Wunderschöne Kohlenstoffspeicher Moore sind die unsichtbaren Helden der Natur
16.12.2021, 16:24 Uhr
Nebelschwaden ziehen frühmorgens durch das Flusstalniedermoor in der Nähe des oberbayerischen Ammersees.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Im nassen Zustand gehören Moore zu den wichtigsten Kohlenstoffspeichern der Erde. Trockengelegt stoßen sie dagegen so viel Treibhausgase aus wie ein Auto, das jedes Jahr bis zu 200.000 Kilometer fährt. Leider sind in Deutschland fast alle entwässert. "Nur noch zwei Prozent sind natürlich nass - ein winzig kleiner Anteil, streng geschützte Naturschutzgebiete. Unsere Juwelen", sagt Susanne Abel im "Klima-Labor" von ntv. Sinnvoll wäre es deshalb, Moore wieder zu vernässen, dann aber verlieren wir landwirtschaftliche Nutzflächen. Die Biologin untersucht deshalb am Greifswald Moor Centrum, wie wir beides schaffen: Torf erhalten, CO2 speichern und Landwirten eine Alternativen anbieten. "Es sind noch viele Fragen offen", schränkt die Moor-Expertin ein, macht aber auch Hoffnung: "Wir entdecken immer mehr Produkte, die man aus diesen Feuchtgebietspflanzen machen kann."
ntv.de: Sie arbeiten am Greifswald Moor Centrum und unterstützen Politik und Gesellschaft mit "moorbezogener Expertise". Woher kommt das Interesse? Das ist ja ein eher ungewöhnliches Berufsfeld.
Susanne Abel: Das stimmt. Ich bin Biologin, habe mich auf Pflanzenökologie spezialisiert und in meiner Abschlussarbeit zu Mooren in Feuerland geforscht. Die sind ja weltweit verbreitet und einfach faszinierende Ökosysteme. Was mich dabei gehalten hat, ich arbeite schon seit über zehn Jahren in dem Bereich, ist die zunehmende Bedeutung und die Notwendigkeit, dass wir etwas daran ändern, wie Moore aktuell genutzt werden.
Ein Moor in Feuerland? Wo gibt es die denn überall?

Feuerland ist eine Inselgruppe an der Südspitze des südamerikanischen Kontinents. Der westliche Teil namens "Region Magellanes" gehört zu Chile, der östliche namens "Tierra del Fuego" zu Argentinien. Wunderschön sind beide.
(Foto: picture alliance / imageBROKER)
Fast überall. Die Schwerpunkte sind vor allem auf der Nordhemisphäre. In Russland hat Sibirien einen sehr großen Anteil, in den nordischen Ländern gibt es viele Moore, aber auch in den Tropen. Eigentlich überall, wo es ausreichend Wasser gibt.
Sehen die überall gleich aus oder woran erkennt man ein Moor?
Ein Moor ist ein Feuchtgebiet und wird definiert durch das Vorhandensein von Torf. Das ist das Essenzielle. 30 Zentimeter Torf, so ist die Definition.
Sie gehen also immer mit einem Lineal los?
Wir nutzen Bohrstöcke, um die Torf-Mächtigkeit zu untersuchen. Aber Moore sind auf der Welt wirklich ganz unterschiedlich, immer abhängig von Standort und Klima. Es gibt Moore, die sind von Moosen bedeckt. Vor allem in den Tropen gibt es Moore mit 30 oder 40 Meter hohen Baumriesen. Das sind bewaldete Moore, sogenannte Peat swamp forests. Die sind für die meisten Menschen auch gar nicht wirklich wahrnehmbar als Moor.
Die meisten Menschen werden Moore eher als sumpfiges Gebiet aus Krimifilmen kennen, aber das stimmt gar nicht?
Ich mag dieses Image nicht, aber wahrscheinlich ist es ein Grund dafür, warum wir uns mit Mooren nicht beschäftigen. Wir haben sie als gruseligen, düsteren Ort abgestempelt. Dabei leisten Moore ganz viel für uns, sind wichtig, aber in vielen Teilen auch tatsächlich mehr oder weniger unsichtbar.
Unsichtbar?

Moore wiedervernässen, kann auch bei Wassermangel helfen, sagt Susanne Abel, Biologin und Projektkoordinatorin des Greifswald Moor Centrums.
Da kommen wir vielleicht zum nächsten Punkt, den Mooren in Deutschland (lacht). Unsere sind fast alle entwässert, nur noch zwei Prozent sind natürlich nass - ein winzig kleiner Anteil, streng geschützte Naturschutzgebiete. Unsere kleinen Juwelen, die die meisten Menschen im Kopf haben mit Holzstegen, wodurch sie begehbar sind. Aber die meisten sind entwässert und werden für die Landwirtschaft genutzt.
Von welchen Regionen reden wir da?
Das ist sehr ungleich verteilt. Es gibt moorreiche Gebiete im Norden und im Alpenvorland. Eine sehr große Ausprägung haben wir in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und in Süddeutschland in Bayern und Baden-Württemberg.
Und was finden wir dort, wenn Sie sagen, man erkennt Moore nicht mehr, die sind unsichtbar?
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Das sind Wiesen und Äcker. Da stehen Kühe drauf oder Mais oder es werden Kartoffeln angebaut. Ganz normale landwirtschaftlichen Flächen. Wenn man sich das genauer anschaut, erkennt man vielleicht noch Entwässerungsgräben drumherum. Oftmals wissen in solchen Regionen nicht einmal die Anwohner, dass sie in einem Moorgebiet leben. Aber man muss immer bedenken: So lange wir Torf finden, ist auch ein entwässertes Moor ein Moor.
Hat man die trocken gelegt, weil man mehr Platz brauchte? Das kommt ja häufiger vor.
Es war schon sehr wichtig für die Landwirtschaft. Wir haben ja Gebiete mit einem sehr hohen Moor-Anteil, dort war die Bevölkerung einfach abgehängt.
Abgehängt, weil der Boden unbrauchbar war?
Genau. In diesen Moorgebieten konnte man kaum was machen, Landwirtschaft war nicht möglich. Deshalb wurde diese Regionen politisch gefördert. Der Boden wird durch Entwässerungsgräben oder Drainagen belüftet. Dadurch dringt Sauerstoff in den Torf und zersetzt ihn. Durch diese Zersetzung - Torf ist eigentlich nur organisches Material, abgestorbene Pflanzenreste - wird CO2 freigesetzt. Deshalb haben Moore einen sehr großen Anteil an unseren Treibhausgas-Emissionen.
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Dann stimmt dieses gruselige Image schon? Man kann nasse Moore nicht einfach begehen und nutzen?
Ich finde sie nicht wirklich gruselig, es ist kein todbringender Ort. Na klar, man kriegt nasse Füße, aber ansonsten sind es sehr wertvolle Lebensräume mit ganz besonderen, angepassten Pflanzenarten, die heute alle auf der Roten Liste stehen, weil die Moore so selten geworden sind.
Faszinierend an Mooren ist ja, dass Sie, wie Sie gesagt haben, trockengelegt viel CO2 ausstoßen. Aber wenn sie feucht sind, speichern sie umgekehrt auch sehr viel. Im November hatte ein Kollege von Ihnen aus Wales Moore deswegen als "Superhelden der Umwelt" bezeichnet. Gehen Sie da mit?
Selbstverständlich. Ich würde vielleicht ein anderes Wort wählen, aber sie können einen großen Beitrag bei der Vermeidung von den aktuell sehr hohen CO2-Emissionen leisten. Wir müssen Moore wiedervernässen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Aber das Gute ist: Es ist ein Prozess, den wir wieder umkehren können.
Aber wir verlieren dann landwirtschaftliche Flächen?
Moore machen weltweit etwa drei Prozent der Landfläche aus, speichern aber 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs - und damit doppelt so viel wie alle Wälder zusammen. Jedenfalls, wenn sie nass sind. In Deutschland machten Moore einst 4,3 Prozent der Fläche aus. Davon wurden allerdings 95 Prozent trockengelegt. In der Landwirtschaft sind diese trockengelegten Moore für 37 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Ja. Das ist auch der Hauptgrund, warum Klimaschutz in Mooren so schleppend vorangeht. Wir brauchen Alternativen für Milchwirtschaft und Kartoffelanbau, auch für die Landwirte. Aber solch ein entwässertes Grünland, das emittiert pro Jahr 30 bis 40 Tonnen CO2-Äquivalente pro Hektar. Das ist eine irre hohe Zahl. Das ist ungefähr so viel, wie wenn man mit dem Auto 150.000 bis 200.000 Kilometer fährt. Das kommt jedes Jahr aus jedem Hektar Ackerfläche. Das ist aber auch das Problem, es ist eine unsichtbare Belastung, für uns nicht wahrnehmbar.
Ich glaube, Sie müssen noch mal ganz genau erklären, warum Moore so viel CO2 ausstoßen oder speichern können.
Da muss man bei den nassen Mooren anfangen. Nasse Moore haben über Jahrtausende diese Torfe gebildet. Der besteht aus abgestorbenen Pflanzenresten. Dadurch, dass Moore aber dauerhaft nass sind, gibt es keinen vollständigen Abbau. Das heißt, wir haben dauerhaft ein bisschen mehr Produktion als sich zersetzt. Dadurch akkumulieren wir immer mehr Torf, die Moore wachsen ganz langsam auf und bilden diese riesigen, fetten, wirklich meterdicken Torfschichten.
Das heißt, eigentlich müssten Moore sich immer weiter ausbreiten und irgendwann die ganze Welt bedecken?

Besonders viele Moore gibt es auf der Nordhalbkugel wie hier in Sibirien.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
(lacht) Dann hätten wir auf jeden Fall einen sehr dicken, sehr großen Kohlenstoffspeicher. Aber das funktioniert natürlich nicht überall. Diese Moor-Verbreitung findet dort statt, wo wir ausreichend Wasser haben, weil wir immer einen gewissen Wasser-Überschuss brauchen, damit sich der Torf akkumuliert und erhalten bleibt. Wenn wir Moore für die Landwirtschaft entwässern, kann man das umgekehrt mit einem Glas saure Gurken vergleichen: Gießt man das Wasser ab, verrotten die Gurken. So ähnlich ist es auch mit dem Torf. Wenn Sauerstoff eindringt, zersetzt er sich langsam.
Und deshalb wäre es super, wenn wir im Kampf gegen den Klimawandel möglichst viele Moore wiedervernässen?
Richtig, wir müssen die Wasserstände anheben. Eigentlich wäre es in der Kommunikation fast noch besser, wenn wir sagen, wir bauen die Entwässerung zurück. Im Endeffekt ist es ja so, dass wir unsere Moore aktiv entwässern. Damit müssen wir aufhören. Das hätte auch ganz viele positive Effekte. In Brandenburg zum Beispiel haben wir in vielen Gebieten Wassermangel. Deshalb wäre es wichtig, ausreichend Wasser zurückzuhalten, statt es aus der Landschaft abzuleiten.
Interessant, dass Sie die Wortwahl ansprechen. Wir hatten uns im "Klima-Labor" auch schon mit dem Ozonloch beschäftigt als Beispiel für eine Umweltkrise, die schnell gelöst wurde. Ein Argument war, dass sie in der Öffentlichkeit gut verkauft wurde. Warum spricht man bei Mooren von "wiedervernässen" und nicht von bewässern? Mit "wiedervernässen" können doch die allerwenigsten Menschen etwas anfangen.
Bei Bewässern sehe ich die Problematik, dass man denkt, dass wir aktiv Wasser in diese Moore leiten müssen und dass es dadurch zu einer Konkurrenz um Wasser käme. Aber die gibt es nicht, weil diese Orte natürlich nass sind. Durch den Klimawandel werden wir nicht alle Gebiete wieder so nass bekommen, wie sie früher waren. Trotzdem würde ich vorzugsweise über den Rückbau der Entwässerung oder von Wiedervernässung reden und nicht von bewässern.
Haben wir denn schon ein Moor erfolgreich wiedervernässt?
Ja, viele. Es gibt in Deutschland seit den 90ern Wiedervernässungsprojekte, weil man erkannt hat, dass sich Entwässerung negativ auf die Biodiversität, auf den Wasserhaushalt oder auf die Produktivität auswirkt. Das hängt vom Standort ab. Aber die meisten Projekt gibt es im Bereich Naturschutz, um die Artenvielfalt zu fördern und diese Standorte als Habitat zu schützen.
Was kostet das denn? Bei Naturschutz kommt wirtschaftlich ja selten was rum.
Wenn wir alle Moore wiedervernässen wollen, wird das finanziell eine Riesenaufgabe. Aber im Vergleich zu den Treibhausgasen, die durch trockene Moore freigesetzt werden, ist das eine günstige Klimaschutzmaßnahme. Pro Hektar kostet eine Vernässung 5000 bis 10.000 Euro. Also, Planungskosten und Baumaßnahmen, die Landwirtschaft ist da noch nicht mitgedacht. Das heißt, wir müssen zusammen mit den Landwirten an Alternativen arbeiten.
Zu ihrer Expertise gehören auch Paludikulturen. Dabei geht es um die landwirtschaftliche Nutzung von Mooren. Man kann sie also offensichtlich doch nutzen?
Paludikultur ist eine Wertschöpfung, die bei uns in Greifswald entstanden ist. Das ist abgeleitet vom lateinischen Wort für "Palus", das steht für Sumpfkultur. Wir bezeichnen damit die nasse Land- und Forstwirtschaft, also eine produktive Nutzung auf nassen und wiedervernässten Moorstandorten. Der zentrale Punkt ist, dass die Moore so nass sind, dass der Torf langfristig erhalten bleibt und sich nicht weiter zersetzt. Was kann man damit anstellen? Wir führen verschiedenste Forschungsprojekte durch, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, um für Landwirte neue Nutzungsformen zu etablieren. Schilf ist zum Beispiel eine traditionelle Form von Paludikulturen. Das Reet wird auf Dächern in Norddeutschland teilweise noch genutzt.
Es gibt auch eine berühmte U-Bahnstation in Berlin mit einem Reetdach: Dahlem Dorf.

Dahlem Dorf - der vielleicht schönste U-Bahnhof Berlins?
(Foto: picture alliance / Bildagentur-online/Schoening)
Sogar in Berlin wird das genutzt!
Leider stand das Dach vor einigen Jahren mal in Flammen. Das ist der Nachteil davon?
Ja, aber ansonsten ist das ein super Baustoff. Wir haben in Deutschland auch einen sehr großen Bedarf an regionalem Schilf. Aktuell importieren wir 80 Prozent aus Rumänien und China, weil wir den Bedarf nicht decken können. Das wäre auf jeden Fall ein Absatzmarkt, an die solche Moorstandorte angepasst wären.
Die Bauern könnten Schilf statt Weizen anbauen und gleichzeitig was fürs Klima tun?
Richtig. Es sind aber noch viele Fragen offen, was den konkreten Anbau und das Management angeht. Eine andere Form von Paludikultur wäre der Anbau von Torfmoosen als Ersatz für Torf im Gartenbau. Unser ganzes Gemüse, zumindest die Jungpflanzen-Anzucht, ist immer noch stark von Torf abhängig. Der wird im Hobbybereich, aber auch im Erwerbsgartenbau als Blumenerde genutzt. Aber gerade im professionellen Bereich kommen wir davon im Moment noch nicht weg.
Warum nicht? Das klingt doch nach einer Win-Win-Situation.
Es ist eine Kostenfrage. Der Torf, den wir im Moment nutzen, ist viel zu günstig. Der wird aus natürlichen Mooren abgebaut, abgebaggert. Teilweise in Deutschland, zumeist wird er aus dem Baltikum importiert. Aber diese Kultivierung von Torfmoosen wäre eine sehr gute Alternative. Wir haben in Niedersachsen in Kooperation mit einem Substrathersteller auf mittlerweile 15 Hektar eine Versuchsfläche in einem vernässten Moor, wo wir oberirdisch Biomasse abschöpfen, ernten und diese neu aufgewachsene Moosschicht als Substrat nutzen. Wir lernen natürlich noch ganz viel, aber wir betreiben das jetzt auch schon seit fünf bis zehn Jahren, haben mehrfach geerntet und sehen, dass es funktioniert. Aber wie gesagt, das ist eine Kostenfrage.
Ähnlich wie bei der Kohle, die lange Zeit viel billiger war als Solarenergie?
Genau. Aber das ist das Tolle bei der Paludikultur: Wir entdecken immer mehr Produkte, die man aus diesen Feuchtgebietspflanzen machen kann. Sei es das Schilf als Baumaterial, seien es die Rohrkolben für die Produktion von Dämmplatten oder Einblasdämmstoffen oder sei es die Nasswiesenbiomasse aus Seggen zum Beispiel für den Verpackungsbereich. All diese Produkte bringen aktiv Klimaschutz mit. Diese Biomasse nimmt ganz viel CO2 auf und wir speichern auch noch ganz viel Kohlenstoff in der Fläche. Und im besten Fall ersetzen wir fossile Rohstoffe.
Mit Susanne Abel sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Quelle: ntv.de