel von Seegraspflanzen in die Hand. Mit denen schwimmen sie los und pflanzen die in dafür markierte Flächen ein.

Und sie pflegen die auch, wie gute Gärtner das so tun? Schauen regelmäßig, ob die Pflanzen wachsen und gedeihen? Wie läuft das ab?

Es gibt einige wichtige Unterschiede zum Gärtnern. Wir jäten kein Unkraut, spritzen auch keine Herbizide oder solche Sachen, was manche Hobbygärtner leider machen.

Das Seegras muss wahrscheinlich auch nicht gegossen werden?

Nein, das fällt auch raus. Aber wir verfolgen das tatsächlich über die Zeit und haben - das ist die gute Nachricht - letzte Woche Saisonabschluss gemacht und festgestellt, dass sich die Dichten seit Ende Mai, als wir angefangen haben, verfünffacht haben. Das hat unsere besten Erwartungen übertroffen. Wir sind voller Hoffnung, dass unsere Anpflanzungen Ende der nächsten Saison, also nach nur zwei Jahren, die Dichte einer natürlichen Seegraswiese erreicht haben.

Sie sprechen es an: Es sind Pflanzen, die es vorher natürlicherweise gab und jetzt wieder angepflanzt werden. Warum gibt es diese Seegraswiesen nicht mehr?

Bei Thorsten Reusch melden sich viele Freiwillige, die das Projekt unterstützen wollen.

Bei Thorsten Reusch melden sich viele Freiwillige, die das Projekt unterstützen wollen.

(Foto: GEOMAR)

Seegraswiesen sind weltweit in den Lebensräumen an den Küstenmeeren sehr stark gefährdet, weil die Wasserqualität sehr viel schlechter geworden ist. Wasserqualität für die Pflanzen bedeutet, dass erstaunlicherweise oder paradoxerweise zu viele Nährstoffe im Wasser sind: Das Wasser wird trüber, weil zu viel Plankton wächst. Trübes Wasser ist aber etwas, was diese sehr Licht liebenden Seegräser, die am Boden wurzeln, nicht vertragen. Demzufolge ist ihr Bestand stark zurückgegangen. Wir haben nur Schätzungen, keine harten Daten, aber um ungefähr 60 bis 75 Prozent.

Wo kommen die Nährstoffe her, die das Wasser vertrüben?

Die Nährstoffe kommen hauptsächlich aus der intensiven Landwirtschaft, auch wenn die Zuflüsse schon eingeschränkt wurden. Es ist eine Verbesserung eingetreten. Das sehen wir auch an den Seegraswiesen der Ostsee, die breiten sich ganz leicht wieder aus. Eine positive Nachricht. Durch diese Wiederansiedlung wollen wir die natürliche Wiederbesiedelung beschleunigen, denn das dauert sehr lange - Jahrzehnte mitunter. Auch auf Flächen, die dazu geeignet sind. Da wollen wir nachhelfen.

Aber heißt es nicht immer, dass die Wasserqualität in Deutschland und europaweit sehr gut ist?

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Klima-Labor ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen unter die Lupe nehmen, die toll klingen, aber bei denen nicht immer ganz klar ist, wie sinnvoll sie wirklich sind. Sollten wir Kühe mit Seegras füttern? Frachtriesen mit großen Segeln ausstatten? Grüne Hedgefonds in Aufsichtsräte berufen?

Das Klima-Labor von ntv: Hören Sie jeden Donnerstag rein - eine halbe Stunde, die informiert und Spaß macht. Auf ntv.de, in der ntv-App und überall, wo es Podcasts gibt: Audio Now, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Das ist die Badewasserqualität, da werden ganz andere Parameter gemessen. Im Wesentlichen nur Bakterien. Man muss weiter als einen Meter gucken können, dann passt die allgemeine Trübung. Das ist nicht besonders weit: Wenn man im Wasser seine großen Zehen nicht sehen kann, ist die Wasserqualität nach dieser EU-Badestellen-Richtlinie gut. Das hat aber nichts mit der ökologischen Wasserqualität zu tun. Die ist nicht zufriedenstellend. Demzufolge sind auch die allermeisten Küstenmeere bei uns nicht in einem Zustand, der eigentlich laut EU-Wasserrahmen- und Meeresschutzrichtlinie erforderlich wäre.

Welche Funktion erfüllt das Seegras in dem Zusammenhang? Warum wollen Sie das wieder zurückbringen?

In den vergangenen zehn Jahren hat sich herausgestellt, dass die Kohlenstoffspeicherfunktion der Wiesen lange unterschätzt wurde. Es können enorme Mengen im Sediment gespeichert werden. Zum einen durch die Wurzelmasse der Seegraswiesen selber, die sich immer wieder übereinander schichtet zu teilweise meterdicken Matten. Aber auch vom Blätterdach des Seegrases werden Sedimentpartikel aus dem Wasser rausgekämmt. Das Wasser beruhigt sich ja zwischen den Halmen, die Partikel sinken runter, und dieser organische Kohlenstoff lagert sich ab. Das nennt man blauer Kohlenstoff.

Kann man das mit einem Regenwald vergleichen?

Wir haben in den deutschen Küstengewässern der Ostsee festgestellt, dass Seegraswiesen zwischen 10 und 30 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter speichern können. Die offene Frage ist: Wie schnell hat sich das angesammelt? Dazu haben wir noch keine Daten. Andere Weltregionen zeigen, dass es erstaunlicherweise bis zu 30 Mal mehr sein kann als beim Wald - obwohl die Bäume im tropischen Regenwald riesig groß sind, aber das ist halt ein offener Kreislauf. Es wird nichts im Boden angesammelt, alles wird zurückgeführt. In der Seegraswiese bildet sich eine Schicht, die immer dicker wird - wie in einem Hochmoor. Die bleibt übrig und wird für Jahrzehnte bis Jahrhunderte aus dem Kreislauf herausgenommen. Das ist der wesentliche Unterschied.

Hilft uns das, unsere selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen? Können wir uns damit Zeit erkaufen?

Hier entsteht eine Unterwasserwiese.

Hier entsteht eine Unterwasserwiese.

(Foto: GEOMAR)

Seegras wird die Kohlenstoffbilanz von Deutschland nicht retten. Aber natürlich ist es eine gute Idee, das zu machen, weil viele kleine Maßnahmen zusammenkommen müssen. Im Ostseebereich gibt es etwa 3000 Quadratkilometer, wo Seegras wachsen könnte. Wenn wir die renaturieren, ist es möglich, einen messbaren Erfolg zu erzielen. Aber das wäre eine irre Aufgabe, wir haben gerade mit 0,001 Quadratkilometer angefangen.

Trotzdem muss man die Kosten-Nutzen-Frage stellen. Sie haben es gesagt: Es ist extrem aufwendig und teuer, weil diese Pflanzen alle einzeln gepflanzt werden müssen.

Seegras hat oft noch ein Akzeptanzproblem, denn am Strand ...

Seegras hat oft noch ein Akzeptanzproblem, denn am Strand ...

(Foto: imago images/Agentur 54 Grad)

Zugegebenermaßen ist es im Augenblick sehr teuer. Wir haben noch keine Vollkostenrechnung gemacht, aber ich tippe, dass wir für einen Hektar etwa 100.000 Euro brauchen. Aber wir haben eine unglaubliche Resonanz von Hobbytauchern, die unbedingt helfen wollen. Wir haben ohne großartige Werbung schon jetzt eine Liste von 45 Tauchern, die mithelfen möchten. Durch diese ehrenamtliche Arbeit könnte man die Kosten drücken. Natürlich versuchen wir auch, die Technik zu verbessern.

Wie sieht die denn aktuell aus?

... sieht es nicht besonders hübsch aus.

... sieht es nicht besonders hübsch aus.

(Foto: picture alliance / blickwinkel/R. Bala)

Die ist ganz plump. Man hat tatsächlich diese Ableger, das sind Stecklinge oder Setzlinge - so würde man das beim Gärtnern nennen. Die Taucher kriegen die auf dem Boot in Bündeln von 50 in die Hand, dann werden die händisch in das Sediment reingesteckt.

Einfach eingebuddelt wie im Garten?

Ja.

Wie viele der Setzlinge überleben? Manche Hobbygärtner haben einen grünen Daumen, andere nicht.

Wir haben nur die Daten der ersten Anpflanzungen, die von Profitauchern gemacht worden sind. Aber die Sprosszahlen haben sich innerhalb von vier Monaten verfünffacht oder sogar verachtfacht. Da sind nur sehr wenige gestorben, sonst hätten wir diesen hohen Zuwachs an Wiesendichte nicht. Wir denken, dass wir Ende nächsten Jahres, nach nur zwei Wachstumsperioden, die Dichte einer natürlichen Wiese erreichen können. Das ist super. Wir hatten eigentlich mit einer längeren Zeit gerechnet.

In der Projektbeschreibung heißt es, dass neben den Kosten auch noch die Akzeptanz geprüft werden muss. Warum?

Das Seegras wächst direkt an den Küsten, an geschützten Standorten bis an die Oberfläche. Das stört viele Menschen zum Beispiel beim Surfen. Es gibt auch jedes Jahr semi-ernste Berichte, dass das Seegras eine Schlingpflanze und gefährlich sei. Da leben auch kleine Krebse drin. Manchmal schwimmen die tatsächlich hoch und haften sich an den Badenden fest. Das zwickt ein bisschen, dann ist immer sofort Krise angesagt: Oh Gott, was ist das? Kann das stechen? Und so weiter.

Das klingt tatsächlich nicht sehr angenehm, aber umgekehrt hieße das ja auch, dass das Wasser sehr sauber ist, wenn es Seegras und diese kleinen Krebse gibt?

Absolut. Wir haben am GEOMAR sogar festgestellt, dass Seegraswiesen einen negativen Effekt auf Vibrionen im Wasser haben. In einer ganz neuen Veröffentlichung weisen wir nach, dass sich in der Nähe der Seegraswiesen weniger Vibrio-Bakterien im Wasser aufhalten. Auch von der fleischfressenden Gruppe, die vibrio vulnificus heißt. Davon bekommen tatsächlich jedes Jahr mehrere Badende eine schwere Infektion. Lange Rede, kurzer Sinn: Über Seegraswiesen zu schwimmen, ist super. Man kann davon ausgehen, dass die Badewasserqualität besser ist als dort, wo keine Seegraswiese ist.

In der Beschreibung ist auch die Rede davon, dass es schon viele Fehlschläge gab. Was ist bisher schief gelaufen?

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Es gab natürlich Fehlschläge. Die Niederländer versuchen seit 20 Jahren, Seegras im Wattenmeer anzusiedeln. Die hatten mal ganz dichte Wiesen. Auch Kollegen aus Dänemark und Schweden, die vor knapp zehn Jahren mit ähnlichen Experimenten begonnen haben, hatten zahlreiche Fehlschläge, die wir jetzt natürlich minimieren können, weil wir gucken: Wie haben die das gemacht? Die größten Erfolge hatten sie tatsächlich mit dieser sehr plumpen und archaisch anmutenden Methode, ganze Pflanzen händisch reinzusetzen. Mit Samen hat es bei denen nicht geklappt, aber wir haben ein paar Ideen, wie wir die Methode so verbessern können, dass wir mit Samen doch noch weiterkommen und infolgedessen das Ganze einfacher auf mehrere Hektar skalieren können.

Das Ganze soll in zwei Jahren ausgewertet werden. Ist das nicht ein bisschen spät für solche Experimente? Wir kennen doch die Ursache für unsere Misere: Wir stoßen zu viel CO2 aus.

Wenn man nur den CO2-Minimierungsaspekt betrachtet, könnte man natürlich so denken. Aber als Meeresökologe muss ich natürlich auch die Meeresökologie im Hinterkopf behalten. Da kann man viele positive Fliegen mit einer Klappe schlagen. Man kann zum Beispiel das Bewusstsein für die Küstenlebensräume schärfen. Ohne diese sogenannten Co-Benefits für Biodiversität, Küstenschutz und Badewasserqualität würde ich wahrscheinlich auch nicht Feuer und Flamme sein für dieses Projekt. Mit diesen Effekten ist es aber eine Win-Win-Win-Situation.

Aber noch mal: Man darf sich keiner Illusion hergeben und sagen: Oh toll, wir retten die Moore, forsten ein bisschen auf, pflanzen Seegraswiesen und brauchen uns dann keine Gedanken mehr zu machen. Das ist Quatsch. Wir brauchen im Augenblick eigentlich alles, müssen alles parallel testen und alles parallel beginnen.

Mit Thorsten Reusch sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann

Quelle: ntv.de

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