Peter Neumann im Interview "Für den IS ist Russland und der Westen gleichermaßen der Feind"
17.04.2024, 18:04 Uhr Artikel anhören
Spanien und Frankreich verstärkten in der vergangenen Woche die Sicherheitsvorkehrungen.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Vor einigen Tagen gab es eine Terrordrohung des IS gegen Fußballstadien. Diese Drohung sei erkennbar nicht ernst gemeint gewesen, sagt Terrorexperte Peter Neumann. Eine generelle Entwarnung ist das allerdings nicht: Neumann rechnet mit weiteren Drohungen gegen die Europameisterschaft und gegen die Olympischen Spiele. "Und leider muss das auch ernst genommen werden, denn wir wissen, dass sowohl der IS als auch andere terroristische Gruppen in der Vergangenheit immer wieder große Sportveranstaltungen angegriffen haben."

Peter R. Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College London. Er hat in Kriegswissenschaft (War Studies) promoviert. Sein aktuelles Buch ist "Die neue Weltunordnung".
(Foto: IMAGO/Klaus W. Schmidt)
ntv.de: In der vergangenen Woche gab es eine Drohung der Terrororganisation Islamischer Staat gegen die Austragungsorte der Champions-League-Viertelfinalspiele. Wie ernst muss man solche Drohungen nehmen?
Peter Neumann: Man sollte Terrordrohungen grundsätzlich immer ernst nehmen. Aber diese Warnung letzte Woche war offenkundig nicht ernst gemeint. Terroristische Gruppen kündigen nicht Ort, Datum und Uhrzeit einer terroristischen Operation an. Das wäre aus deren Sicht ja auch doof, denn das macht es einfacher, den Anschlag zu verhindern. Die Drohung gegen die Spiele des Champions-League-Viertelfinales war reine Panikmache. Man darf nie vergessen, dass Terrorismus natürlich auch den Zweck hat, Angst und Schrecken zu verbreiten und normales Leben unmöglich zu machen. Das war hier die Absicht.
Das Propagandamagazin "Voice of Khorasan" hatte dazu aufgerufen, Anschläge mit Drohnen auf Fußballstadien zu verüben. Wer steckt hinter dieser "Stimme von Khorasan"?
Dahinter steckt der ISPK, der "Islamische Staats in der Provinz Khorasan". Das ist der IS-Ableger in Afghanistan, der sich "Khorasan" nennt, weil er Anspruch auf diese historische Region in Zentralasien erhebt, die vor allem den Nordwesten des Iran und Afghanistan einschließt, aber auch weite Teile von Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Das ist momentan die aggressivste IS-Gruppe. Unter anderem ist sie für den Anschlag in Moskau verantwortlich, auch für die vor Weihnachten geplanten Anschläge auf Kirchen in Deutschland und Österreich, den Kölner Dom und den Stephansdom. Das ist eine durchaus ernst zu nehmende, gefährliche Gruppe.
Gilt für Terroristen nicht die Regel, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist?
Was in der Ukraine los ist, interessiert den IS überhaupt nicht. Gerade Russland ist für den ISPK, der sehr stark in Zentralasien, in ehemaligen Sowjetrepubliken, rekrutiert, Feindesland. Und natürlich hat der IS nicht vergessen, dass Russland in Afghanistan, in Tschetschenien und in Syrien gegen Dschihadisten gekämpft hat. Dass Russland jetzt in der Ukraine auch gegen den Westen kämpft, spielt für den IS keine Rolle. Für den IS ist Russland und der Westen gleichermaßen der Feind.
Sind Aufrufe wie die aus der "Voice of Khorasan" als Anregung zu verstehen oder ist der ISPK eine Terrorgruppe, die selbst Anschläge plant und durchführt und dafür Täter rekrutiert?
Beides. Der ISPK hat durchaus Leute, die sie selbst für terroristische Operationen rekrutiert haben. Aber gleichzeitig versuchen sie, mit ihrer Propaganda Einzeltäter dazu zu ermutigen, auf eigene Faust zu handeln. Das ist der Sinn solcher Aufrufe.
Die vier Jugendlichen aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, die wegen mutmaßlicher islamistischer Anschlagspläne in Untersuchungshaft sitzen, haben nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf einen islamistischen Terroranschlag "gemäß den Zielen und der Ideologie des Islamischen Staats (IS)" vorbereitet. Wie kann man sich die Verbindung zwischen den Jugendlichen und dem IS, sofern es sie gibt, vorstellen?
In den allermeisten Fällen basiert die Verbindung rein auf Inspiration. Das heißt, diese Jugendlichen sehen Propaganda des IS, vernetzen sich über das Internet, in manchen Fällen auch mit Freunden, und entscheiden dann auf eigene Faust, etwas zu tun. Das haben wir zum Beispiel in Zürich gesehen.
Wo ein 15-Jähriger im März mit einem Messer auf einen Juden losgegangen ist.
Mitunter wird, wie im Züricher Fall, von dem Attentat ein Video aufgenommen, das dann an eine IS-Adresse geschickt wird. Aber in der Regel besteht da gar kein direkter Kontakt. Der IS ruft zu Anschlägen auf, und wenn ihm das Ergebnis gefällt, dann nimmt er die Attentäter gewissermaßen posthum oder nach der Tat als "Soldaten" in seine Reihen auf.
Sie haben es angesprochen, Terrorismus zielt immer auch darauf, Angst zu verbreiten - und faktisch helfen Medien dabei, indem sie berichten. Gleichzeitig können wir auch nicht auf Berichterstattung verzichten. Wie sehen Sie als Terrorexperte dieses Dilemma?
Medien sollten verantwortungsvoll über solche Drohungen berichten und beispielsweise darauf hinweisen, dass eine Drohung wie die in der vergangenen Woche nicht überbewertet werden sollte. Wenn terroristische Anschläge passieren, ist es natürlich richtig, darüber zu berichten, dann ist ja tatsächlich etwas vorgefallen. Gleichzeitig muss man sich immer überlegen: Welches Spiel spielt der IS, was möchte er verursachen? Wie kann ich als Journalist verhindern, dass ich selbst Instrument der Terroristen werde?
Ist davon auszugehen, dass es Drohungen des IS gegen die Fußball-Europameisterschaft geben wird?
Natürlich wird es die geben - gegen die Europameisterschaft, auch gegen die Olympischen Spiele. Und leider muss das auch ernst genommen werden, denn wir wissen, dass sowohl der IS als auch andere terroristische Gruppen in der Vergangenheit immer wieder große Sportveranstaltungen angegriffen haben: die Olympischen Spiele 1972 in München, als israelische Athleten als Geiseln genommen wurden, die Bataclan-Anschläge 2015 in Paris, die mit einem versuchten Attentat auf das Fußballspiel Deutschland gegen Frankreich, das am selben Tag in Paris stattfand, anfangen haben. Deswegen ist richtig, dass sehr viel getan wird, um die Sicherheit der EM zu gewährleisten. Ich glaube, dass die Stadien im Großen und Ganzen gut geschützt sind. Aber Public-Viewing-Veranstaltungen lassen sich nicht so gut schützen lassen, weil es da keinen Ein- und Ausgang gibt. Dafür braucht man gute Sicherheitskonzepte.
Eine Frage noch zu einem anderen Thema: Nach dem iranischen Angriff fordert Israel von westlichen Staaten, die iranischen Revolutionsgarden zu einer Terrororganisation zu erklären. Was würde das ändern?
Ich halte das für eine gute Idee, denn das beschreibt, was die Revolutionsgarden tun, auch in Europa. Sie fördern terroristische Organisationen wie die libanesische Hisbollah, sie organisieren auch selbst Attentate. Im Prinzip sind sie eine paramilitärische, eine terroristische Organisation der iranischen Regierung. Deswegen wäre es wichtig, das klar zu benennen, gerade vor dem Hintergrund, dass die Revolutionsgarden Anschläge auf jüdische und israelische Ziele in Europa organisieren könnten. Das würde es einfacher machen, finanzielle Mittel zu blockieren oder Menschen, die mit den Revolutionsgarden zu tun haben, auszuweisen oder gar nicht erst ins Land zu lassen.
Warum sind Deutschland und die EU diesen Schritt nicht längst gegangen?
Die Revolutionsgarden sind nicht nur eine Terrororganisation, sie sind auch des iranischen Staates. In der Vergangenheit hat die EU da sehr vorsichtig agiert, um die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm nicht zu gefährden. Diese Verhandlungen sind mittlerweile einem Punkt, wo klar ist, dass sie wahrscheinlich nicht zum Erfolg führen werden. Deswegen sehe ich keinen Grund mehr für Zurückhaltung. Europa sollte jetzt tun, was die Amerikaner bereits gemacht haben, nämlich die Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen.
Mit Peter R. Neumann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de