EU-Boykott nach Putin-Besuch Die Wut über Orban bricht sich Bahn


Immer wieder blockierte Orban im Rat der EU die Hilfsleistungen für Kiew und stützte Moskaus Position.
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In Brüssel wächst die Entrüstung über Orbans Dreistigkeit. Für seine Charme-Offensive bei Putin bekommt er jetzt die Quittung. Die EU-Kommission straft Ungarns Ministerpräsidenten ab – mit einem Boykott. Das Europaparlament fordert noch viel härtere Maßnahmen.
Korruption, Machtmissbrauch und Blockaden: Das alles gehört zum politischen Instrumentarium Viktor Orbans. Damit macht sich Ungarns Ministerpräsident in Brüssel immer unbeliebter. Eine neue Anmaßung war Orbans sogenannte "Friedensmission", die ihn nach Kiew, Moskau und Peking führte. Mit seinem Überraschungsbesuch bei Präsident Wladimir Putin hat Orban den Bogen überspannt. Er sprach die Reise nicht mit seinen europäischen Partnern ab - obwohl er die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Dafür straft ihn die EU-Kommission jetzt ab.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ ankündigen, sie werde zu informellen Ministertreffen unter Leitung der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft keine Kommissare mehr schicken. Lediglich ranghohe Beamte werden künftig an diesen Konferenzen teilnehmen. Zudem verzichtet die EU-Kommission auf den traditionellen Antrittsbesuch bei der ungarischen Präsidentschaft, wie ein Sprecher der CDU-Politikerin mitteilte.
Dass Orban russlandfreundliche Positionen vertritt und demonstrativ eine enge Beziehung zu Putin pflegt, ist in Brüssel nichts Neues. Immer wieder blockierte Orban im Rat der EU die Hilfsleistungen für Kiew und stützte Moskaus Position. Zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli begann, erdachte Orban mit seiner "Friedensmission" allerdings eine Provokation der besonderen Art.
Putin begrüßt Orban als EU-Abgesandten
Obwohl er nicht im Auftrag der EU unterwegs war, nutzte er für seine Videos und Fotos von der Reise das Logo der ungarischen Ratspräsidentschaft. Zudem empfing Putin seinen Freund wie einen Abgesandten der Europäischen Union. "Ich verstehe, dass Sie diesmal nicht nur als unser langjähriger Partner, sondern auch als amtierender Ratspräsident der EU hierherkommen", sagte der Kremlchef zur Begrüßung. Dabei verpasste es Orban, Putin zu einem Rückzug aus der Ukraine aufzufordern oder dessen Angriffskrieg auch nur zu verurteilen. Dies allerdings passt nicht zur offiziellen Position der EU.
In allen EU-Institutionen wächst die Entrüstung über Orbans Dreistigkeit. Im Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs sollen allmählich Stimmen laut werden, Ungarn die sechsmonatige Ratspräsidentschaft, die es turnusmäßig innehat, wieder zu entziehen. Das Europaparlament kam in einer Entschließung bereits vergangenes Jahr zu dem Schluss, Orban sei für die Ratspräsidentschaft ungeeignet.
Auch Mitglieder der Europäische Volkspartei (EVP), der europäischen Parteienfamilie von der Leyens, drängen die Kommission und den Rat seit Langem dazu, härter gegen Orban vorzugehen. Schließlich verbannten die europäischen Konservativen, denen auch CSU und CDU angehören, Orbans Partei Fidesz 2019 aus ihren Reihen. Die Gründe hierfür waren Orbans Zerstörung des Rechtsstaats in Ungarn, die dort grassierende Korruption sowie die illegale Verwendung von EU-Geldern.
Orbans Ratsvorsitz können ihm nur seine Amtskollegen entziehen
Schließlich erhob die EVP auch keinen Einspruch, als das Europaparlament von der Leyens EU-Kommission wegen der umstrittenen Freigabe von Fördergeldern für Ungarn im März verklagte. Ein Urteil in dem Fall dürfte frühestens im kommenden Jahr fallen. Die Kommission begründete ihre Freigabe von insgesamt 10 Milliarden Euro an Mitteln damit, dass Orban die erforderlichen Bedingungen erfüllt habe - er habe Reformen für mehr Rechtsstaatlichkeit in die Wege geleitet. An dieser Darstellung hegen die Parlamentarier jedoch erhebliche Zweifel.
Dass von der Leyen Orbans Ratspräsidentschaft ausgerechnet jetzt boykottiert, mag auch taktisch motiviert sein. Die Entscheidung, keine Kommissare mehr zu den informellen Ministertreffen zu senden, verkündet sie zwei Tage vor der Abstimmung über ihre zweite Amtszeit im Europäischen Parlament. Von der Leyens lose Koalition dort besteht neben der EVP bislang aus den Sozialdemokraten und den Liberalen. Auch die Grünen könnten sich nach der Abstimmung am Donnerstag dazu gesellen. Abgeordnete all dieser europäischen Parteienfamilien drängen von der Leyen seit Jahren dazu, gegen Orban eine härtere Linie zu fahren.
Den Wunsch des Parlaments, Orban die Ratspräsidentschaft wieder zu entziehen, kann von der Leyen ihm allerdings nicht erfüllen. Für einen solchen Entschluss müsste sich im Rat der Staats- und Regierungschefs eine qualifizierte Mehrheit finden: Mindestens 20 der 27 Mitgliedsstaaten, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren, müssten dem zustimmen. Noch wurde kein Versuch in dieser Richtung unternommen. Die Wut über Orban unter seinen EU-Amtskollegen im Rat reicht offenbar noch nicht aus, um ihn vom Thron des Ratsvorsitzes zu stoßen.
Quelle: ntv.de